Süddeutsche Zeitung

Ärztlicher Bereitschaftsdienst:Patienten womöglich gezielt abgewimmelt

Ein anonymer Kläger erhebt schwere Vorwürfe gegen den Ärztlichen Bereitschaftsdienst in München. Weil dieser Patienten zu lange warten lässt, sei es bereits zu Todesfällen gekommen. Ärztechef Wolfgang Krombholz hält das für eine Verleumdung.

Von Stephan Handel

Im Streit um den Ärztlichen Bereitschaftsdienst in München wird der Ton zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und den Ärzten schärfer: Nachdem bei der Staatsanwaltschaft eine anonyme Anzeige eingegangen ist, in der schwere Vorwürfe gegen den Leiter des KVB-Callcenters erhoben werden, kündigt KVB-Vorstandschef Wolfgang Krombholz eine Gegenanzeige wegen Verleumdung an. In dem Callcenter werden die Anrufe der Patienten bearbeitet.

Das anonyme Schreiben trägt das Datum vom 7. Mai und ging wenige Tage später bei der Staatsanwaltschaft ein, wie ihr Sprecher Thomas Steinkraus-Koch bestätigt. Nun würden die Vorwürfe geprüft. Der Autor schreibt, er sei Mitarbeiter in der "Einsatzzentrale des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes" und könne seinen Namen nicht nennen, "da ich andernfalls sofort meine Arbeitsstelle verlieren würde".

Die Vorwürfe in dem Schreiben wenden sich hauptsächlich gegen den Leiter des Callcenters. Dieser habe in einer "Dienstanweisung" von Anfang Januar verfügt, "möglichst alle ärztlichen Hausbesuche, die wir eigentlich koordinieren sollen, vor allem tagsüber abzuwimmeln". Wenn Besuche unvermeidlich seien, sollen die Anrufer "mindestens zwei Stunden (besser noch viel länger) auf einen Arzt warten müssen, damit sie zukünftig nicht wieder anrufen". Durch dieses neue Verfahren sei es bereits zu zwei Todesfällen gekommen.

In München sind Bereitschaftsärzte nicht nur nachts und am Wochenende im Dienst

Tatsächlich ist der Ärztliche Bereitschaftsdienst in der Stadt seit einiger Zeit stark eingeschränkt worden - das erklärte Ziel der KVB ist es, eine Münchner Sonderregelung herunterzufahren, um Kosten zu sparen. Anders als in anderen Regionen Bayerns stehen Bereitschaftsärzte in der Landeshauptstadt nicht nur nachts und an den Wochenenden im Dienst, sondern 24 Stunden täglich. Begründet wurde diese Regelung mit den besonderen Bedingungen im großstädtischen Ballungsraum.

Seit einiger Zeit beklagt die KVB nun die hohen Kosten, die ihr durch diese Regelung entstehen - viele Jahre lang war es den Ärzten erlaubt, sich für den Dienst ein Taxi zu nehmen, mit dem sie zu allen Einsätzen fuhren. Seit kurzem nun sind die Mediziner gehalten, sich für jeden Patientenbesuch ein neues Taxi zu rufen, um herauszufinden, ob dadurch die 600 000 Euro reduziert werden können, die die KVB in jedem Jahr aus ihrem Haushalt für diesen Service bezahlt. Ein Teil der etwa 100 diensttuenden Ärzte hatte dagegen protestiert und darauf hingewiesen, dass die Patienten unter Schmerzen litten und nicht in der Lage seien, einen Hausarzt oder eine Klinik aufzusuchen.

"Nur jede zweite Diagnose rechtfertigt einen Hausbesuch"

Genau das bezweifelt KVB-Chef Wolfgang Krombholz und legt eine Liste vor mit Bereitschaftsdienst-Einsätzen aus der letzten Zeit: "Nur jede zweite Diagnose rechtfertigt einen Hausbesuch", sagt Krombholz. In diesem Sinne sei auch die in der Anzeige zitierte "Dienstvorlage" zu verstehen: In ihr steht, dass bei Erstanrufen die Patienten zunächst an den Hausarzt zu verweisen seien oder, falls ein solcher nicht zur Verfügung stehe, andere niedergelassene Ärzte in der Umgebung des Anrufers empfohlen werden sollen.

Das bedeute aber nicht, sagt Wolfgang Krombholz, dass die Anrufer "abgewimmelt" werden: "Wenn jemand tatsächlich einen Arzt braucht, dann wird natürlich der Bereitschaftsdienst verständigt - oder gleich der Notarzt alarmiert." Zwar sei es richtig, dass die Zahl der Bereitschaftsdienst-Einsätze zurückgegangen sei, wie die Ärzte beklagen, aber dass sei ja der Sinn der Reform gewesen. Die Klagen der Ärzte sieht Krombholz vor einem anderen Hintergrund: "Da sehen gewisse Seilschaften ihr Geschäftsmodell wackeln."

"Das kann kein Insider gewesen sein"

Von zwei Todesfällen will der KVB-Chef nichts wissen - einer sei bekannt, der habe aber nichts mit der Bereitschaftsdienst-Reform zu tun: "Der Diensttuende kam zu einem Patienten, dem es sehr schlecht ging, weshalb er den Notarzt holte. Der wollte den Mann ins Krankenhaus einweisen, was der aber verweigerte. Am nächsten Tag war der Patient tot - das ist tragisch, aber passiert nun einmal."

Mit der anonymen Anzeige sieht Krombholz " den Rubikon überschritten". Er bezweifelt bereits die Authentizität des Schreibens: "Das kann kein Insider gewesen sein - sonst wüsste er, dass wir ,Kassenärztliche Vereinigung Bayerns' heißen, nicht ,Bayern'. Die angebliche ,Einsatzzentrale' ist die Vermittlungs- und Beratungszentrale. Außerdem schreibt er den Namen seines angeblichen Chefs falsch.

Und was er ,Dienstanweisung' nennt, heißt bei uns ,Arbeitsvorlage'." Der Brief schließt mit dem Wort "Hochachtungsvoll" - das benutze heutzutage kein Mensch mehr, meint Krombholz. Er hat nun einen Rechtsanwalt beauftragt zu prüfen, ob es möglich und aussichtsreich sei, seinerseits Anzeige zu erstatten, wegen Verleumdung.

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SZ vom 24.05.2014/amm
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