Süddeutsche Zeitung

25 Jahre Substanz:Punk und Poetry Slam

  • 1990 macht das Substanz in der Rupperstraße 28 auf. Damals war es vor allem in linken Kreisen beliebt.
  • Im Substanz fand auch der erste Poetryslam Münchens statt.
  • Der Club ist bis heute eine Institution im Münchner Nachtleben.

Von Franz Kotteder

Mein Gott, das Substanz! Heute ist das ja eine ganz normale Kneipe", werden die Veteranen sagen, "grad so brav wie die Jugendlichen, die heute dort abhängen! Aber damals - hoho!" Ja, so werden sie wohl reden. Die Veteranen, sie haben jetzt auch schon ergraute Schläfen, aber damals waren sie noch jung und unverbraucht. 1990 war das, als das Substanz in der Ruppertstraße 28 aufmachte. Auf der anderen Straßenseite befindet sich das Kreisverwaltungsreferat, und damals war das in den eher linken Kreisen der Stadt eine Furcht einflößende Behörde. Dort herrschte in jenen Tagen Hans-Peter Uhl (CSU), der als Rechtsausleger und Law-and-Order-Mann fast noch seinen Amtsvorgänger Peter Gauweiler übertraf.

Direkt gegenüber also traf sich die andere Seite, junge Typen in schwarzen Lederjacken, Überbleibsel der Punk-Szene und gelegentlich das, was sich in München so als "autonom" bezeichnete. Das waren nicht viele, und in Göttingen oder Hannover hätte man damals sehr darüber gelacht. Aber für München war das gewagt, und die Normalos fühlten sich ganz verwegen und manchmal auch ein bisschen beklommen, wenn sie das Substanz betraten: Es hatte so was Anarchistisches, ein Hauch von Berlin oder Hamburg Hafenstraße. Bestimmt, raunte man sich zu, hatte der Verfassungsschutz hier auch Spione am Start, die möglicherweise gefährliche Jugendbewegungen auskundschafteten.

Endlich ein richtig guter Musikclub für München

Natürlich war das alles nur eine Ausgeburt überschäumender Phantasie. Tatsächlich wollten die beiden Gründer des Substanz, die Sozialpädagogen Jürgen Franke und Frank Bergmeyer (der dann 1996 schon wieder ausgestiegen ist, um fürderhin vor allem Konzerte zu veranstalten), einfach nur ihren erlernten Brotberuf an den Nagel hängen und endlich mal einen richtig guten Musikklub in München aufmachen. Das geschah nicht ganz ohne Hindernisse. Zwar wurden die Räume umfassend saniert und sollten eigentlich lärmschutztauglich sein. Aber dann stellte sich heraus, dass das für Rockkonzerte immer noch nicht genügte - und deshalb kam gleich einmal die Auflage, Konzerte müssten um 22 Uhr beendet sein. Das hat bis heute seine Gültigkeit.

Erstaunlicherweise hat das offenbar nicht geschadet. Wer hat hier nicht alles gespielt: die Sportfreunde Stiller, Therapy, kleine und heute große Punkbands, das hat sich irgendwann so ergeben, von den TV Personalities bis zu Social Distortion. Solche aus einer ganz anderen Ecke: Wilco, Giant Sand, Lorette Velvette, Steve Wynn, Grant Lee Buffalo . . . Wenn sie fertig waren, kurz nach zehn zumeist, wurde schnell abgebaut und die Kickertische wieder auf die Bühne gestellt. Nicht selten waren dann die Musiker der zuvor aufgetretenen Band mit am Start. Oft war das Wichtigere sowieso die Idee hinter der Musik. Einmal spielte eine Münchner Band dort, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Popmusik so langsam wie nur möglich zu spielen. Es dauerte wirklich elend lange, obwohl auch da um zehn Schluss war, und als Zuhörer verging man fast vor Langeweile. Das pure Gegenteil davon: Stadtteilrapper MC Harras mit seinen Sendling 70 Pussy Riders, ein Gaudi-Projekt, mit dem die Bronx auf Isar-Verhältnisse zurechtgestutzt wurde, und ein großer Spaß.

Anfangs schwarz, später orange

Und es ging ja immer in erster Linie um die Unterhaltung hier und nicht ums Prinzip. Wie oft hat sich das Substanz schon geändert und gemausert! Anfangs war's eine schwarz gestrichene Bude, später dann putzte es sich in strahlendem Orange heraus, während der WM wurde auch schon mal im ganzen Lokal Rollrasen verlegt. Ach ja, der Fußball: Bis vor kurzem, als Sky, die Übertragungspreise drastisch erhöhte, sahen sich Fanklubs hier regelmäßig Fußballspiele an. Nein, nicht die Fanklubs der Blauen, wie man vermuten könnte, sondern solche der Roten. Immerhin, so ungewöhnlich war man dann doch: Es handelte sich um einen Bayern-Fanklub mit lauter weiblichen Mitgliedern.

Es gab überhaupt viel Überraschendes in diesen 25 Jahren. Den ersten Poetry Slam Münchens zum Beispiel. Der Musikjournalist Karl Bruckmaier hatte die Idee aus New York nach München mitgebracht. Bald haben andere die Idee übernommen, im Substanz aber wird bis heute geslammt. Es gab auch Lesungen, urkomische etwa mit Wiglaf Droste, bei der Droste zu später Stunde und anständig angeschickert den letzten zehn Gästen zum Absacker deutsche Volkslieder vortrug. Der Schauspieler Ben Becker trat im Substanz mit seiner Band als Rocksänger auf und war damals fast noch durchgeknallter als heute, jedenfalls tat er so oder spielte überzeugend einen durchgeknallten Indierocker - wer weiß das schon so genau? Ein Skandal sprang dabei auch noch heraus, weil er während des Konzertes schrie: "Der Kaiser ist tot!", dabei lebte Franz Beckenbauer doch. Die Boulevardpresse überschlug sich vor Abscheubekundungen. Das ist eben München.

Weihnachtsfeier mit "Jesus-Lookalike-Contest"

Anlass zur Empörung bestand gelegentlich auch, ohne dass es im Entferntesten so beabsichtigt war. Zum Beispiel gab es bei der Substanz-Weihnachtsfeier bis 1998 den Brauch, einen "Jesus-Lookalike-Contest" zu veranstalten. Da wurden langhaarige Hippies mit einem Tragl Bier prämiiert, wenn sie kitschigen Jesus-Darstellungen aus dem Biedermeier so ähnlich wie möglich sahen. Die SZ druckte einmal ein Foto davon, und dann war der Teufel los. Das Erzbischöfliche Ordinariat schaltete einen Rechtsanwalt wegen Gotteslästerung ein, forderte eine Entschuldigung und den Verzicht auf die im Scherz angekündigte Kreuzigung am Sendlinger Tor. Sogar eine Morddrohung von Fundamentalisten flatterte den Substanz-Leuten ins Haus. Seither ist es vorbei mit dem Wettbewerb.

Natürlich gibt es noch die Motto-Partys, kein Club kann auf so etwas verzichten. Da ist den Substanz-Leuten um Jürgen Franke immer viel eingefallen - früher mehr als heute, wenn man das mal kritisch anmerken darf. Zum Beispiel die schöne "White-Trash-Party", bei der man als prototypischer Mantafahrer zu erscheinen hatte, etwa im weißen Sakko mit breitem Kragen, Goldkettchen und Schnauzer. Dazu gab es viel schlechte Musik, was vielleicht erklärt, warum es die White-Trash-Party trotz all der Gaudi heute nicht mehr gibt. Wer will schon dauernd schlechte Musik hören, in einem Live-Club? Etwas seriöser waren da schon die Luftgitarrenwettbewerbe im Substanz, die offiziellen und die inoffiziellen. Es ging darum, Gitarrensoli möglichst stilecht nachzuspielen, obwohl oder gerade weil man keine Gitarre zur Hand hatte.

Die Sache fand sogar Eingang in die Literatur. Der Münchner Krimiautor Friedrich Ani lässt einen seiner Protagonisten nämlich im Substanz an einem Luftgitarrenwettbewerb um die Stadtmeisterschaft teilnehmen, und zwar im Krimi "Süden und der Luftgitarrist". In Wirklichkeit hat es so eine offizielle Stadtmeisterschaft im Substanz nie gegeben. Aber das macht ja nichts, weil es so gut erfunden ist, dass es jederzeit hätte sein können. Und das ist dann ja wohl nur ein Beleg für die Qualität von Anis Literatur und die der Musikkneipe Substanz. Oder etwa nicht?

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Quelle:
SZ vom 12.03.2015/lime
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