Süddeutsche Zeitung

20 Jahre Morizz:Heiliger Sessel!

Morizz-Besucher mögen Rotwein und thailändisches Abendessen und hassen Veränderungen aller Art. Auch deshalb ist sich der Herrenclub in der Klenzestraße treu geblieben. Jetzt feiert das renovierte Morizz Geburtstag - und begrüßt seine Gäste mit provokanter Kunst.

Tobias Dorfer

Besonders stolz sind sie auf das Bild. Eine Seenlandschaft bei Nacht, die kniende Frau hat die Augen geschlossen, sie umfasst die von der heruntergezogenen Lederhose bedeckten Unterschenkel ihres nackten Gegenübers - ihr Kopf befindet sich in Höhe von dessen Lendenbereich.

Es ist nicht zu übersehen, das plexiglasgewordene Werk des britischen Künstlers Christopher Winter, wenn man den neu renovierten Club Morizz betritt. Und doch müsste der Stammbesucher erstaunt die Stirn in Falten legen: eine offenkundig heterosexuelle Oralverkehr-Szene im Eingangsbereich eines Traditionslokals der schwulen Community?

Nun, sagt lachend der junge Geschäftsführer Dominik Linneweber, vielleicht zeigt das Bild ja ein lesbisches Paar. Schließlich könne die von hinten gezeigte Person mit der Lederhose durchaus eine schmal gebaute Frau sein. Aber eigentlich ist das auch egal, denn das Morizz möchte sich auch der heterosexuellen Kundschaft nicht verweigern, sondern offen sein für alle Geschlechter und sexuelle Identitäten.

Das war mal anders. Vor zwanzig Jahren, als der Herrenclub eröffnet wurde, musste man sich zunächst von den Altlasten des Hauses in der Klenzestraße 43 befreien. Zuvor war dort das "Tanzhaus Größenwahn" beheimatet, ein typischer Achtziger-Jahre-Schuppen: die Musik eine Mischung aus Avantgarde-Pop und Oldies, am Tresen schnupperten BWL-Studenten den Duft von Punk und Glasscherbenviertel. Abschlepp-Bar hätte man den Laden heute genannt, hetero war es obendrein - kein passendes Publikum für das neue Lokal, das die Inhaber um Ricci Scholze und Thomas Bedall einrichteten.

Deshalb also die Klingel am Eingang, die heute natürlich nicht mehr benutzt werden muss, denn die Tür des Morizz ist inzwischen an 364 Tagen im Jahr von 18 Uhr an geöffnet (nur an Heiligabend bleibt der Club geschlossen). Ihre kleinen Tricks haben Dominik Linneweber und seine Co-Geschäftsführerin Claudia Limbrunner, die das Lokal seit zwei Jahren führen, dennoch: Die "Reserviert"-Schilder auf manchen Tischen, die bei Bedarf durchaus abgeräumt werden können, dienen als Stellschrauben, um dezent auf die Zusammensetzung der Gäste Einfluss zu nehmen.

Das ist wichtig. Schließlich ist der typische Morizz-Besucher in den Dreißigern oder Vierzigern, mag es etwas mondäner und arbeitet in einem der viel zitierten Kreativberufe. Er mag: Rotwein und thailändisches Abendessen. Er hasst: Veränderungen aller Art.

Der Schwule meckert gerne, sagt Claudia Limbrunner. Deshalb steht seit 20 Jahren die etwas kuriose Mischung aus europäischer und thailändischer Küche auf der Karte. Aber der Morizz-Gast mag es bei aller Traditionsbesessenheit offenbar auch unkonventionell, deshalb gehört es hier scheinbar dazu, die Tom-Ka-Gai-Suppe mit dem Lammrücken in Kräuterkruste an Kartoffelgratin zu kombinieren.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht mit der Tradition, schließlich ist die Bewahrung des Status Quo in der Gastronomie nicht immer hilfreich. Und deshalb müssen es die Stammgäste erdulden, dass inzwischen ab 23 Uhr in ihrem Wohnzimmer mehr Party gemacht wird. Und neuerdings wird im Herrenclub am Sonntagabend sogar "Tatort" gezeigt.

Nostalgiker werden nun darauf hinweisen, dass in den Anfängen des Clubs an selber Stelle der seinerzeit noch unbekannte Chansonnier Tim Fischer ein Minikonzert gab und - bevor sie TV-Stars wurden - auch Ina Müller und Thomas Herrmanns im Morizz auftraten.

Sie werden vermutlich aufschreien, wenn sie hören, dass die roten Ledersessel, die zur Grundausstattung gehören und in den vergangenen zwei Jahrzehnten unzählige Male geflickt und neu gepolstert wurden, zum Jahresende wohl ausgetauscht werden. Aber Dominik Linneweber hat einen Anbieter gefunden, der identische Sitzmöbel herstellt. Die tiefrote Morizz-Optik bleibt also gewahrt.

Denn: Die Sessel sind heilig. Sie werden nur zu ganz besonderen Anlässen aus dem Lokal entfernt. Zum Beispiel wenn die legendäre Puff-Party auf dem Terminplan steht, bei der sich die Schlange der in Lack, Leder und anderem Fummel gekleideten Festgemeinde mitunter weit in Richtung Gärtnerplatz zieht. Legendär ist auch der Rosenmontagsball, bei dem das Nutten-Outfit im Schrank bleiben darf.

Experimentierfreude beweisen die Betreiber vor allem außerhalb des Morizz. Im Sommer haben es die Betreiber im ehemaligen "The Lodge" an der Reichenbachbrücke mit Münchens erstem Gay-Beach-Club versucht. Der Beginn fiel ins Wasser. "Zehn Öffnungstage in den ersten sechs Wochen" seien es gewesen, rechnet Claudia Limbrunner vor. Dennoch - im kommenden Jahr gibt es einen neuen Anlauf, allerdings müssen sich die Morizz-Macher einen neuen Ort suchen, da auf dem Areal ein Komplex mit Eigentumswohnungen errichtet wird.

Aber das ist ohnehin Zukunftsmusik. Denn zunächst muss in den angestammten Räumen in der Klenzestraße die Geburtstagsparty über die Bühne gebracht werden. So mancher Stammgast wird seinen Blick durch das renovierte Morizz schweifen lassen, er wird die neuen Deckenstrahler sehen, die aufgemalten Birkenstämme an den Säulen - um dann erleichtert aufzuatmen: Ist doch alles fast wie früher.

Am 15. Oktober wird im renovierten Morizz der 20. Geburtstag des Clubs gefeiert. Von 18 Uhr an legen DJ James und DJ Michi Berger auf. Eintritt: 8 Euro.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2011/tob
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