„Die Goldenen Zitronen“ auf Tour:Wie ist es, als Punk-Band plötzlich 40 zu sein?

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"Wir haben so mehrere große Phasen durchgemacht, haben immer nach neuem Ausdruck gesucht": Schorsch Kamerun (links) und seine Mitmusiker der Band "Die Goldenen Zitronen". (Foto: Timo Schierhorn, Tom Otte)

Seit vielen Jahren prägen „Die Goldenen Zitronen“ den Pop-Diskurs. Jetzt feiern die Hamburger mit Tour und neuem Sampler runden Geburtstag. Ein Anruf beim Sänger Schorsch Kamerun.

Von Jürgen Moises

Für immer Punk. Das ist etwas, was man gerne mal so sagt, also so im Überschwang der Jugend. Die Goldenen Zitronen haben das nicht nur gesagt, sondern gesungen. Das war 1987. Und auch wenn das gleichnamige Lied mit seiner frech von „Forever Young“ von Alphaville geklauten Melodie schon damals etwas sehr Ironisches hatte – der Text wird nämlich zu „für immer reich“, „für immer Rock“, „für immer krank“ variiert.

Verrückt ist das irgendwie schon, wenn man bedenkt, dass das fast 40 Jahre her ist, oder? Als Band haben die „Goldies“ in diesem Jahr sogar die 40 voll. Ende November kam mit „Inventur (1984-2024)“ ein Geburtstags-Sampler heraus. Deshalb noch einmal in Variation die Frage: Wie ist das, als Punk-Band plötzlich 40 zu sein?

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Fragt man ganz direkt den Sänger und in München auch als Theatermacher bekannten Schorsch Kamerun am Telefon, antwortet er: „Ich finde das schon überraschend. Ich glaube das sagt aber irgendwie auch jeder Jubilar. Und als nächstes sagt dann der Jubilar: Hey, irgendwie fühle ich mich doch wie immer.“

Im Falle der 1984 in Hamburg gegründeten Goldenen Zitronen, die auf ihrer Geburtstagstour am 6. Dezember im Münchner Technikum Halt machen, habe das aber auch einen konkreten Grund. Nämlich den, „dass wir uns so sehr verändert haben. Wir haben so mehrere große Phasen durchgemacht, haben immer nach neuem Ausdruck gesucht. Das scheint unsere DNA zu sein.“

Die erste Phase: Fun-Punk, mit Liedern wie „Porsche, Genscher, Hallo HSV“. Aber das heute noch einmal „zu brüllen, in der Manier, wie ich das mal gemacht habe“? Das kann sich Kamerun nicht mehr richtig vorstellen. Der Weg zu einer den deutschen Pop-Diskurs durch ihre gewitzten, provokativen Texte prägenden Band, die die Goldies seit Jahren sind, war da noch weit. Musikalisch hätten sie sich dann „auch mit Free Jazz beschäftigt“. In den Neunzigern folgten Techno und Hip-Hop. Aber nicht direkt, eher über den Krautrock, eine „Sechziger-Jahre-Minimal-Elektronik“. Das habe zu einer „Cluster- artigen“, elektronischen Musik geführt, „die wir bis heute weiterentwickeln“.

„Ich empfinde uns schon in einem linken Diskurs.“

Ob ihnen manches heute peinlich sei? Also: „Ich würde nicht sagen, dass wir uns für irgendwas schämen.“ Aber: „Wir haben uns schon gewundert, wie heftig manche Sachen klingen. Es gibt da zum Beispiel die Platte ,Punkrock’, die wir in England mit Billy Childish aufgenommen haben. Der stellte immer eine Eieruhr aufs Mischpult, und wenn es klingelte, musste der Mix an genau der Stelle stehen bleiben.“

Und wie ist es mit dem linken Punk-Bewusstsein? In einer Zeit, in der es gerne mal heißt, die Linken hätten sich in ihren Theorien oder ihrem Moralismus verrannt? „Also, ich empfinde uns schon in einem linken Diskurs, welcher durchaus seine Probleme hat“, erzählt Kamerun, neben dem Bassisten und Gitarristen Ted Gaier das letzte Gründungsmitglied. Aber „sich einklammern in so einem Diskurs“, das funktioniere irgendwie nicht. Trotzdem habe er auch heute noch das Gefühl, dass wir „mit großer Rücksichtslosigkeit und Ausgrenzung auf Kosten der weiteren Welt“ leben.

Zum Ausdruck kommt diese Haltung etwa in dem großartigen Song „Wenn ich ein Turnschuh wär“, der aber auch schon von 2006 ist und bissig die „Festung Europa“ thematisiert. Und sie prägt auch Kameruns Arbeit am Theater (aktuell läuft am Residenztheater sein Musical „Reineke Fuchs“).

Wie er dort gelandet ist? Nun, jemand habe gesehen, wie er und Rocko Schamoni in ihrem „Golden Pudel“-Club in Hamburg „mit Texten und Performance“ experimentiert hätten. Dann hieß es: „Versuch doch mal was für’s Theater.“ Wie bei der Musik habe sich das dann professionalisiert. Aber: „Interessanterweise sind wir als Band immer noch extrem überaufgeregt, hysterisch.“ Und vielleicht ist es genau das, was einen 40 Jahre lang lebendig hält.

Die Goldenen Zitronen, Freitag, 6. Dezember, 20 Uhr, Technikum, Speicherstraße 26

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