Urteil:Familie misshandelt Tochter, weil sie sich verliebt hat

  • Die 17-jährige Tochter einer syrischen Familie hat sich verliebt.
  • Als ihr Vater davon erfuhr, wurde das Mädchen für drei Tage zu Hause eingesperrt, bekam weder Essen noch Trinken und wurde getreten.
  • Nun wurden ihre Eltern und ihr Bruder zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

"Alia hat sich verliebt. In einen Afghanen. Ja und?" Richter Robert Grain macht eine kleine Pause, bevor er im Urteil richtig loslegt und der angeklagten Familie entgegenschleudert, dass sie sich schämen solle. Der Name Alia verschleiert den richtigen Namen des Mädchens, auch ihr Aufenthaltsort ist geheim. Alia wurde von Vater, Mutter und Bruder drei Tage lang zu Hause eingesperrt, musste auf dem Boden sitzen "wie ein Hund", sagt der Richter, bekam weder Essen noch Trinken, wurde mit Füßen ins Gesicht getreten und sollte mit der Zunge die Kloschüssel sauber lecken. Anschließend wurde sie auch noch verschleppt und sollte zwangsverheiratet werden. "Das ist verachtenswert", wettert Grain. Trotzdem kommt das Trio mit Bewährungsstrafen davon.

Es ist viel von Kulturunterschieden zwischen Syrien und Deutschland die Rede an diesem Vormittag im Saal A 225 am Münchner Amtsgericht. "Mit Kultur hat ihr Verhalten aber nichts zu tun", stellt Richter Grain klar. Auf der Anklagebank sitzen Mohamed Said H., 66 Jahre alt, seine 50-jährige Ehefrau Rana K. und Sohn Mohamad H., 23 Jahre alt. Was bei der Anklageverlesung dem Zuhörer Entsetzen bereitet, veranlasst Vater und Sohn, an der ein oder anderen Stelle zu grinsen.

Es war drei Tage vor Silvester vergangenen Jahres, als Mohamed Said H. erfuhr, dass seine 17 Jahre alte Tochter Alia einen Freund hatte. "Sie hat sich verliebt", sagt Amtsrichter Grain, "Sie leben bei uns in einer Kultur, wo man das darf. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau." Allerdings war Alia die einzige in der elterlichen Wohnung in Bogenhausen, die mehr oder weniger in der deutschen Kultur lebte. Sie erkämpfte sich das Recht, in die Schule zu gehen. Während der Vater als Fahrer 800 Euro im Monat verdiente und etwas Deutsch lernte, blieben Mutter und Sohn zu Hause, ohne Arbeit, ohne Deutschkenntnisse.

Aber Alia wollte leben und wurde mit einer "krassen Psychofolter" bestraft, wie der Richter es nennt. Als der Vater von dem Freund erfuhr, sollte sich die 17-Jährige drei Tage lang auf den Boden setzen. Die Tür wurde abgesperrt, die Jugendliche stand unter ständiger Beobachtung. Am ersten Tag trat der Vater mit dem Fuß mehrmals gegen ihr Gesicht und ihren Kopf. Am zweiten Tag drohte er, ihr mit dem Messer die Kehle durchzuschneiden und sie in Syrien zwangsweise zu verheiraten. Dann sollte sie die Toilette sauber lecken. Der Vater führte sie ins Badezimmer, wo sie unter Aufsicht der Mutter die Forderung erfüllen sollte. Doch die Mutter ließ davon ab. Tags darauf drohte Mohamed Said H. seiner Tochter erneut sie umzubringen.

Erst Mitte Januar vertraute sich Alia in der Schule einem Lehrer an, das Jugendamt wurde eingeschaltet und Alia in Obhut genommen. Trotzdem gelang es der Familie einige Tage später, sie vor der Schule abzupassen und quer durch Deutschland zu verschleppen. Der Plan des Vaters war, die Minderjährige in Syrien zu verheiraten. Erst als die Polizei Mohamed Said H. festnahm, gab die Familie Alia heraus. Mutter und Sohn sind wegen unterlassener Hilfeleistung und Freiheitsberaubung angeklagt, der Vater noch wegen Misshandlung Schutzbefohlener, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung.

"Hier ist von den drei Angeklagten eine Familie zerstört worden", sagt der Staatsanwalt klipp und klar. "Sie haben eine tolle Tochter", hält der Richter der Familie vor. Denn nur, weil es Alias ausdrücklicher Wunsch war, wird die Familie nicht mit Haft bestraft. Alia will weiterhin ihr eigenes Leben leben und sich nach ihren Wünschen wieder an die Verwandten wenden - oder nicht. Der Familie jedenfalls ist jegliche Kontaktaufnahme untersagt. Sie muss die Entscheidungen von Jugendamt und Familiengericht akzeptieren, die Mutter einen Deutschkurs besuchen, der Sohn freiwillige soziale Arbeit leisten. Und sollte der Vater zufällig Alia auf der Straße begegnen, "so muss er ausweichen", sagt der Richter.

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