Urteil zur Dritten Startbahn:Verfahren ohne das Volk

Flughafen München

Braucht der Münchner Flughafen überhaupt eine dritte Startbahn? Diese Frage konnte auch der Prozess nicht klären.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Eine gigantische Papierschlacht endet mit Tumulten. Befriedung durch das Recht? Fehlanzeige. Der Prozess um den Ausbau des Flughafens München hat gezeigt, warum Verfahren zu großen Verkehrsprojekten geändert werden müssen.

Von Kassian Stroh

Erwin Allesch wird den Schluss als unangemessen, vielleicht sogar als ungehörig betrachten, gepasst hat dieser zur ganzen Geschichte. "Im Namen des Volkes" wollte der Vizepräsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes am vorvergangenen Mittwoch urteilen, doch das anwesende Volk hinderte ihn daran und schrie "Wir sind das Volk!". Bis Allesch es des Saales verweisen ließ. Gepasst hat dieser Tumult bei der Urteilsverkündung zur dritten Startbahn nicht deshalb, weil Gerichtsverfahren so ablaufen sollten in diesem Land. Gepasst hat er, weil er Sinnbild war dafür, wie Menschen sich der Staatsmacht ausgeliefert fühlen, hilflos, machtlos, verraten. Obwohl sie doch das Volk sind, Träger der Staatsgewalt.

Recht soll befrieden, es setzt klare, für alle geltende Regeln und unabhängige Wächter an die Stelle von Selbstjustiz - im Fall des Verwaltungsrechts an die Stelle staatlicher Willkür. Aber von Befriedung kann keine Rede sein, wenn 30 Polizisten einen Gerichtssaal räumen. Das hat im Fall der geplanten Startbahn am Münchner Flughafen ein paar spezifische Gründe - und ein paar allgemeine, die schließlich zur Frage führen, ob die Verfahren, die der Rechtsstaat bei großen Verkehrsprojekten vorgesehen hat, überhaupt noch geeignet sind.

Die sind bei Anwohnern immer unbeliebt, sie bringen Lärm und Dreck - und das Recht soll gewährleisten, dass fair abgewogen wird, ob der Nutzen für die Allgemeinheit den Schaden für die Betroffenen rechtfertigt. Letzterer aber hat im Fall der Startbahn eine besondere Qualität: Die negativen Folgen haben hier vergleichsweise wenige zu tragen, für die sind sie aber umso schlimmer. Wer in einer Abflugschneise lebt, dessen Gesundheit wird heftig angegriffen, dessen Haus verliert massiv an Wert - von unmessbaren Auswirkungen ganz abgesehen wie dem Verlust von Gemeinschaft und Heimat, wenn ein Dorf teilweise schlicht geschlossen wird.

Um die Akzeptanz zu erhöhen, ist Bürgerbeteiligung das große Zauberwort, wie es nun in München beim Kunstareal etwa erprobt wird oder beim Paulanergelände. Allein, bei solchen Projekten gibt es nie nur Schwarz und Weiß. Da können Bebauungsdichten variiert, Zufahrtsstraßen verlegt, ästhetische Vorgaben gemacht werden; das macht es einfacher. Bei einer Start- und Landebahn gibt es wenig Kompromissmöglichkeiten, allenfalls über ein Nachtflugverbot können die Folgen für die Anwohner abgemildert werden. Sonst aber gilt: Eine Start- und Landebahn wird gebaut oder nicht. Und ein bisschen Absiedelung gibt es dann eben auch nicht.

Das Verfahren muss transparent sein

Keine wie auch immer geartete Form der Bürgerbeteiligung wird also verhindern, dass Betroffene alle Rechtsmittel gegen eine neue Startbahn ausschöpfen. Das muss sie auch nicht. Deshalb ist mehr Bürgerbeteiligung bei einem solchen Großprojekt aber auch nicht von vornherein sinnlos. Wenn zwei Grundsätze beachtet werden: Das Verfahren muss transparent sein und ergebnisoffen. Doch darum war es beim Projekt Startbahn schlecht bestellt.

Im Jahr 2001 tauchte in einer Karte des Landesentwicklungsprogramms (LEP) plötzlich eine gelb schraffierte Fläche im Erdinger Moos auf, sie nannte sich "Vorranggebiet Flughafenentwicklung"; dort sollte fortan niemand mehr bauen dürfen. Nein, nein, beschwichtigten der Flughafen und die CSU-Politiker damals die beunruhigten Anwohner, an eine Erweiterung sei nicht im Mindesten gedacht. Das erzählte der zuständige Verkehrsminister Otto Wiesheu, zugleich Freisings Landtagsabgeordneter, sogar noch im Jahr 2005 - und kurz darauf beschloss die Staatsregierung, den Bau einer dritten Startbahn anzugehen. Der Flughafen prüfte verschiedene Varianten einer solchen - und als am besten geeignet stellte sich, wenig überraschend, jene heraus, die genau in besagter "Vorrangfläche" lag.

Es folgten ein Raumordnungs- und ein Planfeststellungsverfahren, um zu prüfen, ob eine Startbahn mit den rechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen ist. Die aber legt zu einem Gutteil der Freistaat fest, und der hatte ja in sein LEP geschrieben, dass der Flughafen ein "führendes europäisches Luftfahrt-Drehkreuz" sein solle, und damit genau die Argumentation für die Startbahn vorweggenommen. Zu welch anderem Ergebnis als Zustimmung soll ein Verfahren kommen, bei dem geprüft wird, ob das Projekt den Vorgaben entspricht - wenn diese Vorgaben zuvor vom Antragsteller quasi selbst geschrieben werden können?

Und über die Genehmigung entscheidet mit dem Luftamt Südbayern eine Behörde, die jener Staatsregierung unterstellt ist, die den Ausbau vorantreibt. Kann sich jemand an ein Verfahren erinnern, bei dem unter ähnlichen Umständen die Pläne für ein Großprojekt abgelehnt worden wären? Na gut, da war der Miniflughafen Hof, der eine längere Landebahn haben wollte, die ihm 2007 abgelehnt wurde - aber die Begründung, Hof könnte viele Ferienflieger anlocken, war auch zu absurd, als dass man ihr hätte folgen können. Und in dem Fall gehörte der Flughafen auch diversen Kommunen, nicht dem Freistaat.

Landkarten nicht für alle sichtbar

Natürlich gab es auch bei der dritten Startbahn eine Bürgerbeteiligung: Die Gegner konnten Einwendungen schreiben, sie haben ihre Argumente in einer öffentlichen Anhörung vortragen können. Im einen Fall bekamen sie computergenerierte Antworten zurück, im anderen standen sie vor einer riesigen Bühne, auf der die Vertreter des Luftamts und des Flughafens thronten. Zumindest optisch ließ sich da von Waffengleichheit nicht sprechen. Diese ganze, lange Vorgeschichte erklärt, warum bei der dritten Startbahn die Fronten derart verhärtet sind und ein Richter sein Urteil nur noch verkünden kann, wenn er zuvor den Saal räumen lässt.

Zumal gerade der Prozess gezeigt hat, dass auch das zweite Kriterium, die Transparenz, kaum erfüllt wurde. Zwar war er öffentlich, doch das Planungsrecht ist derart kompliziert, dass der Sache eigentlich nur juristische Spezialisten folgen können. Die warfen vor dem Verwaltungsgerichtshof mit Schriftsätzen, Musterurteilen und Paragrafen nur so um sich; die ganze Startbahn-Genehmigung war vor allem eine gigantische Papierschlacht, deren Relikte nun Hunderte Aktenordner füllen. Unüberschaubar, unverständlich. Beim Prozess waren ja noch nicht einmal die Landkarten für alle sichtbar. Einmal, so berichten Augenzeugen, wurde eine solche auf den Richtertisch gelegt, drumherum eine Traube von Anwälten und Experten, die dort lange und rege diskutierten. Das Publikum hinten aber sah und hörte nichts - und packte irgendwann frustriert seine Sachen zusammen.

Gerade für Natur- und Artenschutz gibt es derart viele und hochkomplexe Vorschriften und Gesetze, deren Auslegung den Laien überfordert und den Spezialisten, also den Anwälten und Gutachtern, gute Einnahmen beschert. Also wird über Feldlerchen weit mehr debattiert als über Flugzahlenentwicklungen. Was wiederum bei den Anwohnern das Gefühl auslöst, dass eine Startbahn leichter durch eine Kolonie geschützter Wiesenbrüter verhindert werden kann als durch Kinderschlafzimmer. Man möge nur nach Stuttgart schauen, wie da ein kleines Insekt namens Juchtenkäfer den großen Bahnhofsbauern das Leben schwer macht.

Das Gefühl ist nur halb richtig. Aber es illustriert, dass sich die Menschen nicht ernst genommen fühlen, nicht von der Politik, nicht von den Behörden, nicht vom Gericht. Ohne andere Verfahren wird sich wenig ändern an der Entfremdung zwischen denen, die sich als das Volk sehen, und denen, die in seinem Namen entscheiden.

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