SZ-Serie Bühne? Frei!:Weniger ist mehr

SZ-Serie Bühne? Frei!: Der Designer Adrian Runhof, geboren 1963 in Mainz, ist Mitinhaber des Münchner Modelabels Talbot Runhof. Bekannt ist Talbot Runhof für Abendmode, die schon von Lady Gaga, Angelina Jolie, Anna Netrebko und Julia Roberts getragen wurde.

Der Designer Adrian Runhof, geboren 1963 in Mainz, ist Mitinhaber des Münchner Modelabels Talbot Runhof. Bekannt ist Talbot Runhof für Abendmode, die schon von Lady Gaga, Angelina Jolie, Anna Netrebko und Julia Roberts getragen wurde.

(Foto: Stephan Heering/Talbot Runhof)

Kultur-Lockdown, Tag 106: Der Modemacher über die Kunst des Verzichts

Gastbeitrag von Adrian Runhof

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet unsere Branche, die sich immer schon auf ihren Willen und ihre Fähigkeit zur ständigen Veränderung besonders viel eingebildet hat, so kalt von der Pandemie erwischt wurde. In der Tat sind viele von uns - auch wir - angesichts geschlossener Läden und gegen Null tendierender Nachfrage erst mal in Schockstarre und Selbstmitleid verfallen und kamen uns vor wie unser Hund Cooper, wenn man ihm einen Wollpullover überzieh: Er wartet regungslos, alle Viere ausgestreckt und mit einem "Das-ist-jetzt-nicht-Euer-Ernst"-Gesichtsausdruck darauf, dass die Tortur vorübergeht.

Klar, viele von uns sind erst mal in die Produktion von Masken eingestiegen. Kann man machen, half anfangs sehr, hilft immer noch, aber wirtschaftlich sind es eher Peanuts. Andere rieten uns "Ihr müsst Sachen machen, die man zu Hause tragen kann" - ach was, wären wir nie draufgekommen. Und ja, kuschelige Samtkleider und Jersey-Jumpsuits waren ganz schnell Favoriten bei einer Handvoll Online-Kunden, aber alles andere, das unsere Kompetenz und Expertise ausmacht? Fehlanzeige, kein Bedarf, keine Nachfrage ...

Also haben wir erst mal innegehalten und darüber nachgedacht, was es langfristig für die Mode und uns bedeuten würde, dass ein Großteil der Nachfrage nach unseren Produkten quasi ersatzlos ausradiert wurde - und dass den Menschen noch nicht einmal etwas dabei fehlte. Immer stärkerer und schnellerer Konsum von Klamotten, Handtaschen, Gürteln und Logo-Schnickschnack ist ja vorher schon im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion in Verruf geraten. Ein Blick nach Paris und Mailand half dabei nicht viel weiter. Die Lehren der "großen" Kollegen? Weiter wie immer, weiter mit Fashion Weeks und Modenschauen und Drops und Kooperationen, die die Händler dazu zwingen, zu früh zu viel Ware in die Läden zu bringen, die zu wenige wollen, in deren Windschatten aber ein paar begehrte Handtaschen und Sneakers verkauft werden.

Wir fragten uns, wann hören die alle, wir alle endlich den Schuss? Und so beschlossen wir: Erst mal Pause machen. Erst mal gar keine Kollektion, erst mal keine große Show mehr - kann ja ohnehin keiner kommen. Keine Überhitzung mehr. Keine Überreizung mehr.

Und jetzt? Haben wir behutsam - mit viel Zeit, mit viel Ruhe, mit viel Reflexion - eine Kollektion gemacht, die im Sommer, wenn hoffentlich Lockdown, Mutationen und Impfchaos hinter uns liegen, in unsere Läden kommen wird. In limitierter Auflage, in entspannter Preislage und in zeitlosem Design, die jeden Sale, zumal mitten in der Saison, überflüssig macht. Es ist eine Sommer-Kollektion, die tatsächlich erst im Sommer in die Läden kommt, und nicht im Winter davor. Es ist eine Kollektion, mit der wir den Kunden deren Wünsche von den Augen ablesen und nicht unsere! Und erst wenn diese Kollektion verkauft ist, machen wir die nächste.

Weniger. Langsamer. Nachhaltiger. Bewusster. Persönlicher. Das sind für uns die neuen Modeworte und die Erkenntnis, dass im Weglassen und Verzicht die Kunst liegt und nicht im ständigen Sich-selbst-Überholen. Bleibt zu wünschen, dass auch anderer Teile unserer Branche den Mut haben, sich in diese Richtung zu verändern.

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