90er-Jahre-Parties:Zeitreise für 39 Euro

Lesezeit: 3 min

Haddaway auf der Mega90-er Party in der Münchner Olympiahalle (Foto: Stephan Rumpf)

Alberne Raumfahreranzüge, rappende Zahnärzte und ein Abend, der optisch ungefähr so weh tut wie eine Wurzelbehandlung. Warum besuchen Menschen eine Veranstaltung wie die Mega-90er-Party?

Von Oliver Klasen

Der rappende Zahnarzt aus Stockholm lässt sein Publikum erstmal warten - fast so, als sei es ein Kassenpatient, der im Wartezimmer auf abstrakte Kunstdrucke in Pastellfarben starren muss, bis er endlich auf den Behandlungsstuhl gebeten wird. 20 Minuten plätschert die Show von Dr. Alban dahin, die Songs entfalten wenig Druck, in Schwung gehalten wird das Ganze nur von den zuckenden Blitzen der Lichtanlage und von Menschen mit Bauchläden, die die Masse mit Bier, Caipirinha XXL und Red-Bull-irgendwas versorgen. Dann aber, um kurz vor 22 Uhr, spielt Dr. Alban sie endlich. Die beiden Knaller, die ihn berühmt gemacht haben, damals, Anfang der Neunziger: "It's my life" und "Sing Halleluja".

Die Glücksbotschaft, die er darin unters Volk bringt, ist eher schlicht angelegt. "Happy people, singing people, party people / Happy people, jamming on the party session, oh Lord". Aber sie verfängt. Für einen Moment sind tatsächlich "all hands up in the air" in der Münchner Olympiahalle.

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Dr. Alban, Haddaway oder 2 unlimited: Wer am Freitag Abend die Olympiahalle besuchte, wurde in ein anderes Jahrzehnt zurückversetzt. Nicht nur musikalisch.

"Mega 90er" heißt die Veranstaltung, gesponsert von einem privaten Fernsehsender. Der Abend in München ist der Auftakt zu einer Tour in mehr als einem Dutzend anderer Städte. Alle, die heute auftreten, waren früher mal groß. Sie haben Millionen CDs verkauft (Ja, damals kaufte man noch Tonträger mit Musik drauf). Sie waren monatelang in den Charts (Ja, die waren mal so wichtig, dass picklige 15-Jährige sie mit dem Radio-Kassettenrekorder mitschnitten und hofften, dass der Moderator nicht dazwischenquatschte.) Auf der Bühne stehen also, immer jeweils für Auftritte von etwa einer halben Stunde: 2Unlimited, Haddaway, East 17, Snap und eben Dr. Alban.

Was das Publikum zum Auftritt sagt

"Der hat keinen richtigen Bock gehabt", dieses harte Urteil fällen später Sarah, 34, und Steffen, 37, die extra aus der Schweiz angereist sind. Der Groll der beiden, die sich in der ersten Reihe postiert haben, wird noch verstärkt, weil Dr. Alban den Job, für ein Foto mit seinen Schweizer Fans zu posieren, eher lustlos erledigt.

Unabhängig davon, wie man die Showqualitäten des Zahnarztes einschätzt, zumindest optisch tut die Veranstaltung ungefähr so weh wie eine Wurzelbehandlung. Man sieht viel Neon. Leuchtende Stirnbänder, Armreife, Ohrringe, außerdem Batik-Shirts, ballonseidene Trainingsanzüge, um die Hüfte gebundene und nach unten hängende Jacken, Buffalo-Schuhe mit riesigen Plastikabsätzen und Leggins in allen denkbaren Musterungen.

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Ausverkauft ist die Halle nicht. Das Oval unten ist ordentlich gefüllt, aber auf den Rängen ist viel Platz. Während auf der großen Fläche vor der Bühne schon mal anspruchsvolle, hiphop-artige Ausfallschritte zur Anwendung kommen, wird oben teilweise nur halbgar und etwas roboterartig mitgewippt.

Wer zu so einer Veranstaltung kommt

Die Geburtsjahrgänge 1975 bis - sagen wir - 1982 sind extrem überrepräsentiert. Es sind fast alles Menschen, die die Eurodance-Phase damals schon mitgemacht haben. So wie Daniel Nippert, 35, und Christian Obermair, 43, die gerne an die Zeit zurückdenken, als "wir den Kasettenrekorder angemacht haben und dann sofort Party war". Oder wie die Lehrerinnen Susanne und Katharina, beide Abi 98, die sich in der Schlange vor der Garderobe daran erinnern, wie sie zu dieser Musik immer Discofox getanzt haben.

"Wir haben unsere Partner noch ohne Internet kennengelernt", so beschreibt Haddaway, übrigens Doktor der Politikwissenschaft, das Lebensgefühl dieser Generation. Während man noch überlegt, ob er damit recht hat, hält einem ein Partybesucher als Mikrofonersatz einen in Neonfarben leuchtenden Stab vor den Mund, mit der Aufforderung den Refrain von "What is love" mitzusingen. Haddaway, inzwischen 50, kann noch immer ganz gut ein ärmelloses, dunkles Hemd tragen und es lässt sich erahnen, dass er eine brauchbare Stimme hat, weil er, anders als die meisten anderen, auf Playback verzichtet.

Party ohne musikalische und modische Hemmungen in der Olympiahalle. (Foto: Stephan Rumpf)

Fast noch größeren Jubel als für die Neunzigerjahre-Acts gibt es in einer der Pausen, als auf der Videowand Gegenstände aus der damaligen Zeit eingeblendet werden. Altes Nokia-Handy? Riesenjubel. Walkman? Uhhhhhhhh. Tamagotchi? Der Saal rastet aus.

Zeitreise in das Jahr 1993

39 Euro haben die Besucher für die Karte bezahlt. Sie bekommen: eine Zeitreise. Gäbe es nicht die Smartphone-Displays, die viele in die Luft halten, um schwarze Umrisse vor einem farbig erleuchteten Hintergrund zu fotografieren, man könnte denken, es sei tatsächlich 1993. Man hat einiges vergessen seit dem, zum Beispiel auch, dass es bei Frau-Mann-Popmusik-Duos einmal Gesetz war, dass sie singt und gut aussieht, während er rappt und alberne Raumfahreranzüge trägt wie bei 2Unlimited.

"Es war die Nostalgie, die mich hergetrieben hat", sagt die 35-jährige Suse, die ein rot-grün-kariertes Flanellhemd trägt. Vielleicht erklärt es die Nostalgie aber nicht alleine. Vielleicht hat sich einfach unsere Ironiefähigkeit seit den Neunzigern weiterentwickelt. Vielleicht musste man früher hoffen, dass man im Elektromarkt nicht beobachtet wurde, wenn man für 10 Mark die Single von Dr. Alban kaufte, wo man doch eigentlich allen erzählt hatte, dass Nirvana die Lieblingsband sei. Inzwischen kann man die Neigung zum Eurodance und Trashpop hemmungslos ausleben - ist ja schließlich nur ironisch.

Gegen Ende, auf der Toilette der Olympiahalle. Es stinkt. Irgendjemand hat heimlich auf dem Klo geraucht. Wie 1993 auf dem Kleinstadt-Gymnasium. Auch in diesem Punkt ist der Abend also eine Zeitreise.

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