Medizin:Warum die Arbeit von Klinikclowns nicht nur Kindern hilft

Medizin: Die Klinikclowns Annette Schregle und Peter Spiel können sich keinen besseren Beruf vorstellen, als den ihren.

Die Klinikclowns Annette Schregle und Peter Spiel können sich keinen besseren Beruf vorstellen, als den ihren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Für ihren Job sind Annette Schregle und Peter Spiel professionell ausgebildet - denn sie sind auch eine wichtige Stütze für Eltern und Angehörige von kleinen Krebspatienten.

Von Inga Rahmsdorf

Wenn Annette Schregle und Peter Spiel in Zivil auftauchen, ist die Stimmung schon ziemlich gut. Kaum betreten die beiden Clowns die Kinderklinik, noch ohne rote Nasen, dafür zwei Rollkoffer hinter sich herziehend, eilt ihnen eine Krankenpflegerin entgegen. Endlich kann sie ihren Witz loswerden. "Wenn du heute im Sturm erobert werden willst, dann geh raus", ruft sie.

Draußen vor der Schwabinger Klinik bläst der Wind ziemlich heftig an diesem Tag. Ein Vater mit seinem Kind auf dem Arm bleibt stehen, begrüßt die Clowns wie alte Bekannte. Eine Pflegerin im blauen Kittel zupft singend an der Ukulele, die auf dem Rücken von Peter Spiel baumelt. Auf die beiden trifft hier jeder gern. Sie sind ein Kontrast zum Krankenhausalltag, zu Krebsdiagnose, Chemotherapie, Angst und Schmerz.

Annette Schregle und Peter Spiel sind Clowns. Nicht auf Kindergeburtstagen, nicht ehrenamtlich und nicht ein bisschen zum Vergnügen in ihrer Freizeit. Nein, von Beruf, mit professioneller Ausbildung. So wie andere Menschen eben Krankenpfleger, Ärzte oder Erzieher sind. Spiel arbeitet seit 20 Jahren als Klinikclown in Münchner Krankenhäusern. Jeden Donnerstag besucht der 52-Jährige die jungen Patienten auf der Kinderstation für Onkologie im Klinikum Schwabing. Seit fünf Jahren arbeitet er dort mit Annette Schregle, 29 Jahre, in einem Team.

Sie kennen bereits viele der Kinder und Jugendlichen. Manche begleiten sie während ihrer Krebserkrankung über Monate oder sogar Jahre hinweg. Sie freuen sich mit den Patienten, wenn diese entlassen werden. Sie erleben aber auch die traurigen und schmerzvollen Momente, wenn sie donnerstags bei der Visite erfahren müssen, dass ein Kind gestorben ist. Es ist nicht alles nur Witz, womit sich ein Klinikclown befasst. "Man muss sich auch mit dem Tod auseinandersetzen", sagt Spiel.

20 Jahre ist es her, am 28. Januar 1998 sind die Klinikclowns zum erst Mal in München aufgetreten, im Dr. von Haunerschen Kinderspital. Und Peter Spiel ist einer der Urclowns, er war von Anfang an mit dabei, als sich der Verein "Klinikclowns Bayern" damals gründete. Die Idee dahinter klingt so einfach wie überzeugend: Lachen und Humor wirken sich positiv auf Körper und Psyche aus.

Der Verein der Klinikclowns ist seitdem gewachsen, heute arbeiten bayernweit 60 Klinikclowns, sie treten in 90 Einrichtungen auf; nicht nur in Kinderkliniken, sondern auch in Altenheimen, auf Palliativstationen und in Behindertenwohnheimen bringen sie die Bewohner zum Lachen. Wie Schregle und Spiel sind auch alle anderen Klinikclowns Profis, ausgebildet in künstlerischen Bereichen wie Musik, Schauspiel und Tanz. Oder sie haben eine Berufsfachschule für Clownschauspiel absolviert wie Annette Schregle.

Bevor die Clowns mit ihrer Visite beginnen, besprechen sie sich mit einem Mitarbeiter des psychosozialen Teams, um sich auf die Patienten vorzubereiten. Dabei geht es nicht um Krankheitsverlauf, Medikamente oder Diagnose. Sondern darum: Wer liegt in welchem Zimmer? Was gilt es heute zu beachten? Wie geht es dem Patienten? Welche Kinder sind aus Schutzgründen isoliert, so dass die Clowns nur vom Balkon durch die Fensterscheibe hindurch ihre Späße treiben können. Zimmer 24: Jens hat starke Schmerzen (Namen der Kinder sind geändert). Zimmer 25: Mira war lange auf der Intensivstation. Zimmer 26: Tom wird wahrscheinlich bald entlassen. Zimmer 27: Bei Clara dürft ihr heute nicht rein. So gehen sie die Liste durch.

Dann beginnt die Verwandlung. In einem leer stehenden Untersuchungszimmer werden die beiden Rollkoffer auf eine schmale Untersuchungsliege gehievt und aufgeklappt. Gelbe Schuhe, weiße Kittel, oranger Tüllrock, kariertes Hemd, Luftballons, quietschende Tiere, bunte Nasen und Schminke werden herausgeholt. Aus Annette Schregle wird Fiderallala, aus Peter Spiel wird Dr. Roger Paletti. Gut gelaunt rauschen sie auf den Flur hinaus.

Zimmer 25. Die sechsjährige Mira strahlt die Besucher an. Mutter und Großvater sind auch im Krankenzimmer. Aber kaum haben Fiderallala und Dr. Roger Paletti den Raum betreten, steht Mira im Mittelpunkt. Nicht ihre Krankheit, nicht die Diagnose, nicht die Schläuche, die sich bei ihren aufgeregten Bewegungen immer wieder um ihre Beine verheddern und die ihre Mutter immer wieder entknotet. Für eine halbe Stunde ist Mira einfach nur ein glückliches, spielendes Kind. Und nicht die krebskranke Patientin.

Fiderallala, Dr. Roger Paletti und Mira sind ganz ins Gespräch vertieft. Alles dreht sich um den verflixten Luftballon, aus dem immer wieder die Luft entweicht. Um das elegante Huhn Helga, das auf der Hand von Fiderallala balancieren kann. Um das seltsame Geräusch, das aus der Wand kommt. Oder doch aus einer der Kitteltaschen der Clowns? Und um die blaue Bürste, mit der Dr. Roger Paletti verzweifelt versucht, die Decke zu putzen. Mira lacht laut und quietscht vor Freude. Als die Clowns sich verabschieden, stürzt Mira aufgeregt zu ihrem Bett, wühlt in einem kleinen Haufen aus Geschenken und zieht etwas hervor. "Die ist für euch", sagt sie und hält den Clowns eine Tafel Schokolade hin.

Der Verein der Klinikclowns finanziert sich über Spenden

Als die Klinikclowns vor 20 Jahren begannen, habe es Ärzte gegeben, die ihre Arbeit zunächst kritisch beäugt hätten, erinnert sich Peter Spiel, der auch der künstlerische Leiter des Vereins ist. Heute sei das ganz anders. Es herrsche eine sehr gute Stimmung zwischen Klinikpersonal und Clowns. Mittlerweile höre er häufig die Frage: Warum gibt es bei uns noch keine Klinikclowns? Sie bekommen mehr Anfragen, als sie tatsächlich bedienen können.

Schließlich finanziert sich der Verein nur über Spenden. Und die Klinikclowns werden für ihre Arbeit bezahlt. "Das ist auch wichtig, um eine Zuverlässigkeit und Professionalität zu garantieren", sagt Peter Spiel. Und damit die Arbeit wertgeschätzt wird. Eine Finanzierung von den Krankenkassen oder vom Staat gibt es in Deutschland nicht für Klinikclowns. Dabei befassen sich längst auch Wissenschaftler damit, dass Humor Heilungsprozesse fördern kann. Und dass Lachen und Ablenkung bei den Patienten Stress und Angst reduzieren können.

Lisa Stritzl-Goreczko braucht für diese Erkenntnisse keine Studien. Die leitende Erzieherin des psychosozialen Teams im Klinikum Schwabing erlebt die positiven Effekte der Klinikclowns jeden Donnerstag auf ihrer Station. "Die Kinder sind begeistert und fragen immer nach den Clowns", sagt sie. Und auch Stritzl-Goreczko schwärmt von ihnen. "Die Clowns gehen sensibel auf die Situation ein und spüren genau, was ein Kind braucht und was es gerade überhaupt nicht gebrauchen kann."

Das ist auch die Kunst der Klinikclowns. Es geht nicht darum, in der Manege laute Witze zu machen und das Publikum zum Lachen zu bringen. Es geht darum, auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten und seiner Familie einzugehen, mit Feingefühl. Schließlich arbeiten sie auf einer Krebsstation und nicht im Zirkus. "Die Krebsdiagnose ist ein Schock. Die ganze Welt ändert sich für die Kinder und Eltern", sagt Schregle. Dafür müssen die Clowns ihre eigenen Sorgen in der Umkleide zurücklassen und sich ganz auf die Kinder und Familien einlassen. Das erfordert Flexibilität.

Annette Schregle und Peter Spiel improvisieren immer, auf jede Situation müssen sie sich neu einlassen. Wie geht es dem Kind, den Eltern? Wie reagiert es auf die Besucher, was tut ihm gut? Manchmal sind es auch die Eltern oder Geschwister, die dankbar für die Ablenkung sind, weil ihnen die Decke auf den Kopf fällt oder die Sorgen sie bedrücken. "Es ist eine sehr intensive und erfüllende Arbeit, aber sie ist auch anstrengend", sagt Spiel. "Man lernt unheimlich viel über das Leben", sagt Schregle. "Wenn man abends rausgeht, denkt man, es hat wieder Sinn gemacht." Beide sind sich einig, dass es der schönste Beruf ist, den sie sich vorstellen können.

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