Ärztepfusch an Privatklinik:Patientin verliert nach OP ihren Magen

Der Chef einer Münchner Privatklinik drängt eine übergewichtige junge Frau zur Magenverkleinerung. Wegen undichter Nähte muss danach das ganze Organ entfernt werden. Die Frau muss nun ohne Magen leben - und hat ihren Arzt verklagt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch und Stephan Handel

Sie war gerade 23 und fühlte sich etwas zu dick. In einer Münchner Privatklinik suchte die junge Frau Hilfe. Der Chefarzt riet ihr dort gleich zu einer Magenverkleinerung. Vor Gericht kam auf den Tisch, dass der Mediziner die unerfahrene Patientin unter Zeitdruck gesetzt und dann bar abkassierte haben soll. Der angeblich harmlose Eingriff ging dann schief.

Im Uniklinikum rechts der Isar konnten die Ärzte später bei einer Notfall-OP der Frau zwar das Leben retten - ihr Magen musste dafür jedoch komplett entfernt werden. Das Landgericht München I hat den Arzt nun zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt.

Die Frau war zwar mit 74 Kilo bei einer Größe von 1,64 Metern etwas übergewichtig. Doch ihr Body-Mass-Index (BMI) lag zwischen 27 und 28, deutlich unterhalb von Adipositas. Der Arzt habe ihr gesagt, dass sie "ziemlich dick" sei und zur "zeitnahen Operation" geraten, sagte die Frau vor Gericht, weil ihr sonst eine weitere Gewichtszunahme drohe.

Bei ihm als anerkannten Spezialisten gebe es auch keine Komplikationen, soll er der Frau gesagt haben. "Er hat mir erklärt, dass er Scheichs operiert und es sich nicht leisten könne, 'Gurken' abzuliefern", sagte die Frau in dem Prozess.

Ungenügende Aufklärung

Er habe ihr zuerst einen weit entfernt liegenden OP-Termin angeboten, doch plötzlich war ein ganz kurzfristiger möglich. Der Arzt habe ihr gesagt, ein anderer Patient, habe einen Herzinfarkt bekommen. "Ich sollte mich aber ganz schnell entscheiden, weil es noch andere Interessenten gebe." Nur zehn Minuten Bedenkzeit habe sie gehabt und dann den Vertrag unterschrieben.

Nach der 13 500 Euro teuren OP wurde die Frau entlassen, obwohl sie sich nicht wohlfühlte. Zuhause habe sie unter starken Schmerzen gelitten. Ein Diätberater habe sie telefonisch auf Magerquark und Magnesiumtabletten verwiesen. Der Arzt selbst habe ihr telefonisch zu Mitteln gegen Sodbrennen geraten. Als er die Frau dann endlich erneut untersuchte, stellte sich heraus, dass die Nähte am Magen wahrscheinlich von Anfang an undicht waren. Die Frau wurde zur Notoperation in die Uniklinik gebracht.

Der Gerichtssachverständige erklärte, dass die Magenverkleinerung selbst bei einem BMI von 29 nicht indiziert gewesen sei. Nach Meinung der Arzthaftungskammer hätte der Mediziner die junge Patientin besonders eindringlich über die Gefahren eines nur aus kosmetischen Gründen geplanten Eingriffs aufklären müssen.

"Womöglich hätte er sogar gegen die Operation raten müssen", stellt das Gericht nun im Urteil fest. Stattdessen habe er sogar einen besonderen Entscheidungsdruck ausgelöst und eine OP binnen drei Tagen angeboten. Der Arzt habe insgesamt die Patientin ungenügend aufgeklärt und später unzureichend die nachoperativen Beschwerden untersucht. Das Gericht sprach der Patientin 65 000 Euro zu. Außerdem muss der Arzt für alle zukünftigen Folgen aufkommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Az.: 9 O 8075/12).

Patientin muss Ernährung umstellen

Marc Martignoni, als Oberarzt in der Chirurgischen Klinik am Rechts der Isar auch mit Adipositas-Chirurgie befasst, will den konkreten Fall nicht kommentieren. Er sagt jedoch: "Unser Konzept wäre das nicht." Bevor er seinen Patienten zu einer operativen Magenverkleinerung rät, müssten sie zunächst ein sechsmonatiges Diätprogramm unter ärztlicher Aufsicht durchlaufen - übrigens auch eine Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse.

Auch müsste sichergestellt sein, dass das Ess-Verhalten der Grund für das Übergewicht sei und nicht andere Erkrankungen. Außerdem helfe die Operation alleine nicht. "Wenn der Patient nach der Operation weiterhin literweise Cola trinkt, wird er auch nicht abnehmen", sagt Martignoni.

Dass die Patientin durch die Operation ihren Magen verloren hat, ist weniger dramatisch, als es sich anhört. "Sie wird ihre Ernährung ein bisschen umstellen müssen", sagt Martignoni, "sechs bis acht mal am Tag kleinere Portionen essen" - denn als Nahrungsreservoir falle der Magen aus. Außerdem muss sie sich Vitamin B 12 spritzen lassen. Das Vitamin kann der Körper aus der Nahrung erst resorbieren, wenn diese im Magen aufgeschlossen wurde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: