50 Jahre Zündfunk:„Rotfunk“ im CSU-Haussender

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Moderator Florian Schairer führt im Glitzer-Anzug durch den Abend, Kollegin Judith Schnaubelt berichtet lebhaft über den Widerstand gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. (Foto: Markus Werner/thefreelenser)

Die ehemalige Jugendsendung des Bayerischen Rundfunks berichtet seit 50 Jahren nicht nur über Pop, sondern auch über gesellschaftliche Missstände – und hatte damit schnell einen Ruf weg. Das Jubiläum wird zum Klassentreffen.

Von Lars Langenau, München

50 Jahre Zündfunk. „Das ist ein halbes Jahrhundert Pop und Politik, Netz, Denken und Diskurs“, sagt Michael Bartle, 57, Musikchef und Moderator dieses Kulturprogramms, beim großen Jubiläumsfest in den Kammerspielen. Bartle freut sich, dass die jüngste Reform der Hörfunksender des Bayerischen Rundfunks für seine Sparte gut ausgegangen ist: „Schön, dass wir nun auch weiter senden als nur in Süddeutschland.“ Seit Kurzem beglückt der Zündfunk mit dem „Nachtmix“ von Montag bis Donnerstag sogar fünf Bundesländer – neben Bayern das ganze Sendegebiet von MDR Kultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie via Bremen2 auch Bremen.

Doch wie überall wird auch für diese besondere kreative Reihe auf der Bayern-2-Welle ohnehin das Netz immer wichtiger. Und da war der Zündfunk in vielfacher Hinsicht digitaler Vorreiter: mit der ersten eigenen Homepage des Senders, 1994 mit dem ersten Computermagazin und aktuell ganz vorn dabei mit der Produktion diverser Podcasts.

On air ging der als „Jugendmagazin“ gegründete Zündfunk erstmals am 2. Januar 1974, zunächst als „Junge Welle“. Beworben mit frechen Sprüchen wie „zwischen zwei und vier – das schadet weder Dir noch mir“ erweiterte sich die Sendezeit über die Jahre auf sieben Tage die Woche. Zu hören heute immer von 19.05 bis 20 Uhr und als „Nachtmix“ von 23.05 bis 24 Uhr.

Einst sollte es dort „funken und zünden“, entsprechend sollte das Magazin eigentlich „Funkzündung“ heißen. Doch dann wurde der Name kurzerhand umgedreht. Für die damalige Radiolandschaft war das Programm ungewöhnlich: Erstmals ging es hier um Popkultur, alternative Literatur, Filme, Serien – verbunden mit einer kritischen Berichterstattung über politische und gesellschaftliche Missstände.

Am Samstag führt Zündfunk-Moderator Florian Schairer im Glitzeranzug durch den Abend. Es war ein Fest unter Kollegen und Freunden in den ausverkauften Kammerspielen. Eine Art Klassentreffen. Im Wechsel erst eine Stunde Erinnerung mit Einspielern aus vergangenen Zeiten sowie Ex-Moderatoren und Verantwortlichen. Und dann jeweils eine Stunde Konzert von dem äußerst schrägen Duo Spacefuzzy (Maurice Summen und Viktor Marek) sowie von Sophia Kennedy aus Hamburg. Getanzt, gefeiert, diskutiert wurde bis spät in die Nacht mit Zündfunk-DJs wie Ann-Kathrin Mittelstraß, Achim „60“ Bogdahn und Ralf Summer in der benachbarten Tam Tam Treppenbar und im Blauen Haus.

Getanzt, gefeiert, diskutiert wurde bis spät in die Nacht in der benachbarten Tam Tam Treppenbar und im Blauen Haus. (Foto: Markus Werner/thefreelenser)

Da war er dann auch wieder der Moment, der für so viele Hörer zum „Nahrungsmittel“, „zum Anschluss an die große, weite Welt“ wurde, wie es hieß. Schließlich war die in der ehemaligen Jugendsparte gespielte Musik schon immer „anders als alles im BR“. Dort wurden neben der Hausband Spider Murphy Gang, Frank Zappa, Neneh Cherry, Cat Power, Kraftwerk bis jüngst Beth Gibbons gespielt. Da durfte einst DJ Hell ein komplettes Set ohne Moderation spielen, man lud den Weltmeister im Pfahlsitzen oder einen pieselnden Ziegenbock als Ehrengast ins Studio.

Letztendlich ist die Vielfältigkeit die DNA der Sendung: Da kann es mal um den Klimawandel gehen, um Influencerinnen, die für Trump trommeln, oder warum Konzertkarten so teuer sind. Moderatorin Judith Schnaubelt berichtete mit einer Original-Ton-Reportage über den Widerstand gegen die Atomwiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Das Szenario habe sich vor allem wegen des rücksichtslosen Vorgehens der Polizei nach dem GAU in Tschernobyl 1986 für viele Demonstranten „fast wie Krieg“ angefühlt. Zu den Protestcamps hatten damals nur die linke taz und Redakteure des Zündfunks Zugang.

Auch kritische Beiträge wie über Gewalt an Frauen oder die „Haidhauser Krawalle“ machen den Zündfunk früh so besonders im BR. Den Sender, den so manche in der CSU als ihren Haussender ansahen und entsprechende (Hof-)Berichterstattung erwarteten. Schnell hatte das Magazin einen Ruf als „Rotfunk“ weg, musste sich gegen Angriffe und Widerstände in Staatsregierung und Sender durchsetzen – und überlebte trotz allem quicklebendig und überhäuft mit Preisen: vom New Yorker Radio Award bis zum Goldenen Löwen der Staatsregierung für die Förderung junger musikalischer Talente. Wenn das mal keine Anerkennung für den Ex-„Linksfunk“ ist.

Mitte der 90er-Jahre musste man sich gegen eine immer lauter geforderte Deutschquote im Pop durchsetzen. „Und da Musik keine Hautfarbe und kein Schengen-Abkommen kennt“, wie ein Redner sagte, erfand man als Antwort 2003 das „Bavarian Open Festival“, das heute als „Puls-Festival“ bekannt ist.

Laut Rückmeldungen von Hörern erfahren sie große Wertschätzung „von Ecuador bis Oslo bis zu Doris Dörrie in Japan“, sagt Musikchef Bartle. Und er äußert noch einen Wunsch vor dem Umzug des Senders in die Neubauten in Freimann: „Gerade in diesen schweren Zeiten, wollen wir möglichst lange senden. Wir wollen weiter zeigen, dass Kunst, Musik und Kultur für die Demokratie essenziell sind.“

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand, dass BR-Moderatorin Judith Schnaubelt gesagt habe, dass sich der Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf „wie Krieg angefühlt“ habe. Tatsächlich berichtete sie, dass sich das ganze Szenario, das sich bei der Demonstration an Pfingsten 1986 entwickelt hatte, „wie Krieg angefühlt hat“ – vor allem, weil die Polizei von Helikoptern aus CN- und CS-Gas auf Demonstranten versprüht und Wasserwerfer eingesetzt habe. Außerdem beglückt der „Nachtmix“ des Zündfunks mittlerweile sogar fünf und nicht bloß drei Bundesländer.

 

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