„Weihnachten, ist mir doch egal“ – das ist süßeste Lüge des Jahres. Wer kann sich dem Fest der Feste schon entziehen? Die Kölner Band Erdmöbel jedenfalls nicht. Seit fast 20 Jahren veröffentlicht sie nun schon jeden Advent ein neues „Jahresendlied“, es begann 2006 eben mit „Weihnachten, ist mir doch egal“, der deutschen Version von „Last Christmas“ – welches der Erdmöbel-Sänger und Schriftsteller Markus Berges übrigens für raffiniert komponiert hält.
Und schwindelt nicht jeder ein wenig, der behauptet, ihm gefalle der britische Christmas-Pop-Megahit von Wham! nicht? Gut, nerven, das kann diese im Radio rauf- und runtergedudelte Nummer alle Jahre wieder, wie vieles im Advent. Aber es gibt Möglichkeiten, um sich wirklich in Vorweihnachtsstimmung zu versetzen. Eine wäre das Konzert von Erdmöbel auf ihrer Weihnachts-Tour am Freitag, 20. Dezember, im Backstage, wo die Band auch ihr aktuelles Jahresendlied „Geschenkpapier“ zusammen mit dem Kaiser Quartett spielt. Andere besinnliche Auszeiten vom Trubel folgen in diesem Advent-Event-Überblick.
Gemeinsam Weihnachtslieder singen
Was ist denn schlimm daran, zusammen unterm Weihnachtsbaum zu singen? Gar nichts, es kann halt als peinlich empfunden werden, wenn es sich so selten ereignet wie der Besuch der Christmette an Heiligabend. Dieses Gemeinschaftsgefühl lässt sich allerdings ertüchtigen. Etwa in der Reihe Rudelsingen, diesmal auf dem Tollwood-Wintermarkt mit Liedern für den Advent und die Demokratie (2. Dezember, Warteliste: umwelt@tollwood.de). Auch beim Go Sing Choir versetzen sich die zu einem Spontan-Mitmach-Chor zusammengefundenen Gäste diesmal in Weihnachtsstimmung. In diesem Special geht es erstmals von München aus sogar auf eine kleine GSC goes X-Mas Tour nach Köln, Regensburg und Nürnberg. Zu Hause am 15. Dezember im Strom-Club werden die Teilnehmer mit ein paar X-Mas-Songs angewärmt wie Glühwein auf der Herdplatte, dann studiert man gemeinsam thematisch passend John Lennons und Yoko Onos „Happy Xmas (War Is Over)“ ein – Stimmbildung quasi als Geschenk.
Wenn man mal den Ton nicht trifft, ist das auch im Chor der Tausenden in der Olympiahalle gar nicht so schlimm. 2023 lud dort der bayerische Soul-Star und Weihnachts-Super-Fan Claudia Koreck erstmals zu Wir singen gemeinsam die schönsten Weihnachtslieder. Und das sei so schön gewesen, dass es heuer am Tag vor Heiligabend wiederholt wird – im bewährten Team mit Hannes Ringlstetter, Hans Sigl (siehe auch unten), dem Augsburger ABO Orchester und Chor und diesmal auch mit Alphornbläsern und dem Chor des Gymnasiums Markt Indersdorf.
Auch am 24. Dezember selbst „muss niemand allein sein“, verspricht Stephanie Jenke, die Leiterin des Münchner Kulturzentrums Gasteig. In der Isarphilharmonie lädt man alle ab 14 Uhr zu Weihnachten im Gasteig mit „klassischer Festmusik“. Unter anderem spielen Manuel von der Nahmer (Cello) und Clement Courtin (Geige) von den Münchner Philharmonikern und der Multi-Percussionist Christian Benning. Das Ensemble ist groß, der Saal festlich dekoriert, und dazu erklingen eben auch „Weihnachtslieder zum Mitsingen“. „Das schafft Verbindung“, sagt Jenke, „und das ist uns wichtig“.
Musical und Theater
Nach der biblischen Erzählung von der Geburt Jesu ist Charles Dickens’ „A Christmas Carol“ die bekannteste Weihnachts-Geschichte der Welt. Tausendfach vorgelesen, verfilmt und auf die Bühne gebracht, wie der Geizkragen Ebenezer Scrooge von drei Geistern heimgesucht und emotional gebraten wird wie eine Gans im Rohr. Aber einmal geht immer noch. Zum Beispiel, wenn Schüler der Europäischen Schule das Stück im Pepper Theater in Neuperlach nach ihren Ideen spielen (5. Dezember, Thomas-Dehler-Straße 12).
Viel Mühe hat sich auch Michael Schanze gemacht, die Story von 1843 neu zu erzählen. Kennen die meisten den Tutzinger auch als „Eins, zwei oder drei“-Moderator, ist er doch auch Autor, Sänger und Komponist und hat zusammen mit Christian Berg ein Musical nach dem vor fast 200 Jahren geschriebenen Dickens-Klassiker gemacht. Eine Weihnachts-Geschichte ist in Deutschland auf Tour und hat am 26. November München-Premiere im Deutschen Theater (bis 8. Dezember). Das Ganze ist üppig und zauberhaft ausstaffiert und mit dem deutschen Musical-Topstar Uwe Kröger als Scrooge hochrangig besetzt.
Es passt prima ins Deutsche Theater, das mit vielen Konzerten zu einer Art Weihnachts-Zentrum Münchens wird. So geben etwa Musical-Darsteller wie Annemieke van Dam und Missy May am 16. Dezember eine Weihnachtsgala im großen Saal (weitere Konzerte siehe unten).
Derlei hat auch im Werk7 Tradition. Wo drumherum im Werksviertel der „WinterWunderWerk“-Markt brodelt, feiert man im Viertel-eigenen Theater Merry Musical. Stars wie Sandra Leitner (die hier einst in „Fack Ju Göhte“ und „Amelie“ Hauptrollen spielte), Denise Lucia Aquino und Andreas Bongard öffnen Adventstürchen, erzählen von internationalen Adventsritualen und singen bekannte und weniger bekannte Lieblings- und Weihnachtslieder. Gäste, die im „ugly Christmas-Sweater“ erscheinen, bekommen „ihr besonderes Special“ in der Vorstellung, heißt es (11. bis 16. Dezember).
Eine der kleinsten Bühnen Münchens zeigt Teddys großes Weihnachtsabenteuer: Das Ensemble des Münchner Marionettentheaters spielt die Geschichte eines Bären, der mit einem Spielzeug-Flugzeug aus der Himmelsweihnachtswerkstatt türmt und nach einer Bruchlandung im Wald neue Freunde findet (8. Dezember, ab vier Jahren).
Alpenländische Weihnachtsfeiern
Wenn es einen Experten in Sachen alpenländischer Weihnachtsspektakel gibt, dann Enrico de Paruta. Der Radio- und Fernsehmann übernahm bereits vor 41 Jahren von Gustl Bayrhammer die Adventsveranstaltung in der Münchner Residenz. Als der damalige Bundespräsident Johannes Rau 1996 eine „Fernsehweihnacht“ im ZDF zelebrierte, lag die künstlerische Leitung bei dem Münchner Medienprofi. In den vergangenen Jahren entwickelte de Paruta den Klassiker „Münchner Weihnachtssingen“ immer weiter.
Im Kern wird es getragen von de Parutas von Bayern 1, 2 und 3 bekannter Radiostimme, die mit 80 Jahren noch so wärmend wirkt wie ein Jagertee am Kaminfeuer. Damit trägt er – in allen Charakteren – vor allem Ludwig Thomas bairische Geschichte „Heilige Nacht“ vor. Der „Bauerndichter“ habe sich aber immer ein „symphonisches Bühnenerlebnis“ gewünscht. Und so machte er aus der ursprünglichen Lesung mit Musikern im vorigen Advent die Weihnachtsfestspiele Heilige Nacht.
Das Singspiel bietet eine große Ensemble- und Solistenbesetzung: „Opern- und Konzertsänger, Chöre sowie die beliebten TV-Kindersoprane der ,Engelsstimmen‘ scharen sich unter dem großen Weihnachtsbaum“; dazu erklingen Bläser, Harfen, Glocken und Pauken – ein bayerisch barockes Winterwunderland an 18. Terminen in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz (11. bis 17. Dezember) sowie in Ingolstadt und Regensburg (www.heilige-nacht.com).
Vielleicht liegt es an der Schneesicherheit: Je tiefer man in die Alpen vordringt, umso höher sind die Erwartungen an die Weihnachtsseligkeit. Zu erleben etwa bei der Alpenländischen Weihnacht in der Jesuitenkirche mit den Zillertaler Weisenbläsern und Franz Huber an der Zither am 15. Dezember in der Jesuitenkirche.
Diesbezüglicher Höhepunkt ist die Südtiroler Weihnacht in der Isarphilharmonie (15. Dezember): „Lichterglanz und weiße Berglandschaften“ werden zumindest imaginär versprochen, wenn der Trientiner Bergsteigerchor Coro della Sosat „La Montanara“ und andere Berg- und Winterlieder anstimmt. Es moderiert BR-Wirtshausmusikexpertin Traudi Siferlinger.
Wer seinen Horizont noch mehr weiten möchte, kann das im Deutschen Theater tun: „Es weihnachtet ... dahoam und überall“, wenn Susi Raith, Edgar Feichtner (von der Ringlstetter-Band und Pam Pam Ida) und weitere Musiker „Urbayerisches“ spielen und dabei Ukulele auf Alphorn und Quetschn auf Dobro treffen lassen (13. Dezember).
Weit über die Stubn-Musik hinaus zieht es seit jeher auch Rudi Zapf. Seit mehr als 30 Jahren spielt der Hackbrett- und Knopfakkordeon-Fex auch an Weihnachten mit seinem Freundeskreis Adventsmusik, die Folk, winterliche Klassik und Jazziges verknüpft (30. November, Schloss Nymphenburg).
Weihnachtlich verzaubern, das kann man auch in Skandinavien: Beim Schwedischen Weihnachtskonzert (7. Dezember, Kreuzkirche, 8. Dezember, Offenbarungskirche) leuchtet Lucia mit der Kerzenkrone auf dem Kopf den Menschen den Weg (www.schwedischer-chor.de).
Weihnachts-Lesungen mit Star-Besetzung
Festliche Musik ist eigentlich immer dabei, aber manche Advents-Events ziehen vor allem wegen ihrer prominenten Vorleser. Bei Weihnachten mit Senta Berger weiß man, wen man hat. Die Grimme-Preisträgerin lässt es „funkeln und glitzern“; die „Grand Dame unter Deutschlands Schauspielerinnen“ will mit „wunderbaren literarischen Stücken gepaart mit weihnachtlichen Musik-Kleinodien“ von Corelli bis Vivaldi (Münchener Kammerorchester) das „größte Glück“ der Weihnachtszeit aufzeigen: „Zusammen sein, sich gut sein“ (15. Dezember, Prinzregententheater).
Wer Bergdoktor im TV wird, muss den Schnee lieben, Hans Sigl liebt auch Maroni, den Advent und heiter-besinnliche Texte dazu von Astrid Lindgren oder Bert Brecht – einige wird er bei seiner Lesung am 1. Dezember in der Komödie im Bayerischen Hof vortragen. Mit „feinem Humor“ will auch der Schauspieler Christian Wolff bei seinen Zuhörern „ein tiefes Gefühl von Menschlichkeit“ hervorrufen; eine Augsburger Zeitung hatte dabei gar den Eindruck, bei der „Geburt des Jesuskindes live dabei zu sein“. Auch wenn die Regensburger Domspatzen damals fehlten, im Prinzregententheater singen sie am 14. Dezember mit.
Im Salzburger Land, dem Reich von „Stille Nacht“, aufgewachsen, hat auch „Tatort“-Kommissar Harald Krassnitzer freilich ein Gespür für den Advent: „Liebevoll rezitiert“ er beim „Salzburger Weihnachtssingen“ im Prinzregententheater Geschichten, begleitet vom Chor des Pestalozzi-Gymnasiums und den Ganghofer-Musikanten (16. Dezember).
Gleich mehrere prominente Autoren schicken die Münchner Turmschreiber am 8. Dezember ins Schlittenrennen: Bei der Adventsmatinee, 11 Uhr, im Wirtshaus im Fraunhofer lesen etwa Anton G. Leitner, Wolfgang Oppler, Monika Pauderer und Moses Wolff.
Christmas-Swing-Konzerte
Musikalisch mischen die USA gewaltig mit an Weihnachten, nicht nur bei „White Christmas“. The Original Glenn Miller Orchestra lässt Klassiker wie „Let it snow“ swingen (11. Dezember, Herkulessaal). Christian K. Schaeffer (seit 17 Jahren der Wirt Jo aus den „Rosenheim Cops“) wird am Barhocker zum „Gag-Feuerwerk“ und Christmas-Crooner mit Songs von Sinatra bis Michael Bublé im Cuvilliéstheater (18. Dezember). Und mehrmals jazzt man sich auch im Silbersaal des Deutschen Theaters durchs Adventsprogramm: Die Munich Connection (8. Dezember), The Wine And Roses Society mit der Sängerin Titilayo Adekonun (12. und 14. Dezember) und der einstige Echoes of Swing-Leiter Chris Hopkins (18. Dezember).
Als großer Sintra-Fan ist Tom Gaebel natürlich auch ein großer Weihnachts-Fan, das zeigte der smarte Crooner schon auf einem Album mit Christmas-Evergreens, etwa mit einer höchst feinen Version von Chris Reas All-Time-Classic „Driving Home For Christmas“. Jetzt hat Gaebel eine „Extended Edition“ seiner Platte „A Christmas To Remember“ herausgebracht. Darauf sind nun einige neue Nummern. Wie „Zwei Männer im Schnee“ mit Gregor Meyle, in dem zwei im Scheegestöber havarierte Autofahrer Freundschaft schließen. Oder Kelly Clarksons „Underneath The Tree“ als Bossa Nova. Oder der Song „Schlittenfahrt zum Weihnachtsmarkt“, ein von Gaebel neu betextetes Instrumental von Swing-König James Last. Es wird also beschwingt swingen, wenn Gaebel auf Christmas-Tour geht, in der Nähe von München allerdings nur in der Stadthalle Erding (6. Dezember).
Die norwegische Star-Sängerin Rebekka Bakken macht solo am Klavier das Prinzregententheater mit zum Winterwunderland (19. Dezember). Ein solches ist auch der Jazz-Club Unterfahrt traditionell an Weihnachten beim Weihnachtskonzert von Lisa Wahlandt (21.) und der „Christmas Jam“ direkt an Heiligabend.
Münchens prominentestes Techno-Jazz-Kollektiv ist heuer schon beschenkt worden: Die Jazzrausch Bigband hat ihr neues Proben- und Konzertdomizil im Bergson Kulturkraftwerk schallend erobert. Hier toben sich Roman Sladek und sein Ensemble auch an Weihnachten aus – alles andere als „Still Still Still“, wie eines ihrer X-Mas-Alben heißt: am 1., 7. und 12. Dezember, und zusammen mit den Münchner Philharmonikern je zweimal am 21. und 22. (18 und 20.30 Uhr, ausverkauft).
Kabarett und Cabaret
An Weihnachten glitzert es überall, natürlich auch wieder bei den Christmas Follies im Oberangertheater – eine Travestie-Revue wie Lametta mit Stars wie Miss Piggy und Gene Pascale und „Knabberzeug“ (sieben Termine bis 22. Dezember). Was vielleicht in all dem Stress und Familienzoff etwas zu kurz kommt, ist der Humor. Gut, wenn man drüber lachen kann, etwa beim Kabarettisten Michael Altinger, der diesmal einen sitzen hat. Falsch, er sitzt, ungewöhnlich für das Energiebündel. Er liest aus seinem „total verlogenen autobiografischen Weihnachtsbuch“ mit dem Titel „Auch das Christkind muss dran glauben“ (14. Dezember, Unterschleißheim, Gleis 1). Er verspricht „Lebenshilfe, mit der alle Krisen im Fest der Liebe erstickt werden“.
Und ebenso will auch Stephan Bauer im Schlachthof „streitende Familien und brennende Tannenbäume“ besänftigen respektive löschen (5. Dezember). Sein erstes Weihnachts-Comedy-Programm heißt: „Weihnachten fällt aus! Josef gesteht alles!“ Aber das ist natürlich eine große Lüge.