Süddeutsche Zeitung

30000 neue Wohnungen:Münchens oberster Bauherr

Der Platz wird langsam knapp. In der Stadt. Aber auch im Keller der Lokalbau­kommission, wo sieben Kilometer Akten lagern. Bauen ist längst ein "Massengeschäft", sagt Cornelius Mager. Er ist Leiter der Behörde, die es niemandem recht machen kann: Die einen finden, es wird zu viel genehmigt - für die anderen ist es zu wenig

Von Anna Hoben

An der Pinnwand in Cornelius Magers Büro hängt ein Cartoon, auf dem Menschen in einem Kreis am Boden sitzen. In einer Sprechblase steht: "Ich darf Sie ganz herzlich in der Betroffenengruppe ,Wir schimpfen gemeinsam auf die Baugenehmigungsbehörde' begrüßen!" Der Cartoon erklärt nicht nur das Wesen von Magers Job als Leiter der städtischen Lokalbaukommission, sondern auch einen wichtigen Wesenszug von Mager. "Man kann es selten allen recht machen", sagt der 62-Jährige. Wohl keine andere Behörde erlebe so viel ächzende und stöhnende Kundschaft, so hat es Alt-Oberbürgermeister Christian Ude einmal formuliert. Und Cornelius Mager geht auf seine ganz eigene Art damit um: mit einem ziemlich trockenen Humor und einer Portion Selbstironie.

Die Münchner Lokalbaukommission, kurz LBK, gehört zum Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Es ist die oberste Baubehörde der Stadt und die größte ihrer Art in Deutschland. Keiner, der in München mit Bauen zu tun hat, kommt an ihr vorbei. Cornelius Mager leitet sie seit 2002, er ist Chef von 310 Mitarbeitern, die sich auf sechs Abteilungen verteilen. Viele davon sind in den vergangenen fünf Jahren dazu gekommen, die Aufgaben sind in der stark wachsenden Stadt immer mehr geworden. Mager spricht von einem "Massengeschäft"; 30 000 Wohnungen haben sie in den vergangenen drei Jahren genehmigt. Bei der Bearbeitung der Bauanträge muss die Behörde immer einen Spagat überbrücken: einerseits die Vorschriften einhalten und andererseits genügend Wohnungen genehmigen, damit die Zielzahl von 8500 fertiggestellten Einheiten pro Jahr annähernd erreicht wird. Aber die Mitarbeiter beackern nicht nur Bauanträge. Sie beschäftigen sich auch mit Natur-, Landschafts-, Baum- und Artenschutz, außerdem mit dem Denkmalschutz.

Ursprünglich wollte Cornelius Mager Journalist werden

Die LBK hat ihren Sitz in der Blumenstraße, ganz in der Nähe des Alten Technischen Rathauses, in dem sich das Planungsreferat befindet. Auf einem zweiten großen Tisch neben dem Schreibtisch in seinem Büro hat Mager in unzähligen Stapeln die Dinge abgelegt, die ihn gerade beschäftigen; Ungeliebtes befindet sich in einer rosa Mappe. Er will nun eine Kurzführung durchs Haus bieten, genauer gesagt durch die "kundenfreundliche Infothek" im Erdgeschoss. Sie ist der erste Anlaufpunkt für Menschen, die Auskünfte zu baurechtlichen Fragen brauchen. Sie können auch einfach anrufen, dann landen sie bei einer Beraterin oder einem Berater in einer von vier Buchten im Telefonzimmer.

Der Chef erinnert sich noch gut, wie er in seiner Anfangszeit mal einen Tag dort gearbeitet hat. "Es ist uferlos", sagt er, "in welcher Breite man da Wissen braucht." In Deutschland gibt es Hunderte Bauvorschriften. Jede für sich genommen sei einfach, sagt Mager, "zusammen wird es komplex". Zurzeit beschäftigt seine Mitarbeiter die Novellierung der Bayerischen Bauordnung. Da geht es etwa um knappe Fristen: Binnen zwei Wochen müssen sie dem Bauherrn künftig mitteilen, ob sein Antrag vollständig ist. "Das ist eigentlich nicht zu schaffen." Auch weil es Zeiten gibt, in denen alle noch schnell einreichen (vor Weihnachten) und solche, in denen kaum etwas eingeht (Januar). Kurzer Abstecher in die Zentralregistratur: Sieben Kilometer Bauakten lagern hier, "zehn Meter unter unserem Beratungszentrum". In ein paar Jahren werde das Archiv "überlaufen". Sie arbeiten nun an seiner Digitalisierung.

Bei einem Kongress trug er einen Text vor, der Titel: "Poetry- Slam der Nachverdichtung"

Geboren und aufgewachsen ist Cornelius Mager mit vier Geschwistern in München. Von einer kleinen Wohnung in der Maxvorstadt zog die Familie in ein Reihenhaus zur Miete in Moosach und schließlich in die Parkstadt Solln. Mit 16 trat er in die SPD ein. Die Landtagswahl, bei der die CSU mit Franz Josef Strauß 62 Prozent einfuhr, war für ihn entscheidend, sich zu engagieren. Seine Mutter war zwei Jahre zuvor für die SPD im Bezirksausschuss angetreten und - im schwarzen Solln überraschend - gleich zur Vorsitzenden gewählt worden. Eigentlich wollte Cornelius Mager Journalist werden, in der Schule hatte er für die Schülerzeitung geschrieben. Doch sein Vater, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, riet ihm, erst einmal ein ordentliches Fach zu studieren. Mager entschied sich für Jura, kämpfte sich durchs Grundstudium und wunderte sich über Kommilitonen, die als Studienanfänger aussahen wie Mitglieder der Staatsregierung. Im Hauptstudium fing er Feuer für sein Fach, vor allem für das öffentliche Recht. Er verbrachte ein Semester in Aix-en-Provence, "das war eher leben lernen", machte ein gutes Examen und fing 1987 bei der Stadt an. "Das war das Attraktivste", außerdem habe sie am schnellsten zugesagt.

Dort lernte er alle Referate kennen, zuerst das Baureferat, wo er sich mit der Aufarbeitung der Münchner Schwarzbausiedlungen beschäftigte. Die letzte Station war die Lokalbaukommission, "und da bin ich dann geblieben". Er wurde erst Assistent des scheidenden Stadtbaurats Uli Zech und dann von dessen Nachfolgerin Christiane Thalgott. Mit ihr zusammen führte er als erklärter Paternoster-Liebhaber auch die Geschäfte im Münchner Verein "zur Rettung der letzten Personenumlaufaufzüge". Anschließend ging Mager für sieben Jahre in die Stabsstelle des damaligen Oberbürgermeisters Christian Ude, zuständig vor allem für Verkehr und Kultur - und, vertretungsweise, fürs Bauen und Planen. 2002 wurde er Chef der Lokalbaukommission, er war der einzige Bewerber. "Ein Mann mit Fingerspitzengefühl, der weiß, wie man Ermessen ausübt", schrieb die Abendzeitung damals über ihn.

Viele Begriffe, mit denen Mager hantiert, sind trocken; Bauüberhang ist so einer. 26 000 Wohnungen sind zurzeit in München genehmigt, heißt das, aber bei 15 000 hat der Bau noch nicht begonnen. Eigentlich aber könnten die Dinge, mit denen die Lokalbaukommission sich beschäftigt, lebensnäher kaum sein. Denn welche Gebäude entstehen, prägt das Stadtbild, das die Münchner - und natürlich auch die Besucher der Stadt - jeden Tag sehen.

"Jedes Haus ist sichtbar und bildet den öffentlichen Raum", sagt Mager. Was seine Behörde tut, ist also nicht nur gesellschaftlich relevant - im Grunde ist jedes private Haus politisch. Über kaum etwas wird in München so leidenschaftlich debattiert wie übers Bauen. Und mit den Experten für das attraktiveste Münchner Stadtbild dürfte es sich in etwa so verhalten wie mit jenen für den nationalen Fußball: Jeder, der zuschaut, zählt sich zu den Experten.

"Wir werden manchmal für langweilige Architektur kritisiert", sagt Mager. Er sieht das so: Nur zwischen den normalen Gebäuden können die besonderen glänzen. "Wenn jeder herausschreien will, ergibt das noch kein Stadtbild." Aber gibt es vom Besonderen genug, für eine Metropole wie München? "Ich meine ja", sagt er. Neben prächtigen Gründerzeithäusern finde man "Juwele aus den Fünfzigerjahren" und aus der Gegenwart. Bei neuen Bauvorhaben komme es immer auch auf das Drumherum an. "Ein Baufall ist nie nur gut oder schlecht, man muss ihn im Kontext sehen", sagt Mager. "Das eine Haus kann wunderbar im Bahnhofsviertel passen, das andere in Bogenhausen." Man dürfe die Stadt nicht "vom Durchfahren bewerten", sondern müsse auch mal einen Blick in Hinterhöfe werfen. Als Beispiel nennt er die Wohnungen, die auf dem Arri-Gelände in der Maxvorstadt entstanden sind - 117 Mal Eigentum der gehobenen Preisklasse. Da ist er wieder, der Spagat. Wenn in München neuer Wohnraum entsteht, heißt das ja noch lange nicht, dass jeder, der verzweifelt eine Wohnung sucht, sich ihn auch leisten kann.

Die wichtigste Frage im Ballungsraum München sei natürlich: "Gelingt es uns auch künftig, das Wachstum sozial verträglich und städtebaulich so zu gestalten, dass die, die schon da sind, nicht das Gefühl haben, sich morgen ihre eigene Stadt nicht mehr leisten zu können oder ihre Heimat zu verlieren?" So hat es Mager in einem Text formuliert, den er "Poetry-Slam der Nachverdichtung" nennt, 2018 hat er ihn im Werksviertel vorgetragen. Er zählt darin eine Reihe von Dingen auf, die er mag - und die er nicht mag.

Was er mag: Bauherren und Investoren, die nicht nur Verkäufer und Käufer der Eigentumswohnung glücklich machen wollen, sondern daran denken, dass das Gebäude "ein Mitglied des Stadtteils werden muss". Was er nicht mag: "Wenn sich ein Bauherr oder Investor nur für sein Projekt interessiert und nicht für sein Umfeld."

Bei allzu forschen Bauherren weist er schon mal darauf hin, dass sie dort später mit den Nachbarn leben müssten. Umgekehrt sagt er: "Jeder sollte sich überlegen, mit welcher Aggressivität er Bauvorhaben nebenan bekämpft. Andere Leute brauchen schließlich auch eine Wohnung - nicht nur diejenigen, die schon da sind." Was er gar nicht mag: "Nachverdichtungsprojekte, die so ausgeführt werden, dass die Mieter im Haus Vertreibungsängste bekommen und dann auch noch für die Luxuswohnungen im Dach den Lift mitfinanzieren dürfen." Und er appelliert an Investoren, viel mehr Wert auf die Erhaltung von Bäumen zu legen. "In Ihren Verkaufsprospekten können Sie dann mit dem Altbaumbestand als ,Value' protzen."

"In der Großstadt ist es schwer, Dinge rechtssicher zu genehmigen."

Die Vorbehalte der Alteingesessenen gegen die Nachverdichtung nehme er ernst, sagt Mager. Aber in letzter Zeit, zumal im Wahlkampf, würden diese Sorgen ausgenutzt. Bürgerschreiben, Petitionen gegen Nachverdichtung - "das ist durch die Decke gegangen". Kritiker suggerierten mitunter, "dass bald alles zugepflastert ist und kein Baum mehr steht". In Wirklichkeit seien nur rund 50 Prozent des Stadtgebiets Siedlungsfläche. Früher dominierte übrigens der Vorwurf an die LBK, dass sie zu wenig genehmige. Heute heißt es von vielen Seiten, sie genehmige zu viel. 500 Klagen gegen die Behörde sind anhängig; oft enden die Verfahren mit Vergleichen. Bei manchen Klagen muss Mager sich wundern: Da klagt etwa ein Büromensch wegen eines benachbarten Lokals in der Innenstadt, das ihm abends während seiner Überstunden zu laut ist. "In der Großstadt ist es schwer, Dinge rechtssicher zu genehmigen. Rein nach dem Gesetz könnten wir die Stadt um 22 Uhr zuklappen."

Mit seiner Frau und den beiden Kindern, einem Sohn, 17, und einer Tochter, 15, wohnt Cornelius Mager am Ackermannbogen. Dort probieren sie eine dieser neuen Wohnformen aus, über die immer alle reden. Keine Genossenschaft, nein - sie haben mit einer Baugemeinschaft ein Haus gebaut. Den Anschluss an die Gruppe gefunden hat er 2004, als er beruflich auf der Münchner Immobilienmesse unterwegs war. Damals wusste noch kaum jemand, was das überhaupt ist, eine Baugemeinschaft. Heute leben sie gern in dem Viertel, "es sind glückliche Menschen dort".

Mager muss los, er ist spät dran. An der Hochschule München hat er einen Lehrauftrag, Baurecht für Architekten. Der Kontakt zu Studentinnen und Studenten ist ihm wichtig, und an diesem Tag ist Notenvergabe. Stünde hingegen ein Richtfest an - als Chef der LBK wird er zu sehr vielen Richtfesten eingeladen -, würde er vielleicht seine Standardabsage schicken. Darin heißt es: "Während die einen feiern, warten die anderen auf ihre Genehmigung."

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SZ vom 05.03.2020
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