Ramadan: "Wir haben ein Problem und das nennt sich Rassismus"

Ramadan: Nach Sonnenuntergang wird im Luitpoldpark in Schwabing das Fasten gebrochen.

Nach Sonnenuntergang wird im Luitpoldpark in Schwabing das Fasten gebrochen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Muslimrat lädt zum Fastenbrechen in den Luitpoldpark, zu dem auch Menschen anderer Religionen ausdrücklich willkommen sind. Doch bevor auf Decken und Teppichen gemeinsam gegessen wird, gibt es auch ernste Töne.

Von Pia Ratzesberger

Es ist noch früh am Abend, die Lampen aber brennen schon, auch die Datteln sind verteilt. Die leeren Kisten stehen im Zelt neben der Bühne im Luitpoldpark, auf der eine Frau namens Seyma Yüksel gerade eine Rede hält. Eine Rede, mit der sich eine Schwere über das sonst so leichte Feste legt.

Vor ihr warten hunderte Menschen auf Decken im Gras und auf den Teppichen in den ersten Reihen. Sie zählen die Minuten bis zu dem Moment, auf den sie alle warten. Das Fastenbrechen um 21.15 Uhr. Seyma Yüksel aber erinnert erst noch einmal daran, dass es nicht immer so läuft wie an diesem Samstagabend, an dem so viele Menschen unterschiedlicher Religionen zusammensitzen und Datteln essen, und an dem so viele miteinander reden, die sich bislang nicht kannten.

Ramadan: Für Sarelle McKensie, 27, (unten links) und Seyma Yüksel, 27, (unten rechts) vom Muslimrat München bedeutet das vor allem: viel Organisation.

Für Sarelle McKensie, 27, (unten links) und Seyma Yüksel, 27, (unten rechts) vom Muslimrat München bedeutet das vor allem: viel Organisation.

(Foto: Stephan Rumpf)

Sie sagt ins Mikrofon: "Wir haben ein Problem und das nennt sich Rassismus." Sie spricht von der Europawahl, von den Populisten und Nationalisten, die wieder ins Parlament eingezogen sind. Von der Diskriminierung bei der Suche nach einer Arbeit oder nach einer Wohnung. Der Muslimrat München biete von nun an ein Formular an, mit dem man jede Diskriminierung melden könne: "Denn jeder Vorfall, der nicht gemeldet wird, geht verloren." Und das sind viele. Das Formular gibt es jetzt erst online, doch schon in den vergangenen Wochen habe sie mehr als hundert Fälle gesammelt, erzählt Yüksel nach ihrer Rede am Rande der Bühne. Vor allem Frauen mit Kopftuch werden angegangen, werden an Bushaltestellen beleidigt und geschubst, auf der Straße beschimpft. Wer ein Kopftuch trage, werde jeden Tag angepöbelt, manchmal mehrmals, sagt Seyma Yüksel.

Auch deshalb ist das Fastenbrechen im Luitpoldpark so wichtig, das im Übrigen nicht das Ende des Ramadan markiert, denn erst am Dienstag wird zum letzten Mal gefastet. Zuvor aber haben die 33 Gemeinden und Organisationen, die zum Muslimrat gehören, noch einmal zum gemeinsamen Fastenbrechen aufgerufen. Es soll ein offenes Fest sein, ein Fest für alle, bei dem man darüber spricht, was falsch läuft - und mit dem man zeigt, wie es anders laufen könnte.

Schon lange vor dem Beginn tragen die Menschen ihre Decken auf die Wiese, fahren mit Körben voller Reis und Töpfen voller Suppe in den Park, manchmal auch mit einem Kinderwagen voller Brot. Der Muslimrat München hat zum dritten Mal zum Fastenbrechen eingeladen, im vergangenen Jahr kamen mehr als 3000 Menschen. Wobei Seyma Yüksel und ihren Kollegen das Wort "gemeinsam" am wichtigsten ist. Alle sind eingeladen, auch wer kein Muslim und keine Muslima ist, auch wer nicht an Gott glaubt. Sie haben das extra noch einmal auf die Schilder am Rande der Wiese geschrieben, auf denen ist zu lesen: "Auch Nicht-Muslime sind herzlich willkommen! Setzen Sie sich zu den Leuten mit einem Willkommensschild und erleben Sie gemeinsam das Fastenbrechen."

Man fragt sich an diesem Abend, warum das Leben in der Stadt nicht immer so sein kann.

Für die meisten Menschen dauert das Fest nur ein paar Stunden, für Seyma Yüksel aber dauert es mehrere Tage, auch heute ist sie schon seit dem Morgen unterwegs. Sie studiert Jura und engagiert sich im Vorstand des Muslimrats, mit zwei Lastwagen haben sie die Gebetsteppiche in den Gemeinden abgeholt, die Lampen und die Holzpaletten. Die Datteln und die Brote und das Wasser in den Glasflaschen. Sie versuchen so wenig Müll zu produzieren wie möglich, haben die Gäste dazu aufgerufen, kein Geschirr aus Plastik mitzunehmen. In diesem Jahr soll zudem niemand mehr sein Essen am Stand abgeben, sondern sie haben jeden gebeten, für sich selbst sowie für zehn weitere Personen zu kochen und das Essen am Platz zu verteilen. Yüksel sagt: "Im letzten Jahr hatten wir am Ende so viel übrig, und dieses Jahr können die Menschen ihre Reste einfach selbst wieder mitnehmen." Ramadan bedeute nämlich nicht nur verzichten. Sondern auch, nicht zu verschwenden.

Ein paar Helfer gehen mit grünen Schildern durch die Reihen, fragen nach, ob Menschen, die spontan dazukommen, mitessen dürfen. Wenn genügend gekocht wurde, rammt Salma Agharbi das Schild in den Boden und sagt: "Ihr bekommt auch Hasanat bei Allah." Hasanat bedeutet so viel wie "gute Taten" - wenn man von seinem Essen jemandem anderem abgebe, der damit sein Fasten breche, werden einem das von Gott hoch angerechnet, sagt Agharbi. Dann zählen auch dessen Fastentage mit zu den eigenen Tagen. "Also doppelt."

"Heute sieht man, dass der Teil der Gesellschaft, der offen ist, überwiegt"

Die Studentin geht von einer Decke zur nächsten, vorbei an drei Frauen aus dem Kosovo, die für ihre Ausbildung zur Krankenschwester in die Stadt gekommen sind und die am liebsten mit vielen Menschen gemeinsam das Fasten brechen, so wie zu Hause. Vorbei an einer evangelischen Mutter, die aus der Kirche ausgetreten ist und auf ihren erwachsenen Sohn wartet, der vor drei Jahren beschlossen hat, im Ramadan zu fasten. Vorbei an einer Gruppe von Muslimen und Musliminnen, die in diesem Jahr schon zum dritten Mal da sind, weil sie den Abend unter freiem Himmel genießen, auch das Gefühl, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein. Vorbei an einer Studentin, der ein Freund vom Fastenbrechen erzählt hat und die nun mitmachen will, auch wenn sie selbst nicht fastet.

Salma Agharbi läuft mit ihrer blauen Weste durch die Reihen, mit ihrem pinken Kopftuch, fast alle Schilder sind jetzt verteilt. Dann sagt sie: "Heute sieht man, dass der Teil der Gesellschaft, der offen ist, überwiegt. Die anderen sind doch nur eine kleine, laute Randgruppe."

Vorne auf der Bühne stellt sich ein Junge ans Mikrofon und beginnt zum Gebet zu rufen. Als er wieder zurücktritt, blickt Seyma Yüksel auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Es ist 21.15 Uhr. Sie sagt: "Jetzt beginnen alle zu essen." Gemeinsam.

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