Abschiebungen nach Afghanistan:Wirtschaftlich Unfug - menschlich eine Katastrophe

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Einer von "Seehofers 69" ist zurückgekehrt - der Vorgang ist auch ein Lehrstück über absurdes deutsches Verwaltungshandeln, so Leser

"Einer der 69 ist zurück" vom 10. September:

Freude einerseits und Wut andererseits: Das sind die Gefühle, wenn man den Bericht "Einer der 69 ist zurück" über die Rückkehr eines der 69 vor rund einem Jahr abgeschobenen Afghanen liest - eine Abschiebung, die der damalige bayerische Ministerpräsident Seehofer zynisch mit seinem 69. Geburtstag in Verbindung brachte und mit sichtlicher Genugtuung kommentierte. Freude also, dass es zumindest einem der abgeschobenen Menschen gelungen ist, zurückzukommen.

Wut aber auch über das, was der aktuelle Fall exemplarisch aufzeigt. Jetzt nämlich wird zweierlei deutlich. Zu einem zeigt sich, wie verlogen die Behauptung von Staatsseite war und ist, es würden hauptsächlich "Straftäter" abgeschoben. Zu letzteren zählte Marof Khil ganz offenbar nicht - sonst hätte man ihn sicher nicht mehr einreisen lassen und ihm eine Ausbildungsgenehmigung erteilt. Ganz im Gegenteil: Der Mann hatte vor der Abschiebung hier sieben Jahre lang gelebt, war gut integriert, hat jahrelang zur offenbar großen Zufriedenheit der ihn beschäftigenden Firma gearbeitet.

Wütend macht aber nicht nur, wie man die Einstellung von uns Bürgern zur Flüchtlingsfrage mit falschen Aussagen manipuliert und sich dann auch noch höhnisch über die verzweifelten Menschen lustig macht, für die die Abschiebung in ein nicht wie von Politikseite behauptetes "sicheres Herkunftsland", sondern in ein vom Terror beherrschtes, gerade auch für Europa-Rückkehrer höchst unsicheres Land einer persönlichen Katastrophe gleichkommt.

Wütend macht darüber hinaus auch, wie sehr man die Interessen der Wirtschaft und damit der Gesellschaft insgesamt ignoriert.

Ein Großteil der hier arbeitenden Flüchtlinge ist in Mangelberufen tätig, so wie etwa im Baubereich, wo Herr Khil als Hilfsschweißer arbeitete. Die Arbeitgeber brauchen ihre Mitarbeiter in aller Regel dringend - die Bäcker und Metzger beispielsweise, die keine Auszubildenden für diese Berufe mehr finden, die alles versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten, und dann erleben müssen, wie diese bei negativem Ausgang des Asylverfahrens als "ausreisepflichtig" gelten und ihre Arbeitsgenehmigung verlieren.

Statt in seinen Wahlkampfreden - so, wie etwa jetzt in Markt Indersdorf - den Blick auf straffällig gewordene Flüchtlinge zu richten und Ängste in der Bevölkerung zu schüren, sollte der Bundesinnenminister vielleicht einmal dorthin schauen, wo Menschen in Altersheimen und Krankenhäusern gepflegt werden - und dies auch jetzt schon manchmal von Männern und Frauen, die erst vor wenigen Jahren, etwa aus Afrika, nach Deutschland kamen und hier bereits eine Ausbildung zur Pflegekraft gemacht haben. Wir sollten verstärkt durch konkrete Bleibezusagen mit Dauerperspektive Anreize schaffen, die deutsche Sprache zu lernen und entsprechende Ausbildungen zu machen. Man rechnet, dass rund 30 Prozent des heutigen Pflegepersonals in Krankenhäusern in wenigen Jahren in Rente geht - was dann, Herr Seehofer? Wer wird Sie, mich, uns alle in einer überalterten Gesellschaft dann noch pflegen können und wollen?

Und auch etwas Drittes zeigt der Artikel über die Rückkehr von Marof Khil auf: die enorm wichtige Rolle der Flüchtlingshelfer. Nicht der Staat war es, der den Mann aus Afghanistan zurückgeholt hat - der erteilte zuletzt nur seine Genehmigung hierzu - sondern die tüchtigen, unermüdlich für den Mann kämpfenden Helfer hier vor Ort. Helfer, die Deutschunterricht geben, bei Behördengängen assistieren, Jobs vermitteln, die bei der vom Staat gewünschten und nötigen Integration wertvollste Arbeit leisten. Die für den Staat mithin unersetzlich sind, mittlerweile aber mehr und mehr an den Grenzen ihrer Kraft agieren, weil sie so wie die Betroffen selbst oft genug verzweifeln möchten angesichts staatlichen Handels, staatlicher Entscheidungen und dem offensichtlichen Bemühen so manchen Politikers vom Schlage eines Seehofer, der dem rechten politischen Spektrum Wählerstimmen abjagen will. Keine Frage: Wir werden bezahlen müssen für einen solch eklatanten Mangel an Zukunftsverantwortung und auch an Mitmenschlichkeit. Dr. Roderich Zauscher, Odelzhausen

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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