Abgasskandal:"Wir werden unser Auto einfach verschrotten"

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Viele Diesel-Autos landen mit deutlichem Wertverlust beim Gebrauchtwagenhändler, wenn ihre Besitzer sie abstoßen wollen. (Foto: Florian Peljak)

Eine Anwaltskanzlei klärt Diesel-Besitzer über ihre Rechte auf. Die sind enttäuscht - von der Politik und der Industrie.

Von Manuel Kronenberg

Helmut Heyse ist ganz und gar nicht glücklich mit dem Thema Diesel. Nicht glücklich mit der Autoindustrie, nicht mit der Politik, nicht mit der eigenen Situation. Denn er fährt selbst Diesel. Ob seine beiden Fahrzeuge vom Abgasskandal betroffen sind, ist ihm dabei nicht einmal ganz klar. Denn das eine erfüllt zwar nur die Abgasnorm Euro 5, das andere habe er aber mit der klaren Intention gekauft, sich ein sauberes Auto anzuschaffen, erzählt Heyse. Er habe sich für einen Seat Leon mit Euro 6 entschieden. Doch inzwischen ist klar, dass auch Euro-6-Modelle von Manipulationen und Fahrverboten betroffen sein könnten. Dazu müssen Diesel-Besitzer mit erheblichen Wertverlusten rechnen.

Heyse erzählt, er sei selbst 30 Jahre lang in der freien Wirtschaft tätig gewesen. Auch deshalb sei er entsetzt über die Autohersteller. "Wie die Industrie mit den Kunden umgeht, ist ein Skandal", sagt er. "Bei der Sachlage könnte man erwarten, dass die Produzenten in Sack und Asche gehen und großzügige Angebote machen." Auf großzügige Angebote jedoch wartet er bis heute.

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Was können er und andere Betroffene unternehmen? Klagen? Bei vielen herrscht über die juristischen Möglichkeiten große Unklarheit. Heyse und knapp 70 weitere Betroffene sind deshalb zu einem Informationsabend gekommen im Holiday Inn in München, einer Stadt, in der die Luft manchmal so schlecht ist, dass nun Diesel-Fahrverbote drohen. Eingeladen wurden die Besucher von Wilhelm Lachmair, dem Gründer der Kanzlei "21 legal", der für die Veranstaltung mit vielen Flyern in Briefkästen geworben hat. Er klärt hier über juristische Möglichkeiten und seine rechtliche Einschätzung auf. Der Anwalt nennt den Dieselskandal den "größten Betrug der Industriegeschichte". Und er rät, gegen die Hersteller vorzugehen.

Lachmair weiß allerdings auch, dass das nicht so einfach ist. Als Einzelner gegen einen Konzern zu klagen, der genug Geld hat, um auch noch in die letzte Instanz zu gehen, ist riskant. Da zögerten viele, sagt er. Eine Chance sieht er aber in der Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Bundesverband und des ADAC gegen Volkswagen.

Ralf Stoll, dessen Rechtsanwaltsgesellschaft diese Klage führt, teilt Lachmairs Meinung im Wesentlichen. "Es ist ein bisschen zwiegespalten", wendet er jedoch ein. "Die Musterfeststellungsklage hat ihre Tücken." Denn im Zweifel seien zwei Prozesse notwendig, da Betroffene nach einem Urteil immer noch einzeln klagen müssten. "Diejenigen, die es sich leisten können, sollen lieber eine Einzelklage einreichen, weil es einfach schneller geht", sagt Stoll. Auch für Betroffene, die rechtsschutzversichert sind, sei dies sinnvoll.

"Für diejenigen, die es sich nicht leisten können, ist die Musterfeststellungsklage eine gute Möglichkeit", erklärt der Anwalt. Man müsse sich allerdings ins Klageregister eintragen, bevor die Ansprüche verjähren. "Wenn dann ein positives Urteil des Bundesgerichtshofs vorliegt, hat man viel weniger Risiken, als wenn man es von Anfang an alleine macht. Dann geht es nur noch um die Höhe des Schadensersatzes." Es könnte sogar dazu kommen, dass eine zusätzliche Einzelklage nicht mehr nötig ist. Nämlich dann, wenn es zu einem Vergleich mit VW kommt.

Allerdings schließt die Musterklage nur Autos mit einem EA189-Motor ein. Für alle übrigen Betroffenen existierten andere Möglichkeiten, sagt Stoll. So gebe es auch bereits Musterklagen gegen zwei Autobanken. Der Gedanke hierbei sei, dass Autohalter, die auf Kredit gekauft haben, den Finanzierungsvertrag anfechten - und zwar unabhängig davon, ob das Auto manipuliert wurde oder nicht. Auch die Möglichkeit der Prozessfinanzierung nennt Stoll.

"Wenn ich mich im Moment ins Auto setze, fühle ich mich richtig schlecht"

Im Holiday Inn erklärt eine Frau mittleren Alters nach der Informationsveranstaltung ein wenig ratlos, dass sie trotzdem nicht klagen werde. Ihr Touran sei zu alt und erfülle ohnehin nur die Euro-4-Norm, sagt sie. "Wir werden unser Auto einfach verschrotten oder verkaufen und ein Elektro-Auto kaufen." Sie ärgere sich nicht nur über drohende Fahrverbote und die Wertminderung des Fahrzeugs. Ihr sei auch ein umweltbewusstes Leben wichtig. Sie achte auf ökologisches Wohnen, nutze die öffentlichen Verkehrsmittel, ihr Mann fahre stets mit dem Fahrrad. "Wenn ich mich im Moment ins Auto setze, fühle ich mich richtig schlecht", sagt sie. Einen Diesel würde sie nie wieder kaufen. "Man fragt sich schon, auf was man sich noch verlassen kann", fügt sie frustriert hinzu. Vertrauen in die Auto-Industrie habe sie jedenfalls keines mehr.

Und die Politik? Was die mache, sei ein Skandal, sagt Heyse. Dass etwa Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Angelegenheit gut regelt, glaubt er nicht. Besonders weil dieser erst kürzlich äußerte, dass die Manipulationen der Hersteller nichts mit Fahrverboten und Problemen in den Innenstädten zu tun hätten. "Der hat doch auch in anderen Sachen von Verkehr keine Ahnung", sagt Heyse. Er jedenfalls werde prüfen lassen, ob sich eine Klage für ihn lohnt.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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