Abriss in Giesing:Jetzt aber unter Aufsicht

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Das denkmalgeschützte Haus in Obergiesing war am 1. September eingerissen worden. Nun werden die Reste weggeräumt und eingelagert. (Foto: Robert Haas)

Vermutlich ist nie in der Geschichte Münchens der Abtransport eines Schutthaufens derart begleitet worden: Zig Beamte beobachten die Szenerie am illegal abgerissenen Uhrmacherhäusls.

Reportage von Anna Hoben

Es fängt gleich mal mit dem Showdown an. Um Viertel vor sieben an diesem Donnerstagmorgen ist Barbara Kress von Geräuschen geweckt worden. Zwei Stunden später steht sie wieder unten auf der Straße und erzählt. Sie war aus dem Bett gesprungen, ein Blick aus dem Fenster zeigte: Lkw und Bagger im Anrollen. Barbara Kress, 73, wusste natürlich, dass an diesem Tag das große Aufräumen beginnen sollte. Aber, so hatte es doch geheißen: unter Aufsicht. Sie sah aber nur Bagger und Bauarbeiter, wie ein Denkmalschützer oder Behördenmensch sah keiner aus. Sie würde selbst handeln müssen. Die Aufsicht, das war vorerst sie.

Kurz darauf standen Barbara Kress und ihr Mann unten auf der Straße - und vor einem Bagger. Die Bauarbeiter waren sauer, sie hätten eine Erlaubnis, sagten sie. Doch seit Bagger am 1. September das Uhrmacherhäusl neben ihrem Wohnhaus platt machten, sind die Nachbarn in Giesing skeptisch, wenn sie Männer sehen, die am Steuer von Baggern sitzen. "Wer sagt denn, dass der nicht gleich ins nächste Haus fährt", so gehen hier nun die Sprüche.

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Es ist Symbolpolitik, aber im positiven Sinn

Barbara Kress, ihr Mann Lun Tuchnowski und eine weitere Nachbarin stellten sich also dem Bagger entgegen, "der fuhr dann auf meinen Mann zu", sagt Kress, und es habe ein paar Rüpeleien gegeben, woraufhin sie, die Nachbarn, die Polizei gerufen hätten. Und die Bauarbeiter seien erst einmal wieder abgezogen.

Um neun Uhr würde das Aufräumen beginnen, das hatte die Stadt angekündigt. Aufräumen, das bedeutet in diesem Fall auch: Schauen, was noch zu retten ist. Denn der Eigentümer, der das denkmalgeschützte geduckte Häuschen in der historischen Giesinger Feldmüllersiedlung trotz eines verhängten Baustopps hat abreißen lassen, muss es in seiner alten Form wieder aufbauen, und möglicherweise kann sogar ein Teil der alten Steine und Balken dafür genutzt werden.

Die Stadt werde den Wiederaufbau "mit allen rechtlichen Mitteln" durchsetzen, hat Oberbürgermeister Dieter Reiter angekündigt. Es ist Symbolpolitik, aber im positiven Sinn. Wer einfach so illegal ein Haus abreißt, der darf nicht ungeschoren davonkommen; und schon gar nicht darf er dafür belohnt werden - dieses Zeichen soll von Giesing ausgesandt werden. Denn über ein Bußgeld von maximal 500 000 Euro dürfte der Bauherr wohl nur müde lächeln angesichts des Gewinns, den er aus dem Bau eines größeren Hauses mit vielen schicken Wohnungen ziehen könnte.

"Das ist wie beim Zahnarzt"

Deshalb sind sie nun alle hier und bilden ein Grüppchen auf dem Bürgersteig gegenüber der Baustelle, manche mit weißen Helmen in der Hand: Mitarbeiter der Lokalbaukommission und vom Landesamt für Denkmalpflege, samt dessen Chef Mathias Pfeil, Bayerns oberstem Denkmalschützer, außerdem ein Mann vom städtischen Umweltreferat, er soll kontrollieren, dass jenes Material, das nicht schützenswert ist, sondern entsorgt werden kann, auch korrekt entsorgt wird. "Das ist wie beim Zahnarzt", sagt Pfeil, "man hat einen kariösen Zahn und guckt: Was kann man noch retten?" Gibt es gut erhaltene Mauerreste? Was ist mit den Dachziegeln, mit der Giebelwand? Wie sieht der Keller aus?

Die Welt erschließe sich durch genaue Betrachtung, schreibt der Denkmalschützer, der privat mit Leidenschaft malt und fotografiert, auf seiner Internetseite. Und, tja, betrachten würden seine Leute die Baustelle ja gern, einen Blick unter die Schutt-Oberfläche werfen. Allein, es tut sich nichts. Nicht um neun, nicht um halb zehn, nicht um zehn. Während alle frieren, entfernt ein einsamer Bauarbeiter im T-Shirt von den Holzstapeln ein paar Planen, aus denen sich kleine Wasserfälle auf die Straße ergießen.

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Das Grüppchen auf dem Bürgersteig: Männer (und ein paar Frauen), die auf Trümmer starren. Auf und ab gehen. "Alle rennen s' und keiner arbeitet, das gibt's doch ned", kommentiert eine alte Frau mit Rollator die Szene. "Das alte Glump ist doch in fünf Minuten gmacht." Dass das Haus wieder aufgebaut werden soll, begrüßt sie jedoch: "Alles dürfen s' den Millionären nicht durchgehen lassen."

Es muss nun allerdings erst einmal auf den Statiker gewartet werden, der den Experten sagt, wo auf dem "alten Glump" sie hintreten dürfen und wo nicht. Dass die Anwohner sich am frühen Morgen dem Bagger entgegengestellt haben, hat den Zeitplan durcheinandergewirbelt. Der Plan wäre gewesen: Die Bauarbeiter bereiten die Baustelle vor, räumen den Bauzaun weg und befreien den Schutt von Plastikplanen, damit die Denkmalschützer sich gleich um neun Uhr ein Bild machen können. "Ich verstehe aber, dass die Anwohner Angst haben", sagt der Denkmalschützer Pfeil. Angst, dass wieder etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dass auch die letzten Spuren noch beseitigt werden, dass noch mehr zerstört wird.

Um halb elf kommt ein Lastwagen angefahren und lädt einen blauen Container auf der Straße ab. Kurz darauf setzt sich ein Bagger in Bewegung. Holzbalken für Holzbalken verschwindet im Container, um später entsorgt zu werden. An diesem Tag könne man noch keine Aussage treffen zum Zustand des historischen Materials, heißt es am späten Nachmittag aus dem Landesdenkmalamt. Indes wartet die Stadt auf die Stellungnahme der Anwälte des Eigentümers. Sobald sie da ist, soll entschieden werden, wie es weitergeht.

Wo die möglicherweise schützenswerten Teile deponiert werden, dieses Geheimnis scheint der Stadt München jedenfalls ebenso schützenswert zu sein, wie es das alte Uhrmacherhäusl eigentlich gewesen wäre. Eine Auskunft dazu gibt es nicht. Ein Mitarbeiter der Lokalbaukommission fragt nur zurück: "Sollen wir etwa noch eine Pilgerstätte schaffen?"

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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