Martin Glas, 44, ist Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in München. Seine Bilanz der Verkehrspolitik im Rathaus fällt vernichtend aus.
SZ: Was hat der Gefahren-Atlas aus Sicht des ADFC für Radler gebracht?
Martin Glas: Wenn ich ehrlich bin: Die meisten Leute haben ihn schon wieder vergessen, leider. Der Gefahren-Atlas war eine feine Sache, er hat das Rathaus für ein paar Wochen aufgerüttelt, ist dann aber aus der öffentlichen Debatte wieder verschwunden.
Woran liegt das?
Der Radverkehr interessiert die neue Koalition im Rathaus nicht besonders. Ich befürchte, dass sich bis zur kommenden Wahl in fünf Jahren auch nicht viel tun wird auf dem Gebiet.
Bilanz des Gefahren-Atlas:Was sich für Radfahrer bessert - und was nicht
Vor einem Jahr haben Sie brenzlige Stellen für Radfahrer und Fußgänger in München in den Gefahren-Atlas der SZ eingetragen. Was hat sich seitdem getan?
Dabei hat OB Dieter Reiter damals in der SZ angekündigt, den Radverkehr "ganz nah" bei sich haben zu wollen. Haben Sie davon etwas gespürt?
Nicht wirklich. Er hat sich im Wahlkampf durchaus für das Thema interessiert, die Radschnellwege zum Beispiel waren ihm wichtig; da ist aber noch nichts passiert. Ich habe generell den Eindruck, dass die SPD beim Radverkehr gerne abwartet, sie beschäftigt sich damit nur, weil der Radverkehr nun mal stark zunimmt. Die Impulse kamen früher von den Grünen, heute, wenn überhaupt, von der CSU. Wir hatten als ADFC mehrfach Gespräche mit den Christsozialen, auf eine Einladung vom OB oder der SPD warten wir immer noch.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Die Rathauskoalition lässt hie und da Radstreifen bauen, organisiert Radl-Sicherheitschecks, macht eine hübsche Kampagne - solange das nicht wehtut, ist alles gut. Aber die zukunftsträchtigen Großprojekte, die geht niemand an. München wächst wahnsinnig schnell, es fehlt überall in der Stadt an Platz, aber die Politik ordnet alles dem Autoverkehr unter. Radfahren aber ist platzsparender als Autofahren, man müsste jetzt in die Zukunft investieren, mit Infrastruktur klotzen und nicht kleckern.
Radverkehr in München:Lebensgefährlicher Nahkampf
Wenn das Rad eine echte Alternative im Berufsverkehr werden soll, braucht München nicht nur schnelle Radwege, sondern auch schnelle Lösungen. Gefahrenstellen gibt es genug.
Wo zum Beispiel?
Schlimm ist es in der Sparkassenstraße mitten in der Innenstadt, hier stauen sich die Autos ständig, mit dem Rad oder zu Fuß kommt man kaum noch durch. Die schmalen Radwege neben der Lindwurm- oder der Nymphenburger Straße sind eine Katastrophe, der Geh- und Radweg in der Zweibrückenstraße ein Witz. Man müsste hier Platz für den Radverkehr schaffen, aber dann würden die Autofahrer und die Geschäftsleute ins Rathaus marschieren. Das wären ziemlich unangenehme Diskussionen, und die vermeiden die Stadträte lieber. Die Verwaltung ist da engagierter.
Aber?
Sie wird oft ausgebremst. Neulich hat der Bezirksausschuss in Bogenhausen die Installation von acht Fahrradstellplätzen vor einem Supermarkt abgelehnt, weil dafür ein Pkw-Parkplatz hätte weichen müssen. An der Lautensackstraße in Laim sollten zwei Parkplätze verschwinden für eine Station der neuen MVG-Räder - abgelehnt. Das zeigt: Der Radverkehr hat in München gerade keine Priorität. Ob die Verwaltung die großen Baustellen, die ja sehr viel Arbeit bedeuten und sehr viel Zeit kosten, jetzt angeht, das ist mehr als zweifelhaft.
Wie sehr frustriert Sie das?
Sagen wir es mal so: Wir registrieren seit ein paar Monaten einen gewissen Zulauf. Wir bekommen auch deutlich mehr Zuschriften als in den Vorjahren. Das stärkt unsere Position und bestärkt uns darin, mit unserer Lobbyarbeit fortzufahren.
Sie haben viel auf die Politik geschimpft. Gibt es denn gar nichts, das Sie richtig macht?
Man könnte positiv vermerken, dass die Stadt nicht noch weniger tut. Aber wie gesagt: Bis 2020 habe ich wenig Hoffnung, dass sich die Situation für Radfahrer merklich verbessert.