Abtreibungen aus finanziellen Gründen:Wenn der Kinderwunsch zu teuer wird

Zwar sinkt die Zahl der Abtreibungen - doch jene Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, nennen immer häufiger finanzielle Sorgen als Grund: Vor allem in Städten wie München belastet die Angst, das Leben mit Nachwuchs nicht finanzieren zu können, viele werdende Mütter.

Silke Bigalke

Als Tuba Yildiz erfuhr, dass sie schwanger ist, wollte sie das Kind abtreiben lassen. Die 34-jährige Münchnerin hat bereits zwei Töchter und einen Sohn, elf, sieben und sechs Jahre alt. Das vergangene Jahr war hart für die Familie. Die Logistik-Firma des Mannes machte Pleite, er wurde Hartz-IV-Empfänger. Seit September hat er einen neuen Job. Doch die Angst, dass das Geld nicht reicht, bleibt. Ein viertes Kind hatte da gerade noch gefehlt. Ende Januar ging Yildiz zur Konfliktberatung, die jede Schwangere vor einer Abtreibung machen muss. Jetzt ist sie erleichtert, dass sie sich trotz allem für das Kind entschieden hat. "Es wird eine schwierige Zeit", sagt sie. "Aber ich habe schon einige schwere Zeiten überstanden."

Finanzielle Sorgen sind immer häufiger ein Grund dafür, dass schwangere Frauen über Abbruch nachdenken. Das heißt nicht, dass die Zahl der Abtreibungen steigt. Doch die Frage, die Frauen im Großraum München in die Konfliktberatung treibt, lautet immer häufiger: Kann ich mir ein Kind leisten? Von den 515 Frauen etwa, die 2011 in die evangelische Beratung in der Landwehrstraße kamen, sprach jede zweite von finanziellen Problemen. 2006 war es nur jede vierte.

Auch in anderen Beratungsstellen zählen Geldsorgen oft zu den fünf häufigsten Gründen für den Abtreibungswunsch. Dabei ist es selten Geld allein, meistens kommt ein Bündel an Sorgen zusammen. An der Spitze stehen "Angst vor der Zukunft", "Sorge, um Ausbildungsplatz oder Beruf", "psychische und physische Überforderung", "Schwierigkeiten mit dem Partner" und "fehlende Kinderbetreuung".

In München gefährden vor allem die hohen Mieten die Familienplanung. Wenn beide Partner verdienen, gehe oft ein Einkommen für die Wohnung drauf, das andere braucht die Familie zum Leben, sagt Beraterin Eva Zattler von "Pro Familia": "Wenn dann ein Gehalt wegfällt, kommt das ganze Konzept ins Wanken." Eine große Sorge sei, dass man die Wohnung aufgeben muss und keine neue findet, sagt auch Gisela Dressel, Leiterin von "Frauen beraten" in Neuperlach. Weiter an den Stadtrand zu ziehen ist keine Lösung. Alles im S-Bahn-Bereich sei teuer, und dann kämen noch die Fahrtkosten dazu. "In Großstädten wie München kann der Mangel an preiswertem Wohnraum für Familien ein besonderes Problem darstellen", räumt selbst das Bayerische Familienministerium ein. Wegen der hohen Münchner Mieten liege auch das Preisniveau in der Stadt rund 20 Prozent über bayerischem Schnitt.

"Das ist sehr München-spezifisch", sagt Sabine Simon, Leiterin der Schwangerschaftsberatung im Evangelischen Beratungszentrum. "Wir können den Familien nicht einmal sagen, wir finden eine Sozialwohnung für sie." 21.000 Anträge auf Sozialwohnungen erhält die Stadt im Jahr, 11.000 erfüllen die Voraussetzungen, 6000 haben Dringlichkeitsstufe eins. Doch jährlich werden nur 3500 Wohnungen frei. Die Warteschlange ist lang. Auch Tuba Yildiz steht jetzt an.

Angst vor dem sozialen Abstieg

Neben der Wohnungsnot sieht Zattler von "Pro Familie" ein weiteres Problem: Viele schwangere Frauen haben Angst davor, ihren Job zu verlieren und sozial abzusteigen. Zattlers Beratungsstelle in der Türkenstraße liegt in der Nähe der Uni. Vergangenes Jahr kamen 4575 Frauen, die Hälfte von ihnen zur Konfliktberatung vor einem Abbruch. Es waren vor allem 18- bis 25-Jährige, zum großen Teil alleinstehend. Jede zweite von ihnen fürchte, die Situation materiell nicht bewältigen zu können, sagt Zattler.

Die häufigsten Ängste seien, eine ohnehin befristete Stelle durch die Schwangerschaft zu verlieren, nach der Elternzeit auf der Kündigungsliste zu stehen oder eine Ausbildung nicht beenden zu können. "Gerade Frauen müssen sehr auf ihre Biografie achten", sagt Zattler. Sie müssten sich heute mehr als früher auch unabhängig vom Partner absichern.

Wenn das Kind kommt, ist zumindest ein Elternteil zeitweise raus aus dem Beruf. Wer, womöglich nach einer Elternzeit, zurück in den Job will, braucht eine Kinderbetreuung. Die Nachfrage ist in München größer als das Angebot: Laut Bildungsreferat brauchen 60 Prozent der Kinder bis drei Jahren einen Platz. Rechnet man Krippen, Eltern-Kind-Initiativen und Tagespflege zusammen, reicht es aber nur für 36 Prozent.

"Frauen, die alleinerziehend werden und möglichst schnell weiterarbeiten wollen, haben in München ein gehöriges Problem", sagt Dressel von "Frauen beraten". Wenn sie nicht arbeiten und das Elterngeld läuft aus, landen sie schnell bei Hartz IV. Gekoppelt mit sozialem Abstieg schreckt das die Frauen enorm ab, beobachtet Doris Hofmann von Donum Vitae. Seit 2011 wird das Elterngeld zudem auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet, das Minimum von 300 Euro kommt damit gar nicht mehr bei den Eltern an.

Hofmann leitet die Beratungsstelle von Donum Vitae in Freising mit der Außenstelle Haar. 2011 kamen 230 Frauen zu ihr, die wenigsten haben ein finanzielles Polster, viele haben Schulden. "München ist keine Stadt, die großartig kinderfreundlich ist", sagt die Beraterin. Vor allem nicht so gut gestellte Schwangere haben Angst, "dass die Kinder gesellschaftlich nicht mithalten können, nicht akzeptiert werden. Es gibt einen enormen Druck, materiell bestehen zu können."

Hilfe wird ungern angenommen. Das hat auch mit bürokratischen Hürden zu tun. "Oft sind wir wochenlang damit beschäftigt, alle Anträge zu stellen", sagt Simon - etwa für Kindergeld, Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, das bayerische Landeserziehungsgeld, Zuschuss für Krippenessen und und und.

Das zeigt aber auch, dass geholfen werden kann. "Entscheidend ist, dass man das in Anspruch nimmt", sagt Gerhard Schmid, Leiter des Gesundheitsamtes des Landkreises München. Er gibt zu, dass das System sehr bürokratisch ist und die Betroffenen "mangels Spezialkenntnissen" überfordert seien. Seine Schwangerschaftsberaterinnen im Landratsamt hätten da einen Vorteil: Auf Wunsch könnten sie gleich beim Sozialamt oder im Jobcenter anrufen und die werdende Mutter vorbeischicken.

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