Advents-Serie: Beflügelt:Anatomisch unmöglich

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Ein Waldrapp mit dem Zoologen Markus Unsöld. (Foto: Privat)

Markus Unsöld unterzieht Engel einem Realitätscheck

Von Julius Bretzel

Engel sind Himmelsboten. Ständig unterwegs, und dafür bekanntlich mit Flügeln auf dem Rücken ausgestattet. Doch in der Natur ist ein solches Konzept - Wirbeltiere mit vier Gliedmaßen und einem zusätzlichen Flügelpaar - nicht zu finden. Wer im Internet nach anatomischen Zeichnungen von Engeln sucht, stößt auf experimentelle und waghalsige Konstruktionen: Zeichnungen von menschlichen Skeletten, denen Flügelpaare hinzugefügt sind; skurrile Wesen zwischen Mensch und Huhn. Kann es solche Engel überhaupt geben?

"Biologisch betrachtet: nein", behauptet Markus Unsöld , Ornithologe und Waldrapp-Experte von der Zoologischen Staatssammlung München. Im Bauplan der Wirbeltiere seien Engelsflügel schlicht nicht vorgesehen. In der wissenschaftlichen Bezeichnung der Landwirbeltiere, "Tetrapoda", stecke nämlich schon die Festlegung auf vier Extremitäten. Natürlich gebe es darunter auch flugfähige Tiere - Vögel, zum Beispiel, Fledermäuse oder die ausgestorbenen Flugsaurier - doch deren Flügel hätten sich im Laufe der Evolution aus den Vordergliedmaßen entwickelt. "Diesen Tieren fehlen also die Arme, die Engel in den Darstellungen immer haben", doziert der Biologe. Engel ohne Arme? Da fällt das Spielen der himmlischen Geigen und Harfen vermutlich schwer. Wenn es also keine Wirbeltiere sind? Theoretisch könnten die heiligen Wesen als Insekten durchgehen. Denn die Vertreter dieser Klasse im Tierreich haben zusätzlich zu ihren sechs Beinen auch Flügelpaare. "So einen Engel will aber niemand sehen", ist sich Unsöld sicher. Die Vorstellung von einem Engel in Gestalt einer großen Heuschrecke oder gar einer Gottesanbeterin ist wirklich zu weit weg von barocken Putten und erhabenen Engeln, die man im Kopf hat.

Unsöld ist nicht der einzige Wissenschaftler, der sich Gedanken über die Anatomie von Engeln gemacht hat: Roger Wotton vom University College London hat vor zehn Jahren belegt, dass Engel mit vogelähnlichen Flügeln - wie in der Bibel beschrieben, in der Kunst abgebildet - nicht abheben könnten. Sie bräuchten gigantische Flügel, für die am menschlichen Körper die nötigen Muskeln fehlen. Selbst zum Gleitflug hätten Engel keine Chance. Engel haben es also schwer beim Realitätscheck. "Als Zoologe muss ich sagen, dass es sich nun mal um ein religiöses Wesen handelt", sagt Markus Unsöld. "Es existiert in der Vorstellung der Menschen, in der Natur eben nicht." Das bedauert er aber nicht: Es müsse eben auch ein bisschen Fantasie auf dieser Welt geben.

Als Adventskalender erzählt die Stadtviertel-Redaktion Münchner Engels-Geschichten. Am Montag: die Kirche zu den Heiligen Engeln.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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