Rapperin und Moderatorin Nina Sonnenberg:Ein Herz, das Farben tanzt

Energie trifft auf Wortgewalt trifft auf Charme. Nina Sonnenberg rappt mit den "Sportfreunden Stiller", ist für den Grimme-Preis nominiert und soll für ZDF Kultur junge Menschen ansprechen.

Michael Bremmer

Es ist eine böse Welt. Fette Beats, grobe Gesten, derbe Sprüche: ein frauenfeindliches Macho-Milieu. Grundsexistisch nennt auch Nina Sonnenberg manche Arten von Rap-Musik - wegen der Texte, "in denen mit Frauen alles andere gemacht wird, als sie abends zum Dinner einzuladen".

Rapperin und Moderatorin Nina Sonnenberg: Nina Sonnenberg gehört zu den führenden Rapperinnen Deutschlands und soll für ZDF Kultur junge Menschen ansprechen.

Nina Sonnenberg gehört zu den führenden Rapperinnen Deutschlands und soll für ZDF Kultur junge Menschen ansprechen.

(Foto: Matthias Kestel)

Die Münchnerin steht selbst als Rapperin auf der Bühne - als Musikerin nennt sie sich Fiva und kann sich als eine von wenigen Frauen seit mehr als zehn Jahren in der deutschen Hip-Hop-Szene behaupten, mit Poesie statt Phrasen. Sie könne jetzt gegen alle Rapper antreten, die schlecht über Frauen reden, sagt Nina Sonnenberg. Sie könne sich daran aufreiben. Aber: "Das ist nicht mein Anspruch."

Kommende Woche kommt Fivas neue Platte auf den Markt: "Die Stadt gehört wieder mir". Eingespielt mit Paul Reno und Rüdiger Linhof, Bassist der Sportfreunde Stiller, bei den Konzerten ist auch Sportfreunde-Schlagzeuger Florian Weber mit dabei - "Fiva & Das Phantom Orchester" nennen sie sich. Aber auch das ist nur eine Seite der Münchnerin: Nina Sonnenberg leitet eine kleine Plattenfirma, sie hat ein Buch veröffentlicht, tourt mit einem eigenen Spoken-Word-Programm, sie hat beim österreichischen Radiosender FM4 ihre eigene Sendung "Ponyhof" - und seit vergangenem Jahr moderiert sie bei ZDF Kultur. Dafür ist sie nun für den Grimme-Preis nominiert.

Alleine, wenn man für diese Auszeichnung vorgeschlagen wird, gilt man als etabliert: Gesicherte Karriere, aber das ist Nina Sonnenberg zu wenig. Sie liebt die Vielfältigkeit, will nicht auf eine einzelne Tätigkeit reduziert werden. "Ich würde gerne Künstlerin bleiben", sagt sie, "in jede Richtung."

Jetzt also ZDF Kultur - der Versuch im Öffentlich-Rechtlichen, die Jungen, die 20- bis 30-Jährigen vor den Fernseher zu locken. Nina Sonnenberg moderiert Musikfestivals und Poetry Slams - und abwechselnd mit Rainer Maria Jilg, Lukas Koch und Jo Schuck das Magazin "Marker": 15 Minuten Popkultur aus der analogen und der digitalen Alltagswelt, jeden Tag um 20 Uhr, "frech, anregend, subjektiv", so die Eigenwerbung. Nina Sonnenberg ist Jahrgang 1978 - und damit nicht zu alt für ein Format für 20-Jährige? "Jung bedeutet, neugierig zu sein", sagt sie, "und solange ein Format neugierig ist, kann es meiner Meinung nach nicht altern."

Sie würde sich ZDF Kultur jedenfalls anschauen, von daher müsse das Publikum jung sein. Nina Sonnenberg sagt aber auch: "Ich habe Angst vor der Definition jung, weil ich unter keinen Umständen selbst alt sein möchte."

Für den "Marker" zieht die Rapperin gerne mal ein Mickey-Mouse-T-Shirt an, manchmal trägt sie Leggins, dazu am liebsten eines ihrer fast 100 Paar Sneakers. Ihre Moderation wirkt wie ein Auftritt bei einem Poetry Slam - stark in der Geste, mal flapsig, mal skeptisch, mal jugendlich überdreht, aber immer treffsicher und begeisterter als herkömmliche Kulturmoderatoren im Öffentlich-Rechtlichen. Manchmal hebt sie noch die Schulter beim Sprechen - aber das weiß sie selbst, "Entwicklungsarbeit" nennt sie das. Der Sender hat gewusst, dass Sonnenberg noch nie vor der Kamera gestanden hat. "Die lassen mich so, wie ich bin", sagt sie; damit lässt man ihr auch die Spontaneität, ihre Stärke.

Poetin mit Rhythmusgefühl

Nina Sonnenberg, die Bühnenfrau, lebt im Scheinwerferlicht auf. Nur: Im Alltag sieht man ihr das nicht auf Anhieb an, wie sie da im Eingangsbereich des Cafés Pini in der Klenzestraße steht, mit rosafarbenen Adidas-Turnschuhen, lilafarbener Cordhose, brauner Bluse und schwarzer Winterjacke. Ihre schwarzen Haare hat sie zum Pferdeschwanz gebunden, was sie noch unscheinbarer wirken lässt, kein bisschen Rampensau - eher so, als müsste man sie beschützen.

Das ist aber nur der erste Eindruck, aus fünf Metern Entfernung. Sitzt man Nina Sonnenberg gegenüber, erkennt man einen ganz anderen Menschen. Energie trifft auf Wortgewalt trifft auf Charme. Beim Gespräch: immer aufmerksam, Blickkontakt, aber keineswegs aufdringlich. Die Sätze: pointiert, klare Aussagen, ohne Nachbesserungen zitierbar - bei ihr wichtigen Fragen schweigt sie lieber einige Sekunden, bis sie die exakte Antwort gefunden hat. Die Gesten: zurückhaltend - die Pointen werden eher mit Mimik unterstützt, kaum wahrnehmbar. In solchen Momenten macht die Moderatorin schon mal eine Pause, presst dabei die Zunge gegen die rechte Wange und verdreht ganz leicht die Augen.

Nina Sonnenberg wächst in München auf, macht 1998 nach dem Abitur erst einmal eine Ausbildung zur Verlagskauffrau - und erste Rap-Versuche in der Küche mit dem Kassettenrekorder, sechs Monate lang, bis sie sich gut und selbstbewusst genug fühlt, um sich damit an die Öffentlichkeit zu wagen. "Ich hatte von Anfang an keine Angst, dass man mich nicht ernst nimmt, nur weil ich eine Frau bin", sagt sie. Von 2000 an studiert sie Soziologie, 2002 erscheint die erste Platte "Spiegelschrift". Für das folgende Album "Kopfhörer" (2006) interessieren sich Zündfunk sowie FM4, machen Interviews mit der Künstlerin - und beide fragen am gleichen Tag an, ob Nina Sonnenberg nicht bei ihnen moderieren wolle.

Sonnenbergs erste Zündfunksendung hat der On3-Moderator Laury Reichart miterlebt - im Studio, als technischer Support. Geplant ist ein Telefon-Interview mit dem Musiker Knarf Rellöm, der am gleichen Abend bei der BR-Veranstaltung "Bavarian Open Word" spielt. Immer wieder bricht die Leitung weg - eine Sendung, in der plötzlich der Inhalt fehlt: etwas Schlimmeres gibt es kaum. "Unglaublich, mit welcher Souveränität sie mit dieser Situation umgegangen ist", erinnert sich Reichart. Und: Sie hat "ein unfassbares Gespür für Sprache".

Davon profitiert sie auch im Hip-Hop. Nina Sonnenberg ist eine Geschichtenerzählerin, eine Poetin mit Rhythmusgefühl. "Ich kann nicht sonderlich singen", gibt sie offen zu, das könnten andere besser. Deswegen Sprechgesang, nur: Statt Phrasen gibt es bei ihr Wortspiele - kluge Lyrics statt vulgärer Straßen-Raps. Kopfkino nennen es viele, entwickelt in vielen Stunden in Cafés. "Ich bin ein Schwamm", sagt die Musikerin - alles im ihrem Umfeld wird aufgesaugt.

Einen "irrsinnigen Beobachter" nennt sie sich, sie starre ihre Mitmenschen oft so sehr an, dass sie befürchtet, deswegen Ärger zu bekommen. Natürlich werden auch eigene Erfahrungen verarbeitet. "Aber ich schreibe nicht über Dinge, die nur mir passiert sind." Alles zusammen, aber trotzdem Nina Sonnenberg, persönlich, aber nicht privat. "Persönliches Allgemeingut", nennt sie es. Sie macht ein Pause, presst ihre Zunge gegen die rechte Wange, verdreht kurz die Augen. Dann sagt sie: "Wenn es so etwas gibt."

"Die Stadt gehört wieder mir", heißt die neue Platte - vor allem der Titelsong bedeutet Nina Sonnenberg viel. Jede Stadt, in der man ist, zu ihrem Ort machen - das ist für die Münchnerin ein "schönes Gefühl". Da sein, sich Zeit nehmen ist, der Wunsch, etwas wie Heimat zu spüren: All das kennt Nina Sonnenberg aus ihrem derzeitigen Leben. Immer unterwegs, zwei Wochen Mainz, eine Woche Wien, am Wochenende auf Tour, dazwischen mal nach München - und auch hier unter Strom, alleine die vergangenen zwei Jahre, um die neue Platte aufzunehmen. "Dass das Album rauskommt, ist ein Wunder ob der Zeitpläne der Beteiligten", sagt sie.

Natürlich: Sie könne ganz tolle Sachen machen. Aber für den beruflichen Erfolg müsse sie wahnsinnig viel arbeiten, extremen Druck aushalten. "Ich sehe meine Freunde zu wenig, definitiv", sagt sie. "Das Privatleben kommt natürlich auch zu kurz." Und doch bringt es eben auch Erfüllung - und wenn alles ganz schlimm ist, bleibt Nina Sonnenberg immer noch die Poesie, die "Farben": "Auch wenn die Welt manchmal blass durch dein Fenster scheint / mein Herz tanzt Farben."

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