34 Veranstaltungen an sechs Orten:Hören statt lesen

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Bei der "Nacht der Autoren" berichten Redakteure der SZ von ihrer Arbeit: Ist der Osten eine "Problemzone"? Und wie reagiert man auf einen verrohten politischen Diskurs?

Von Anna Hoben

Ein Mann in der Warteschlange in der Residenz fasst es am Samstagabend ganz gut zusammen: "So viele Leute - lecko mio." Manche telefonieren mit Freunden, die keine Karte mehr bekommen haben. Nein, auch hier keine Chance - die Nacht der Autoren ist ausverkauft. Bei insgesamt 34 Veranstaltungen an sechs Orten in der Innenstadt haben SZ-Journalisten zum 13. Mal vom frühen bis zum späten Abend von ihren Recherchen erzählt und mit 1500 Leserinnen und Lesern über aktuelle Themen diskutiert. Vor dem Künstlerhaus am Lenbachplatz stellten einige sich drei Stunden vorher an, um noch eine Karte zu ergattern. Sie wollten vor allem die Redakteure des Investigativressorts sehen und hören, die von der Enthüllung der Ibiza-Affäre erzählten, an der Österreichs Regierung zerbrochen ist.

Auch das Siemens-Auditorium am Wittelsbacherplatz ist bis zur letzten Reihe gefüllt. Dort spricht Moderator Dirk von Gehlen mit Nadja Schlüter, Autorin des jungen SZ-Portals jetzt, und Feuilleton-Chef Andrian Kreye darüber, "wie Fridays for Future die Politik verändert". Schlüter beobachtet die Protestbewegung seit ihren Anfängen, hat früh ein Porträt von Greta Thunberg geschrieben und unter anderem von den Protesten in Garzweiler berichtet. Warum die Bewegung so schnell so groß wurde? Das Thema habe den Zeitgeist getroffen, sagt Schlüter, dazu sei der heiße Sommer 2018 gekommen, und die Möglichkeiten von Social Media hätten ihr Übriges getan. Andrian Kreye vergleicht die Klimastreiks mit anderen Protestbewegungen; im Vergleich zu 1968 etwa seien die "Fridays" keine progressive, sondern eher eine im Wortsinn konservative Bewegung, die sich nicht von der Elterngeneration abgrenzen, sondern deren Lebensstil bewahren wolle. Na ja, entgegnet Nadja Schlüter, die Schüler hielten ja nun vielfach ihre Eltern zu einem klimafreundlicheren Leben an, erzögen sie sozusagen. Man habe in der Redaktion übrigens heftig diskutiert über die verharmlosende Bezeichnung Klimawandel, verrät Kreye, einen "Kampfbegriff der amerikanischen Konservativen". Treffender sei der Begriff Klimakrise.

Volles Haus auch um 18 Uhr im Max-Joseph-Saal in der Residenz. Eine Leserin verschickt per Whatsapp noch schnell ein Foto vom Kronleuchter - ja, dieser prunkvolle Saal macht ganz schön was her. Auf der Bühne sprechen die Leipziger Korrespondentinnen Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel über ihre tägliche, meist wenig prunkvolle, oft schwierige Arbeit - sie tun dies trotz allem gut gelaunt, temporeich und sehr unterhaltsam. Titel: "Problemzone? Warum der Osten anders ist." Während Antonie Rietzschel im Wahlkampf die AfD begleitet hat, war Ulrike Nimz mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) unterwegs, der wochenlang die Landkreise besuchte und begrillte. Auch von ihren Erlebnissen in Chemnitz im vergangenen Herbst erzählen die beiden - von den Demonstrationen nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes beim Stadtfest, den rechtsextremen Ausschreitungen, brenzligen Situationen auf der Straße. Eigentlich wollen die Reporterinnen ja viel lieber über das Jubiläum der friedlichen Revolution vor 30 Jahren sprechen. Doch leider ist der Zustand dieses wiedervereinigten Landes im Jahr 2019 so, dass sie vor allem die Erfolge der AfD analysieren müssen; dass sie auch über Ungleichheit sprechen müssen, über Vorurteile gegenüber dem Osten und Unwissenheit im Westen. Eine ihrer Forderungen zum Schluss lautet deshalb: "Die Mauer muss weg" - denn immer noch gebe es da eine gefühlte, eine mentale Mauer.

Um "Meinungsjournalismus in Zeiten von Populismus, Fake News und Hasskampagnen" geht es später in der St.-Markus-Kirche - wahrscheinlich an diesem Wochenende die einzige Kirche in der Stadt, in der Aperol Spritz statt Messwein ausgeschenkt wird. Karin Janker, Kia Vahland und Stefan Ulrich berichten von der Arbeit im relativ jungen Meinungsressort. Sie geben Einblicke in die Entstehung von Mittagskommentaren und Leitartikeln und erzählen, wie sie damit umgehen, wenn wegen einer Zeile in einem Beitrag ein Shitstorm auf Twitter über einen hereinbricht. Auch wenn alle drei Autoren promoviert sind - auf den akademischen Grad komme es nicht an, antwortet Ressortleiter Ulrich auf die augenzwinkernde Frage von Moderator und Außenpolitik-Redakteur Sebastian Schoepp. Vielmehr: auf journalistische Erfahrung, ein breites Interesse an vielen verschiedenen Themen und natürlich die Fähigkeit, eine Meinung zu entwickeln. Applaus gibt es, als Kia Vahland sagt, die Gründung des Ressorts gehe auch auf den verrohten politischen Diskurs der vergangenen Jahre zurück: "Wir hatten den Eindruck, die Leute wollen wieder gepflegt Meinungen austauschen."

Man kann nur eine bestimmte Anzahl von Veranstaltungen besuchen an diesem Abend. Wer Christina Berndt und Katrin Langhans zu den "Implant Files" hört, verpasst Heribert Prantl mit "Eigentum verpflichtet". Wer mit der Seite-Drei-Redaktion ins Gespräch kommen will, kann nicht gleichzeitig an der "Verbrecherjagd in der Zukunft" mit dem Digitalressort teilnehmen. Eine Leserin, die sich als Evi vorstellt, und ein Leser namens Michi haben sich für die Veranstaltung des SZ-Magazins im Literaturhaus entschieden, was ihnen direkt ein Fotoshooting einbringt. Live und spontan auf der Bühne und genau so, wie es normalerweise mit Prominenten für die Interviewrubrik "Sagen Sie jetzt nichts" gemacht wird. Wie sie reagieren würden, wenn sie Trump auf der Straße treffen; wie sie nach dem Bierzeltbesuch aussehen und woran es in München mangelt - nicht nur die beiden haben mit ihren mimischen und gestischen Antworten offenbar großen Spaß, sondern auch das Publikum.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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