SZenario:Selfies mit der Ururoma

Zum 25-jährigen Bestehen der Fotogalerie Reygers: Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein stellt aus und recherchiert

Von Philipp Crone

Wer glaubt, diese 95-Jährige könne sich nicht zur Wehr setzen, irrt. Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein hat sich am Dienstagabend auf einen Stuhl in den Galerie-Räumen von Hubertus Reygers an der Widenmayerstraße gesetzt, als sie von Fotografen umringt wird. Die kommen ihr sehr nahe, blitzen drauflos: bitte mit dem Stift in der Hand, bitte das Foto-Buch hoch halten. Solange, bis es der Fürstin zu viel wird. Sie zieht ihren eigenen Fotoapparat aus der Handtasche, ein analoges Modell, und richtet das Objektiv auf die Herren mit ihren Digital-Geräten. Stille, Abstand, Zurückhaltung.

Sayn-Wittgenstein weiß, wie man sich durchsetzt, Grundvoraussetzung für Fotografen. Mehr als 300 000 Bilder hat sie geschossen, sie war eine der ersten People-Fotografinnen überhaupt, hat Könige, Sportler, Schauspieler abgelichtet, auch bei Autorennen, dem Thema dieser Ausstellung.

Hubertus Reygers hat geladen, um das 25-jährige Bestehen seiner Galerie zu feiern, sie war damals die erste Fotogalerie der Stadt. "Heute gibt es mindestens ein halbes Dutzend", sagt er, während er mit Sayn-Wittgenstein ein Selfie schießt. In diesem Fall ist die Dame ganz anschmiegsam, obwohl sie eine starke Abneigung gegen Smartphones entwickelt hat. "Neulich haben mich einige meiner 28 Urenkel besucht." In Fuschl, ihrem Schloss, das seit Jahrzehnten Schauplatz jährlicher Exklusiv-Einladungen ist. "Sechs waren da, zwischen 15 und 20 Jahre sind die alt, und alle haben im Salon gesessen und in ihre Telefone geschaut. Die schicken sich Briefe von einem Ende des Raumes zum anderen!"

Sayn-Wittgenstein schickt auch Briefe, wenn sie Bilder macht. "Ich mache zwei Abzüge, der eine kommt in meine Sammlung, der zweite an denjenigen, den ich fotografiert habe." Zum Beispiel den Rennfahrer Stirling Moss im Juni 1955, wie er "geschlagen und doch zufrieden" nach einem Rennen Hände schüttelt. Mario Theissen, ehemaliger BMW-Motorsportchef, erinnert sich an diese Namen gerne. "Damals gab es ja nur Bilder, da wurden keine Rennen im Fernsehen gezeigt." Der junge Ferdinand Piëch steht auf einer Aufnahme von 1967 neben Skifahrer Jean-Claude Killy bei einem Rennen in Italien. Der spätere VW-Boss, damals Technischer Direktor bei Porsche, schaut erwartungsvoll zu einem Streckenposten. Der telefoniert gerade zum 72 Kilometer entfernten Ziel und fragt, ob die Autos schon durch sind. Damals.

Heute lächelt Theissen nur, wenn es um den VW-Skandal geht. Er bleibt lieber in der Vergangenheit, "als Autos noch nicht so perfekt waren, sondern eine unvollkommene Emotionalität besaßen". Er sammelt Oldtimer. "Das waren faszinierende Männer damals", sagt die Fürstin, "so mutig, und alles in einer Atmosphäre voller Lärm, vor tausenden Fans und beißendem Benzingeruch." In der Galerie riecht es nach frischem Brot, Rotwein und Parmigiano, dem kulinarischen Vernissage-Klassiker.

Die Gäste kommen, um die Fotografin zu begrüßen, auch Alexander zu Schaumburg Lippe. Der Münchner Society-Fürst hat sich vor Kurzem von seiner Frau getrennt und eine Begleitung dabei, die gleich das Interesse der Gastgeberin weckt. Wie sie denn zusammengehören, fragt Sayn-Wittgenstein mit der Unschuld einer Ururoma, die sie mittlerweile ist. "Wir sind nur sehr, sehr gute Freunde", antwortet die Frau. Die Fürstin lächelt nur. Einer Gesellschaftsfotografin mit fast 80 Jahren Erfahrung kann niemand mehr was vormachen.

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