Sommerpause:So schön anders ist München im August

Im hektischen September-bis-Juli-München gibt es keine freien Parkplätze, viele Staus, viele Einheimische in der Stadt und kaum Luft zum Atmen. Und jetzt?

Von Gerhard Fischer

Viele Leute meinen, es existierten zwei München: das September-bis-Juli-München und das August-München. Im hektischen September-bis-Juli-München gibt es keine freien Parkplätze, viele Staus, große Kultur-Events, viele Einheimische in der Stadt und kaum Luft zum Atmen. Im beschaulichen August-München gibt es leere Parkplätze, keine Staus, kleine Kultur-Events, viele Touristen in der Stadt - und endlich Luft zum Atmen. Stimmt das? Ein Streifzug durch München, mitten im August.

Die Straßen zum Beispiel, wie viel ist da los? Selbstversuch am frühen Freitagabend: Los geht es am Luise-Kiesselbach-Platz über den Ring, die Fahrt führt durch Haidhausen und den leeren Altstadtringtunnel in die Maxvorstadt, und sie endet am Rotkreuzplatz in Neuhausen. Dauert nur eine halbe Stunde. Ampeln sind kein Hindernis. Dank der grünen Welle. Die Haselmaus hält sieben Monate Winterschlaf. Die grüne Welle in München hält elf Monate Winterschlaf. Nur im August nicht.

Was noch auffällt: Am frühen Freitagabend gibt es an der Theresienstraße in der Maxvorstadt viele freie Parkplätze - man könnte einen Kurzzug zwischen zwei weit auseinander stehenden Autos parken. Apropos Parkplätze. Mal schauen, wie es mitten in der Stadt aussieht, sagen wir: in der Schwanthalerstraße.

Samstag, früher Nachmittag, Stadtmitte. Die Sonnenstraße ist teilweise gesperrt. Trambahngleise werden verlegt. Ja, im August-München gibt es sehr viele Baustellen, weil man im Sommer draußen besser arbeiten kann als im Winter. Und es sind weniger Menschen in der Stadt, die von den Baustellen genervt sein könnten. Ach ja, Touristen sind da. Ein paar Asiaten stehen an der Sonnenstraße und rätseln, wie sie diese überqueren können. Gut, dass Asiaten selten grantig werden.

Am Anfang der Schwanthalerstraße ist noch nicht zu merken, dass es im August-München mehr Parkplätze geben soll; aber je weiter man sich vom Zentrum entfernt, wenn man die St.-Paul-Straße überquert, dann fühlt man sich fast - einsam: kaum Menschen, kaum Autos, viele leere Parkbuchten. Und Ruhe. Beinahe wie auf dem Land. Unglaublich. Ein paar Minuten bleibt es still, man geht nach links zum Bavariaring, als plötzlich auf der Höhe des Egon-Eiermann-Hauses, in dem Versicherungen untergebracht sind, ein lautes Röhren die schöne Ruhe niederbrüllt. Ein Mann mit weißem Sportwagen und schwarzer Sonnenbrille hat ganz viel Gas gegeben und ist den Ring ganz schnell entlang gefahren, vermutlich, um sich in den Mittelpunkt zu rücken. Viele Sportwagen-Fahrer haben ja eine Art ADHS-Syndrom, allerdings besteht ihr Defizit nicht darin, dass sie nicht aufmerksam sein können, sondern dass sie unbedingt auf sich aufmerksam machen wollen. Dieser Sportwagen-Fahrer hat aber ein Problem: Im August-München ist auf dem Bavariaring nichts los, kein Fußgänger ist da, der sein Auto bewundern kann.

Samstagabend am Odeonsplatz. Seit Donnerstag findet vor der Feldherrnhalle das kleine Event "Stadtlesen" statt. Es gibt Lesungen, es wird Musik gemacht, aber man kann sich auch einfach auf große Säcke legen und Bücher lesen, die man aus Regalen nehmen kann, etwa "Hilfe bei Arthrose" oder "Werden wir wie unsere Eltern?" Viele Leute liegen auf den Säcken - und spielen auf ihrem Smartphone herum. Ein Paar breitet sich in einer Hängematte aus, die Frau macht ein Selfie, der Mann schließt die Augen, um zu dösen. Einige Meter entfernt ist ein junger Mann in ein Buch vertieft. "Ich habe im Internet gesehen, dass dieses Stadtlesen stattfindet", sagt Patryk Kiwus. "Und da dachte ich mir, ich lese lieber hier als in einem Park." Kiwus, 25, ist in Polen aufgewachsen und erst seit drei Jahren in München, aber er spricht sehr gut deutsch. "Ich rede eben mit den Leuten und ich lese deutsche Bücher", sagt er und deutet auf sein Taschenbuch. "Becks letzter Sommer" von Benedict Wells. Kiwus lächelt. "Das habe ich von zu Hause mitgebracht", sagt er.

Im Tambosi sitzen die Touristen

Ein paar Meter weiter, im Hofgarten, bedient Kostas Kechagias im Restaurant Tambosi. Sind im August mehr Touristen in der Stadt? "Ja, auf jeden Fall", sagt Kechagias, "vor allem Italiener." Auf den Schildern im Selbstbedienungsbereich steht nicht nur "Selfservice", sondern auch "Autoservizio". Er arbeite seit fünf Jahren im Tambosi, sagt Kechagias, und er habe hier schon alle Nationalitäten gesehen, "bis auf Indianer und Eskimos". Er macht eine Pause und grinst. Man denkt: Da kommt noch was. "Letzte Woche", sagt Kechagias, "waren dann auch Indianer da - aus Peru."

Nächster Tag. Neuhausen. Ein wunderschönes, gediegenes Viertel, in dem die Läden "Himmelblau" und "Brauseschwein" heißen und wo an der Bothmerstaße die vermutlich schönsten Gründerzeitvillen der Stadt zu finden sind. Am Rotkreuzplatz steigt das Hide-Out-Bluesfestival. Kurz vor zwei kommt ein älteres Paar, Typus Volksmusik, in den Biergarten "Jagdschlössl", wenige Meter vom Rotkreuzplatz entfernt. Der Mann bestellt zwei Weißbier (nur eins ist für ihn), und dann schweigen sie sich an, fünf, zehn, fünfzehn Minuten lang. Bei Paaren, die lange zusammen sind, wächst vielleicht die Liebe, aber manches lässt auch nach, etwa die Kommunikation. Dann machen die Musiker am Rotkreuzplatz den Soundcheck, sie spielen ein paar Lieder an und die Frau tippt mit ihren Fingern den Takt auf dem Tisch mit. Der Mann bleibt stumm. Er sitzt einfach bloß da. Die Frau hört wieder auf zu tippen.

Drüben am Rotkreuzplatz steht Rose, den Nachnamen will sie nicht verraten. Rose wohnt gleich ums Eck, sie ist Rentnerin, früher hat sie "in der Pflege" gearbeitet, und damals sei sie immer mit Kollegen zum Blues-Festival gekommen, "zehn, zwölf Leute waren wir". Heute ist sie alleine da. "Es ist wie bei den Geburtstagen - es werden immer weniger", sagt sie. "Aber ich freue mich, dass so viele ältere Leute hier sind." Tatsächlich sieht man nicht nur tätowierte T-Shirt-Träger, sondern auch ältere Männer mit kurzen Hosen und Sandalen und ältere Frauen mit Hüten. Solche Zuhörer dürfte die Münchner Band Slide & Ride, die vorne spielt, auch noch nicht gehabt haben. "Dieses Blues-Festival ist ein Stadtteilfest", sagt Rose, "und deshalb ist das Publikum so gemischt." Das Festival ist gut besucht. Es gibt kaum leere Bierbänke.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: