75 Jahre Hitler-Attentat:"Ich habe den Krieg verhindern wollen"

Nur eine unscheinbare Gedenktafel erinnert an Georg Elser. Am 8. November 1939 wollte er mit einer Bombe im Münchner Bürgerbräukeller Adolf Hitler töten. Lange Zeit taten sich die Deutschen schwer mit der Erinnerung - obwohl Elser immer eine Identifikationsfigur war. Eine Spurensuche.

Von Martin Bernstein

Um 21.20 Uhr detoniert die Bombe, die den Massenmörder in Stücke reißen soll. Rote Blitze zucken über die Betonwand. Dann Totenstille. Nach nicht einmal einer Minute ist alles vorbei. 8. November 1939. So heißt die Installation, mit der die Künstlerin Silke Wagner an das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler erinnern will. Jeden Tag zum Detonationszeitpunkt der Bombe leuchtet das grelle Neonlicht auf, taucht den Platz an der Türkenstraße für wenige Sekunden in einen roten Schein, um gleich darauf wieder zu verlöschen.

Man muss genau hinschauen - und zur richtigen Zeit am historisch falschen Ort sein. Nur ein kleines, unscheinbares Täfelchen an der Mauer und der Name des Platzes erinnern an den Mann, der den Tyrannen ermorden und damit Millionen Menschen das Leben retten wollte: Georg Elser. Für das Attentat hatte er den einzigen Platz gewählt, an dem er Hitler nahe kommen konnte - den Bürgerbräukeller auf der anderen Isarseite.

Auch dort muss genau hinschauen, wer sehen möchte. Den Bürgerbräukeller gibt es nicht mehr, er wurde 40 Jahre nach dem Attentat abgerissen. An seiner Stelle stehen der Gasteig und die Verwaltung der Gema. Dort, in einem Durchgang, erinnert eine Bodenplatte aus Metall an die mutige Tat des 36-jährigen Schreiners. Es ist genau die Stelle, an der Elser seine Zeitzünderbombe in einer Säule versteckt hatte, direkt neben Hitlers Rednerpult.

Hitler war nicht unter den Toten

Die Bombe explodierte, wie von Elser geplant, um 21.20 Uhr. Acht Menschen starben. Hitler war nicht unter den Toten. Er hatte das jährliche Treffen alter Parteigenossen, die den Putschversuch an gleicher Stelle im Jahr 1923 feiern wollten, 13 Minuten vorher verlassen. Der Diktator wollte in die Reichshauptstadt zurück. Wegen dichten Nebels konnten in München keine Flugzeuge starten, Hitler musste den Sonderzug nehmen. Was wäre gewesen, wenn . . . ? Der Attentäter, der wenige Minuten vor der Explosion beim illegalen Grenzübertritt in die Schweiz festgesetzt worden war, sagte später bei einer Gegenüberstellung zu seiner Mutter: "Ich habe den Krieg verhindern wollen." Die obersten Nazi-Führer - Hitler, Göring, Goebbels - sollten sterben.

Bürgerbräukeller nach dem Hitler-Attentat, 1939

Am 8. November 1939 hatte Georg Elser im Bürgerbräukeller eine Bombe gezündet, doch das Attentat auf Adolf Hitler scheiterte.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Das bekannte Elser bei seinem Verhör durch die Gestapo: "Ich wollte ja durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern." Elser - ein Terrorist? Ein verwirrter, geltungssüchtiger Einzeltäter? Agent der Briten oder der SS? Kommunist? All das wurde nach dem Krieg jahrzehntelang kolportiert. Oder eben "einer aus Deutschland", wie der Schauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer seinen Elser-Film aus dem Jahr 1989 überschrieb? Einer aus einem Land, in dem mitmachen, wegschauen, sich anpassen die Normalität waren.

Die Spur des Attentäters führt ins idyllische Brenztal am Ostrand der Schwäbischen Alb. In Königsbronn wird der Reisende am Bahnhof von Georg Elser begrüßt. Stumm steht er am Bahnsteig, gehüllt in einen Mantel, aus dem die feingliedrigen Hände eines begabten Handwerkers, Tüftlers und Musikers herausschauen. Zwischen den Füßen eine Aktentasche. Und wieder muss man genau hinsehen: Die Drähte der Bombe hängen heraus. Elser wartet auf den Zug nach München.

Viele Königsbronner sind stolz auf das Vermächtnis

Adolf Hitler spricht im Bürgerbräukeller am 08.11.1939

Hitler im November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller. Er verlässt die Versammlung früher und entgeht so dem Attentat Georg Elsers.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

2010 hat der Sontheimer Künstler Friedrich Frankowitsch die überlebensgroße Metallskulptur geschaffen. Überlebensgroß: Empfinden die Königsbronner ihren einstigen Mitbürger Georg Elser so? Die Schule haben sie 2003 nach ihm benannt, 1998 eine Erinnerungs- und Forschungsstätte eingerichtet, gegen Drohungen aus der rechten Szene. Ja, sagt Hauptamtsleiter Joachim Ziller beim Gespräch im Rathaus, mittlerweile seien viele Menschen in der Gemeinde stolz auf den berühmten ehemaligen Mitbürger, den Mann, der Hitler töten wollte, um millionenfaches Töten zu verhindern.

Das war nicht immer so. Im barocken Gebäude des Rathauses, dort, wo mit der Amtsübernahme eines jungen Bürgermeisters im Jahr 1990 ein neuer Geist im Umgang mit Georg Elser einzog - dort hatte sich in den Wochen nach dem gescheiterten Attentat der ganze Ungeist des Nazi-Regimes breitgemacht. Im Rathaus verhörte die Gestapo viele der damals 1400 Einwohner. Ziller weiß von Fällen, in denen Königsbronner zur Strafe an die Front versetzt wurden. Familienmitglieder Elsers wurden inhaftiert.

Der Ort wurde als "Attentatshausen" verhöhnt. Mit diesem Elser, der ihnen all das eingebrockt hatte, wollten die Königsbronner nichts zu tun haben. Zumal ja völlig unklar war, was das überhaupt für ein Kerl war. Wenn doch sogar ein Nazi-Gegner wie der Pastor Martin Niemöller bis zuletzt behauptete, Elser sei ein Agent Provocateur des Regimes gewesen, ein Mitglied der SS.

Elser war ein Einzeltäter und handelte aus Gewissensgründen

Unfug, sagt dazu Dirk Riedel, Historiker an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Niemöller hatte - obwohl im Frühjahr 1945 ebenso wie Elser als Sonderhäftling im Bunkerbau des Konzentrationslagers Dachau eingesperrt - gar keinen Kontakt zum Hitler-Attentäter. Und dass Elser ein Einzeltäter war, der aus Gewissensgründen handelte, ist seit den späten Sechzigerjahren unstrittig, als das Gestapo-Protokoll der Vernehmung entdeckt und wissenschaftlich ediert wurde.

75 Jahre Hitler-Attentat: Georg Elser, 1903 in Hermaringen geboren, versuchte am 8. November 1939 Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Die Bombe verfehlte ihn um 13 Minuten.

Georg Elser, 1903 in Hermaringen geboren, versuchte am 8. November 1939 Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Die Bombe verfehlte ihn um 13 Minuten.

(Foto: SZ Photo)

Was also hat die Königsbronner, die Münchner, die bundesrepublikanische Öffentlichkeit (und übrigens auch die Führung der DDR) davon abgehalten, Elser als mutigen Widerstandskämpfer zu würdigen? Einen Mann aus einfachen Verhältnissen, der keiner politischen Gruppe verpflichtet ist, der nur seinem Gewissen gehorcht und handelt: eigentlich die perfekte Identifikationsfigur. "Das ist vielleicht das Problem", sagt Riedel. "Elser hält der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor."

So sieht es auch die Münchner Schriftstellerin Hella Schlumberger. Elser war der Beweis: Wer sehen wollte, konnte sehen - und seine Schlüsse ziehen. "Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit der Überzeugung", sagte Elser bei der Vernehmung am 19. November 1939, "daß es bei dem Münchner Abkommen nicht bleibt, daß Deutschland anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und sich andere Länder einverleiben wird und daß deshalb ein Krieg unvermeidlich ist." Elser handelte, plante sein Attentat ein Jahr lang, heuerte bei einem Steinbruch an, um sich Kenntnisse im Umgang mit Sprengstoff anzueignen, zog dann in die Türkenstraße, um das Attentat vorzubereiten, ließ sich nächtelang unbemerkt im Bürgerbräukeller einsperren.

Bombenleger als Identifikationsfigur nicht erwünscht

"Verschweigen, vergessen, verdrängen": Was Joachim Ziller über die Königsbronner der Nachkriegszeit sagt, galt für Deutschland als Ganzes. In den Siebzigerjahren schließlich, als die Dokumente auf dem Tisch lagen und Elsers späte Rehabilitierung hätte beginnen können, ließ der Terror der RAF einen Bombenleger als Identifikationsfigur nicht opportun erscheinen.

Und heute? In Königsbronn freuen sich engagierte Menschen wie Hauptamtsleiter Ziller darüber, dass die Erstarrung früherer Jahre verschwunden ist, dass jährlich bis zu 3000 Besucher in die Gedenkstätte kommen, dass es vor allem die Schulen - Rektoren, Lehrer, Schüler - sind, die sich für Elser interessieren. Auch in der KZ-Gedenkstätte Dachau spielt Elser, wie Dirk Riedel bemerkt hat, bei Schulklassen eine größere Rolle, vielleicht gerade, weil dieser "kein Held sein wollte". Am 9. April 1945, zwanzig Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers, wurde Elser aus seiner Zelle geholt und in der Nähe des Krematoriums erschossen. Sein Leichnam wurde verbrannt. Ein Grab gibt es nicht.

Nur wenige Passanten bleiben stehen, als um 21.20 Uhr die Kunst-Explosion den Georg-Elser-Platz in rotes Licht taucht. "Das wird jeden Tag um diese Zeit so geschaltet", erklärt ein junger Mann seinem Freund. "Ach so", sagt der. Es ist kalt auf dem nächtlichen Platz, um 21.21 Uhr gehen sie in die benachbarte Kneipe zurück. Dort kostet das "Georg-Elser-Frühstück" 11,90 Euro. Die Kneipe heißt Zeitgeist.

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