Abi Ofarim:"Man muss unten sein, um Schwung zu holen"

In den Sechzigern war Abi Ofarim ein Star, dann folgten Drogensucht und Gefängnis - jetzt bringt der 71-Jährige ein neues Album heraus.

Stephan Handel

Hinein mit der Pranke in die Pommes, eine Handvoll davon auf die Alufolie, die die Kellnerin gebracht hat, eines der beiden Schnitzel hinterher, bitte einpacken. "Das gibt's heute Abend", murmelt Abi Ofarim. "Kann nicht so viel essen. Muss abnehmen." Wenn einer ein Weltstar war, dann darf er das - auch wenn er mittlerweile älter als 70 Jahre ist, die Haare bis über die Schultern trägt und an jedem Finger einen fetten Ring, einer davon ein Totenkopf. "Ich war immer schon ein Rocker", sagt Abi Ofarim.

Abi Ofarim: Neben zahlreichen anderen Amouren war Ofarim in den 1960er Jahren einige Zeit mit Iris Berben liiert.

Neben zahlreichen anderen Amouren war Ofarim in den 1960er Jahren einige Zeit mit Iris Berben liiert.

(Foto: Foto: SZ-Archiv)

Und Rocker sein, das bedeutet vor allem: sich von niemandem etwas sagen lassen. Und weil Abi Ofarim plötzlich Lust hatte, doch noch einmal eine Platte zu machen, ist er ins Studio gegangen - genauer gesagt: Er, der gebürtige Israeli, ist nach Tel Aviv geflogen, hat sich Musiker gesucht, und dann ist er ins Studio gegangen -, er hat getextet und komponiert, gemischt und ausprobiert. Zwei Jahre hat er sich Zeit gelassen. In vierzehn Tagen erscheint "Too much of something", die erste Ofarim-Platte seit 27 Jahren.

"Das ist das Beste, was ich jemals gemacht habe", sagt er, und das ist erstaunlich für einen, der sich 59 goldene Schallplatten an die Wände hängen könnte, was er aber nicht tut, ein paar davon müssen reichen. Die meisten davon hat er mit seiner ersten Frau Esther eingesungen, ein echtes Superstar-Paar der 1960er Jahre: Esther stand vorne und sang mit ihrer engelsgleichen Stimme, Abi spielte Gitarre und markierte den Chor, "ein Grizzlybär", wie eine englische Zeitung schrieb, "der auf der Bühne immer versuchte, ein romantisches Gesicht zu machen".

Der Erfolg des Duos lag auch daran, das die beiden auf der Bühne stets das wahnsinnig verliebte Paar darstellten, was auf der einen Seite auch stimmte. Auf der anderen Seite trug jeder sein eigenes Päckchen an Komplexen mit sich herum: Esther, die Scheue, wollte eigentlich lieber zu Hause bleiben und ihre Ruhe haben. Abi war eifersüchtig, weil er merkte, dass er ohne seine Frau nie diesen Riesenerfolg haben würde. Von 1959 bis 1969 ging das gut, dann - Scheidung, getrennt von Tisch und Mikrophon. Und danach, man muss es so sagen, gab es lange Zeit nur noch eine Richtung in Abis Leben: bergab.

"Der ist doch drogensüchtig"

"Man muss erst ganz unten sein, damit man Schwung holen kann, um wieder nach oben zu kommen", sagt er nach dem Schnitzel im Café Schwabing, und er meint das kein bisschen ironisch. In den Sechzigern ein Popstar - da war es doch normal, das weißes Pulver in Massen herumlag, wer nicht mitmachte, der gehörte nicht dazu. Und weil es immer Abis Bestreben war, dazuzugehören, weil er zudem in dem Wahn lebte, nichts könne ihm passieren, niemand könne ihm etwas tun, deshalb machte er mit. Von Kokain mag er nicht reden, er sagt: "Unerlaubte Medikamente. Alkohol und Zigaretten sind ja auch Drogen, aber erlaubte."

Das ist nun ein bisschen beschönigend, denn wenn einer ständig die Nase voll hat, außerdem noch zwei Flaschen Wodka am Tag säuft, dann kann von einem kontrollierten Umgang keine Rede mehr sein. Ofarim arbeitet damals mit Margot Werner zusammen, die von der Tänzerin zur Chansonnière werden wollte. La Werner fand ihren Produzenten immer unzuverlässiger, sprunghafter, und als sie ihn verklagte, fiel der Satz: "Der ist doch drogensüchtig".

Das hörte der Staatsanwalt, Ofarim machte vier Wochen lang Bekanntschaft mit der U-Haft in Stadelheim. Später wurde er zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt. Heute sagt er den Satz, den auch Konstantin Wecker sagte, als er wegen seiner Kokainsucht ins Gefängnis kam: "Wenn sie mich nicht verhaftet hätten, würde ich nicht mehr leben." 1979 war das, und wenn es ein Beispiel gibt, dass Strafjustiz etwas zum Besseren wenden kann, dann ist es Abi Ofarim - keine Drogen mehr seit damals, kein Alkohol, vor sechs Wochen hat er sogar aufgehört zu rauchen "Yes", ruft er und streckt die Faust nach oben.

Die Queen und ein Mops

Abi Ofarims Wohnung in Schwabing ist ein Devotionalienladen - Buddhas und andere mystische Figuren stehen herum, es müssen Hunderte sein. Das ist aber nur das eine. Das andere ist die Dokumentation seiner Karriere: Die goldenen Schallplatten.

Die Fotos, die ihn und Esther bei der Queen zeigen oder Abi im Jedermann bei den Salzachfestspielen, es könnte auch bei der Oberammergauer Passion sein. Über dem Sofa ein Bild, aber was heißt ein Bild: Eine Tapete, geschätzte zwei Meter breit und fast ebenso hoch, Abi stehend, vor ihm auf einer Couch seine beiden Söhne Gil und Tal. Ein Mops durfte auch noch mit drauf, aber was das bedeuten soll, ist unklar.

Im Bravo-Fotoroman

Seine Söhne. Abi erzählt die Geschichte, wie Gil, vier Jahre alt damals, ganz stolz zu ihm kam: Er könne jetzt Gitarre spielen. Schnappte sich eines von Abis Instrumenten, markierte ein wenig einen Gitarristen. Bedauerlicherweise hatte er vorher ein Video von The Who gesehen, die dafür bekannt waren, am Ende ihrer Auftritte ihre Instrumente zu zerstören. So ließ eine mehrere tausend Euro teure Gitarre ihr Leben in einem Münchner Kinderzimmer.

"Ich wollte nie, dass meine Söhne Musiker werden", sagt Ofarim. Zu genau kennt er die Hinterhältigkeiten der Branche, die Verlockungen, den ungeheuren Einsatz, der zu leisten ist bei höchst zweifelhaften Erfolgsaussichten. Aber Talent bricht sich Bahn - Gil, weichgesichtiger Gitarrist und Sänger, 27 Jahre alt heute, war so etwas wie ein Teenie-Star, seit er in einem Bravo-Fotoroman mitspielen durfte. Heute aber will er ernsthafte Rockmusik machen, zusammen mit Tal, dem Bassisten, in der Band "Zoo Army". Sie sind gerade auf Ochsentour, das heißt: Man hört nicht so wahnsinnig viel von ihnen. Aber beide haben zu tun damit, dass Abi nun selber wieder ins Scheinwerferlicht will.

Wer, wenn nicht er, sollte sich um die Jungs kümmern? Der Vater produzierte und managte die Söhne, was nicht die beste aller möglichen Kombinationen ist: "Der Vater ist ein Bremser, der Manager ist ein Pusher", sagt Abi. Irgendwann meinten seine Söhne, sie bräuchten eher einen Vater als einen Manager. Und damit ihm nicht langweilig wurde, entstand die Idee, er könnte doch selber eigentlich auch wieder...

Säge und Kaninchenfell

Süßen Kaffee mit Kardamom hat Abi gekocht und schenkt ihn aus einer Stielkanne in winzige Tässchen. Er erzählt von seiner Musik, und tatsächlich: Die wahrscheinlichste Reaktion beim Hören der neuen CD ist: "Das hätte ich dem nicht zugetraut." Es rockt und es geht vorwärts, Abis Stimme ist eine Säge und ein Kaninchenfell, moderner Rock, bei dem niemand, der es nicht weiß, auf die Idee kommen würde, da musiziere einer, der ohne weiteres schon Großvater sein könnte.

Um eine Woche hat Ofarim das Erscheinen des Albums verschoben, das Booklet eingestampft und ein neues drucken lassen: Ein Foto von Monti Lüftner sollte unbedingt noch hinein, dem Musikmanager, der vor einer Woche bei einem Unfall starb. "Dem Monti habe ich so viel zu verdanken", sagt Abi, unter anderem habe er dafür gesorgt, dass Sony BMG das neue Album vertreiben wird. Selbstverständlich war Monti da, als er im Januar die Songs der CD im Schlachthof vorstellte, und so ziemlich alles, was die Münchner Szene so zu bieten hat an fotografierenswerten Menschen. Sie feierten Abi, und eine Zeitung schrieb später, jeder habe hören können, was für ein Könner da auf der Bühne stand. "Dabei hatte ich 39 Grad Fieber", sagt er. "Aber wenn ich abgesagt hätte, hätten alle gemeint, der alte Mann hat gekniffen."

"Mama, o Mama"

Jetzt schnappt er sich eine Gitarre, die neben dem Sofa steht, denn er muss was vorsingen: "Mama, o Mama", von dem 1982-er-Album "Much too Much", das letzte musikalische Lebenszeichen vor "Too much of something". Das Lied ist eine ganz schlimme Schnulze, das gibt er selbst zu, aber Abi zeigt auch beim Privatkonzert für nur einen Zuhörer alles: Schließt die Augen, schluchzt und zagt, die Nachbarn werden ihre Freude haben an diesem Schwabinger Nachmittag.

Und, auch das ist wichtig, das Lied gibt es auch noch auf Englisch, hör mal. Und auf Hebräisch, hör noch mal. Ehrlich gesagt: Wenn man den Text nicht versteht, ist der Song gar nicht so schlecht. Und Ofarim ist zwar kein Virtuose auf der Gitarre, aber er weiß, was er tut. "Ich kenne ein paar Tricks", sagt er.

Zunächst einmal hat er bei der neuen Produktion alles selbst bezahlt, die Musiker in Tel Aviv, die Postproduktion in Deutschland. Gil und Tal haben auch mitgespielt, Abi sagt, sie hätten ihn oft ermutigt, sich noch mehr zu trauen. Gil hat ein Lied beigesteuert, "Goodbye", neben dessen Text im Booklet jetzt Montis Foto montiert wird. Auf kommerziellen Erfolg pfeife er, sagt Abi Ofarim - auch, weil er weiß, dass der CD-Markt seinem Verschwinden entgegensieht: "Ich will, dass die Leute meine Musik hören. Ob sie die CD kaufen oder sie irgendwo herunterladen, ist doch egal."

Um die Menschen geht es ihm, sagt er dann noch: "Es gibt viel zu viele Leute und viel zu wenig Menschen." Klar, Botschaft, aber keine mit dem erhobenen Zeigefinger - eher mit dem gekrümmten, der die Menschen lockt: Komm her. Abi will kein Menschenfänger sein, auch kein Oberlehrer. Aber ein Menschenlocker, der in und mit seiner Musik Geschichten erzählt, die die Menschen annehmen können oder auch nicht.

Mehr als 50 Jahre im Showbiz. Ein Getriebener zu Beginn, der nichts anderes wollte, als in Amerika auftreten - und der, als er das geschafft hatte, merkte, dass die Sehnsucht nach irgendetwas, nach mehr nicht gestillt wird, wenn sich Wünsche erfüllen. Der sein Leben dopte, bis das Dope ihn das Leben fast gekostet hätte. Der fast 30 Jahre lang im Hintergrund, für andere arbeitete. Und der es heute noch einmal selbst versuchen will. Heute muss man sich Abi Ofarim als glücklichen Menschen vorstellen. Und am Abend gibt's Schnitzel.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: