Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Adel verpflichtet

Die Brückenbauer Europas: Der Adalbert Stifter Verein dokumentiert das Wirken von Aristokraten aus Böhmen und Mähren nach 1945.

Von Jutta Czeguhn, München

"Ich wollte die ganzen Jahre lang immer nach Hause zurück, und manchmal gelang es auch, für zwei, drei Tage. Aber als dann das Regime zusammenbrach, war das unglaublich! Der glücklichste Tag meines Lebens war der 20. Dezember 1989, als Václav Havel zum Präsidenten wurde." Karel Schwarzenberg spricht tschechisch, im Video laufen deutsche Untertitel mit. Manchmal fährt die Kamera der Interviewer ganz nahe an sein Gesicht heran, das alle Spuren eines langen Lebens zeigt. Der adlige Politiker, Jahrgang 1937, trägt ein schlichtes hellblaues Hemd, die bordeauxrote Fliege sitzt akkurat wie eh und je, nur sein berühmter Moustache ist grau geworden.

Tschechiens ehemaliger Außenminister wird gerade dieser Tage wieder viel zitiert, weil er schon 2014 bei einer Konferenz hellsichtig davon sprach, dass mit der Annexion der Krim das "Ende der Friedensepoche seit 1945" gekommen sei. Der berühmte, weltgewandte Fürst alleine könnte also mehr als genug Stoff liefern für eine Ausstellung. Doch in der Schau "Kulturelle Brücken in Europa. Adel aus Böhmen und Mähren nach 1945", die der Adalbert Stifter Verein in der Alfred-Kubin-Galerie im Sudetendeutschen Haus zeigt, ist er nicht der Hauptdarsteller. Ins Licht gerückt werden Menschen, die eher im Hintergrund wirkten und die vielfach nicht nur gemeinsame Blutlinien verbinden, sondern auch etwas, was man Gemeinsinn nennen könnte. Definitiv waren sie paneuropäische Netzwerker, zu Hause in mindestens zwei Kulturen und Sprachen, die Belcredis, die Lobkowicz', Thuns oder Waldstein-Wartenbergs.

Wie so viele Unternehmungen dieser Tage wird auch diese Ausstellung ihrem eigentlichen Anlass coronabedingt nachgereicht: Johanna von Herzogenberg, die dem Adalbert Stifter Verein 33 Jahre vorstand, hätte 2021 ihren 100. Geburtstag gefeiert. Nach 1945 aus Böhmen vertrieben und schließlich im zerbombten München gelandet, hatte sich die Baronin zeitlebens der Verständigung von Deutschen und Tschechen verschrieben. Filmmaterial in der Galerie zeigt, wie Johanna von Herzogenberg 2003 von Václav Havel die Verdienstmedaille der Tschechischen Republik verliehen bekommt; die ungeheure Freude, die sie darüber empfindet, überträgt sich selbst durch dieses alte grieselige Video.

"Wir haben ihr zum 90. Geburtstag bereits eine Ausstellung gewidmet, also wollten wir nun einen anderen Akzent setzen", erzählt Zuzana Jürgens, Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins, bei einem Rundgang durch die Schau, die sie mitkuratiert hat. Was der gebürtigen Pragerin bei den Recherchen in den Vereinsarchiven auffiel: Viele, die sich dort engagierten, waren wie Johanna von Herzogenberg Adelige aus Böhmen und Mähren, die vertrieben oder vor den Kommunisten geflüchtet waren. Auf großen Schautafeln und in den gefilmten Zeitzeugen-Interviews werden, auf deutsch und tschechisch, ihre Geschichten erzählt.

Die Exilierten schmuggeln verbotene Bücher in die Heimat

"Was willst du, es ist weg" - gewiss nicht alle nahmen den Verlust ihres Familienbesitzes so nüchtern hin wie Richard Moritz Karl Graf von Belcredi. Geboren in Brünn, war er 1948 über Österreich nach Frankreich emigriert. Nach abgebrochenem Jura-Studium an der Sorbonne und in Straßburg zog er nach München. Dort begann er als einer der ersten Redakteure bei Radio Free Europe zu arbeiten und blieb bis 1982. Wie Karel Schwarzenberg auf seinem Stammsitz im mittelfränkischen Scheinfeld ließ auch Belcredi Werke verbotener tschechischer Autoren drucken und in die Tschechoslowakei schmuggeln. Nach 1989 kehrte er in sein Heimatland zurück, in den Neunzigerjahren war er Botschafter in der Schweiz.

Ein anderer, den man in München kennen dürfte, wirkte er doch lange Jahre als Präsident der Universität München und anschließend der Katholischen Universität Eichstätt, ist Nikolaus Prinz Lobkowicz (1931-2019). Er entstammte einem der ältesten böhmischen Hochadelsgeschlechter, der heute in ganz Europa und Übersee verstreuten Familie entstammen zahlreiche bedeutende Politiker, Diplomaten, Unternehmer, Geistliche und Gelehrte. Lobkowicz selbst war Philosoph und Politikwissenschaftler, er lehrte, ehe er 1968 nach München kam, in den USA und blieb amerikanischer Staatsbürger.

Wie Lobkowicz haben viele der Adelspersönlichkeiten in ihrem Leben mehr als nur einmal die Staatsbürgerschaft gewechselt, das zeigen die Pässe in den Vitrinen. Im Zuge ihrer Recherchen öffneten sich für die Kuratoren viele Familienarchive, so dass sie nun auch persönliche Dokumente wie Briefe, Tagebücher oder Orden zeigen können. Eine überraschende Entdeckung war für Zuzana Jürgens Margarethe Gräfin von Waldstein-Wartenberg, die alle "Daisy" nannten. Die gebürtige Mährin fand sich 1946 in Wien wieder, wo sie nicht nur den österreichischen, sondern auch den tschechischen Malteser Hilfsdienst mit aufbaute und den freiwilligen Alten- und Behinderten-Pflegedienst in Wien auf den Weg brachte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte sie ihr Engagement fort, bis ins hohe Alter pendelte sie zwischen Wien, Mähren und Böhmen.

Revanchismus scheint diesen Aristokraten fern zu sein. Wie "Daisy" von Waldstein-Wartenberg oder Fürst Schwarzenberg kehrten viele nach 1989 in ihre Heimat zurück, nicht nur weil sie ihren Besitz zum Teil restituiert bekamen, sondern weil sie sich den Menschen dort verpflichtet fühlten. Laut Zuzana Jürgens spricht von einem "kosmopolitischen Patriotismus". Die Frage, inwieweit die Angehörigen der Adelshäuser aus Böhmen und Mähren, von denen sich bei einer Volkszählung 1939 rund 70 Prozent zur deutschen Nationalität bekannten, mit den Nationalsozialisten sympathisierten oder paktierten, streift die Schau nur kurz. Der Fokus ist auf die Zeit nach 1945 gerichtet. Und doch trägt die Ausstellung zur an Wunden und Widersprüchen reichen deutsch-tschechischen Geschichte ein weiteres Mosaikteilchen bei.

"Kulturelle Brücken in Europa. Adel aus Böhmen und Mähren nach 1945", Alfred-Kubin-Galerie im Sudetendeutschen Haus, Hochstraße 8, bis 26. Juni, Näheres, auch zum Begleitprogramm, unter www.stifterverein.de.

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