30 Jahre Aids-Hilfe:Raus aus dem Virusstüberl

Demonstration gegen die bayerischen Aidsgesetze, 1987

1987 demonstrierten Tausende Menschen in München gegen die Aids-Politik der Staatsregierung.

(Foto: AP)

Gauweiler sah damals Zwangstests für Risikogruppen vor, Seehofer wollte Aidskranke in "speziellen Heimen" sammeln: Auch 30 Jahre, nachdem sieben schwule Männer die bundesweit erste Aids-Hilfe-Gruppe gründeten, ist Diskriminierung im Zusammenhang mit HIV hochaktuell.

Von Thomas Anlauf

Der Kampf ist nicht vorbei. Auch 30 Jahre, nachdem sieben schwule Männer im Münchner Vollmarhaus die bundesweit erste Regionalgruppe der Aids-Hilfe gründeten, sind Diskriminierung und Unwissenheit im Zusammenhang mit HIV hochaktuell. Und die Arbeit der Münchner Aids-Hilfe ist trotz aller medizinischen Erfolge auf dem Gebiet wichtig wie nie zuvor: 6000 bis 8000 HIV-Infizierte leben in München, und es werden immer mehr.

Die Gründung des Vereins am 16. Januar 1984 war zunächst "eine politische Reaktion auf eine noch nicht sichtbare Bedrohung", sagt Guido Vael, einer der sieben Initiatoren der Münchner Aids-Hilfe. Erste Aids-Fälle waren in den USA aufgetaucht, "die Berichterstattung in Deutschland war ein Angriff auf unsere Szene und unseren Lebensstil". Der junge Verein setzte deshalb zunächst auf Information und Aufklärung in der Münchner Szene.

Doch nicht immer kamen die Leute von der Aids-Hilfe gut an, sie galten als diejenigen, die Ängste schüren. Michael Tappe ist seit 1986 bei dem Verein. Er kam damals aus den USA nach München, auch er hatte HIV. Nach den Treffen in der Selbsthilfegruppe gingen einige noch gemeinsam auf ein Bier. Das Lokal war in der Szene schnell als "Virusstüberl" verschrien. Und die Stimmung gegen die Schwulenszene wurde immer bedrohlicher, wie Thomas Niederbühl erzählt. Der Stadtrat der Rosa Liste ist seit 1991 Geschäftsführer der Aids-Hilfe. Er kann sich noch gut erinnern, dass viele "mit großen Befürchtungen Bayern verlassen haben, etwa nach Berlin". Das war 1987, als der damalige Innenstaatssekretär Peter Gauweiler (CSU) im bayerischen Kabinett den berüchtigten Maßnahmenkatalog durchsetzte: Er sah Zwangstests für Prostituierte, Drogenabhängige und angehende Beamte vor. Der damalige CSU-Abgeordnete Horst Seehofer wollte damals Aidskranke sogar in "speziellen Heimen" sammeln.

Dabei gab es schon früh Unterstützung aus der Politik für die Arbeit der Münchner Aids-Hilfe. Bereits 1985 begann die Stadt München, den noch jungen Verein zu fördern, 1987 gründete die Aids-Hilfe ihre psychosoziale Beratungsstelle mit finanzieller Unterstützung der Stadt und der bayerischen Staatsregierung. Aus einer zunächst rein schwulen, ehrenamtlichen Gruppe war schnell ein Verein geworden, der sich um alle Menschen mit HIV kümmert. Die JVA-Gruppe betreute HIV-positive Häftlinge in Stadelheim, die Betreuungsgruppe kümmerte sich um vereinsamte Menschen mit Aids, die "Sittenstrolche" und die "Vertrauensmänner" leisteten Aufklärungsarbeit in der schwulen Szene.

Längst ist die Münchner Aids-Hilfe mit ihren 60 hauptamtlichen und mehr als 150 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine einflussreiche Organisation, die sich vor allem als Dienstleister sieht. Seit 2005 bietet der Verein in seinem Stammhaus an der Lindwurmstraße 71 HIV-Tests, am Effnerplatz wurde 2001 in Kooperation mit dem Christophorus Hospizverein das erste stationäre Hospiz in München eröffnet. Es gibt eine HIV-Therapie-Hotline, dank des Spritzenaustauschprojekts gibt es in München mittlerweile vier Spritzenautomaten.

Es stellen sich aber auch zunehmend andere Herausforderungen. So engagiert sich die Aids-Hilfe seit 2007 in der Altenarbeit. 2008 startete die vom Sozialreferat finanzierte Beratungsstelle "Rosa Alter" für ältere Schwule, Lesben und Transgender, seit 2009 gibt es eine Wohngemeinschaft für schwule Senioren. Auf drei Millionen Euro beläuft sich mittlerweile der Gesamtetat der Münchner Aids-Hilfe, jeweils ein Drittel davon sind freiwillige Zuschüsse von Stadt und Freistaat. Trotzdem ist der Verein auf jährlich 300 000 Euro an Spenden angewiesen, Hilfe kommt unter anderem vom Adventskalender der Süddeutschen Zeitung und der Deutschen Aids-Stiftung.

Der Münchner HIV-Experte Hans Jäger ist zwar überzeugt davon, dass Aids künftig heilbar ist: "Wir haben inzwischen 20 Patienten, die nachweislich geheilt sind." Dennoch wird die Arbeit der Aids-Hilfe auch in Zukunft nötig sein. "Selbst wenn es irgendwann eine Heilung gibt, wird es immer Menschen geben, die sich infizieren", sagt Michael Tappe, fachlicher Leiter der Aids-Hilfe. Und diskriminiert werden HIV-positive Menschen bis heute - auch in München.

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