Pogromnacht 1938 in München:"Die verbrennen die Synagoge"

Zersplitterte Schaufenster, brennende Synagogen und zahlreiche Tote: Das Signal zur Reichspogromnacht kam aus dem Münchner Rathaus.

Anna Fischhaber

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Reichspogromnacht in München

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Genau 70 Jahren ist es her, dass in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Deutschland die Schergen des Nazi-Regimes tobten. In München hinterließen sie zersplitterte Schaufenster, brennende Synagogen, zahlreiche Verletzte und mindestens ein Todesopfer. Historiker bezeichnen die Reichspogromnacht als "Probelauf für den Holocaust". Was wenigen bewusst ist: Das Signal kam aus dem Alten Rathaus in München. Hier feierten Goebbels, Hitler und Heydrich im Kreise hochrangiger brauner Kumpane den Hitlerputsch von 1923. Blutrot leuchteten die Hakenkreuzfahnen zu diesem Anlass überall in der Stadt - wie hier am Rindermarkt.

Fotos: Stadtarchiv Text: Anna Fischhaber Quelle: Andreas Heusler, Tobias Weger: "Kristallnacht". Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer Verlag, Stadtarchiv München.

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Die Stimmung war angespannt, nachdem ein junger polnischer Jude am Morgen des 7. November 1938 in Paris fünf Schüsse auf den Legationsrat Ernst vom Rath abgefeuert hatte. Zwei Tage später gab Propagandaminister Joseph Goebbels in seiner Münchner Hetzrede dem gesamten Judentum die Schuld an der Tat. Um 23:59 Uhr ging in der Münchner Branddirektion die Meldung ein, im Schaufenster des jüdischen Textilwarengeschäfts Hans Weber in der Augustenstraße 113 habe es ein Kleinfeuer gegeben - der Auftakt einer Serie von mutwilligen Zerstörungen und Plünderungen, die bis in die frühen Morgenstunden dauern sollten. Auch bei Heinrich Rothschild in der Sendlinger Straße wurden die Scheiben eingeschlagen, der Eigentümer wurde abgeführt. Das Foto zeigt das Hut- und Putzmodengeschäft am Tag nach der Reichspogromnacht mit Bretterverschlägen.

Fotos: Stadtarchiv Text: Anna Fischhaber Quelle: Andreas Heusler, Tobias Weger: "Kristallnacht". Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer Verlag, Stadtarchiv München.

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Das Kaufhaus Uhlfelder neben dem Schuhgeschäft Conrad Tack im Rosental stand mit seinen Rolltreppen, einem Streichelzoo mit lebenden Tieren und eigener Gastronomie für das fortschrittliche und erfolgreiche Münchner Judentum - und wurde damit zur verhassten Zielscheibe für die Nazis.

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In der Reichspogromnacht wurden die Auslagen verwüstet, zahlreiche Waren geplündert. Die Spur der Gewalt zog sich durch das ganze Kaufhaus.

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Neben Geschäften waren Privathäuser und soziale Einrichtungen das Ziel der Randalierer. So wurden die jüdischen Altersheime in der Kaulbachstraße 65 und Mathildenstraße 8-9 gewaltsam gestürmt, Geld und Einrichtungsgegenstände gestohlen. Eine Heimbewohnerin, damals 83 Jahre alt, erzählte später: "Ich bin zu einem SA-Mann gegangen und habe ihn gefragt, wo ich hingehen solle, ich hätte keine Verwandten mehr. Wissen Sie, was er mir geantwortet hat? - Der Starnberger See hat genug Platz für euch alle!"

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SA-Leute in Zivil drangen in die Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße ein und verwüsteten die Einrichtung. Anschließend setzten sie das Gebäude in Brand. Zeitzeugin Melanie Dewynter erinnert sich an den Morgen danach: "Die Straßen waren ungewöhnlich leer, rauchig und grau. Die Luft wurde immer dicker vor lauter Ruß, je näher ich an die Herzog-Rudolf-Straße kam. Dann sah ich plötzlich die ersten Flammen. (...) Ich ging weiter die Straße entlang, bis ich fast gegenüber der Schule war und auch nur ein paar Schritte von den Soldaten entfernt. 'Meine Schule brennt!', wiederholte ich, wer weiß wie oft, wahrscheinlich unhörbar geflüstert. 'Ja, meine Schule brennt, und niemand kommt die Flammen auszulöschen!' Erst dann hörte ich ...

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... eine Stimme. Ich glaube es war eine Männerstimme: 'Die verbrennen die Synagoge!'" In der Reichenbachstraße wurde in der Reichspogromnacht der erst sieben Jahre alte Betsaal verwüstet.

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Der Terror blieb für keinen Münchner unbemerkt. Ein wahrnehmbarer Aufschrei der Empörung blieb jedoch aus. Kritiklos und gleichgültig wurde in weiten Teilen der nichtjüdischen Bevölkerung die antijüdischen Gewaltakte hingenommen - und wortlos gebilligt. Einige Zeitzeugen berichten sogar von "Worten der Schadenfreude" und der "Häme". "Was wir uns damals gedacht haben - ja, entsetzt waren wir schon, und doch auch wieder nicht so arg. Man war nicht allzu gut auf die Juden zu sprechen", schrieb etwa die Arbeiterin Josefa Halbinger in ihrer Biographie.

Fotos: Stadtarchiv Text: Anna Fischhaber Quelle: Andreas Heusler, Tobias Weger: "Kristallnacht". Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer Verlag, Stadtarchiv München.

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Selbst dass die Gewaltexzesse gegen jüdische Bürger in München mindestens ein Todesopfer forderten, schien viele kaltzulassen. SA-Männer hatten die Scheiben des Geschäfts von Joachim (Chaim) Both in der Lindwurmstraße 185 eingeworfen. Als das Ehepaar Both von einem Theaterbesuch zurückkehrte, überraschte es die plündernden SA-Männer. "Wir hatten den Hauseingang noch nicht betreten, als sich etwa zehn Männer, die im Hauseingang standen, auf uns stürzten und mit den Händen auf uns einschlugen. (...) Einige Männer warfen sich auf meinen Mann und zerrten ihn in die im ersten Stock gelegene Wohnung. Als ich kurz darauf ebenfalls dorthin kam, verließen die Männer bereits wieder die Wohnung, wobei mir noch einer einen Faustschlag ins Gesicht gab." Im Zimmer ihres Sohnes Max fand Marjem Both dann die Leiche ihres Mannes.

Fotos: Stadtarchiv Text: Anna Fischhaber Quelle: Andreas Heusler, Tobias Weger: "Kristallnacht". Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer Verlag, Stadtarchiv München.

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Die NSDAP versuchte später die antisemitischen Gewaltakte der Reichspogromnacht in München zu legitimieren. In zahlreichen Massenkundgebungen wollte man ihnen den Anstrich legitimer Vergeltungsaktionen geben. Im Circus Krone rechtfertigte Gauleiter Adolf Wagner auch den Mord an Chaim Both: "Wir sind bei dieser Gelegenheit die letzte Synagoge und den letzten Betsaal der Juden in München losgeworden, schließlich sind die Judengeschäfte geschlossen und ganz ordnungsgemäß die Juden verhaftet worden, die schon lange hierfür in Aussicht genommen waren. Wenn bei diesen Ereignissen ein polnischer Jude sein Leben lassen musste, so nur deshalb, weil er sich anmaßte, sich in deutsche Angelegenheiten einmischen zu können."

Fotos: Stadtarchiv Text: Anna Fischhaber Quelle: Andreas Heusler, Tobias Weger: "Kristallnacht". Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer Verlag, Stadtarchiv München.

(sueddeutsche.de/jja)

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