Premiere am Residenztheater:"Man will, dass Lehman Brothers besser sind als Goldman Sachs"

Premiere am Residenztheater: "Die Wirtschaft kommt ja nicht über uns wie eine Naturgewalt", sagt der Intendant. Immer stecken Menschen dahinter, das zeigt das Stück.

"Die Wirtschaft kommt ja nicht über uns wie eine Naturgewalt", sagt der Intendant. Immer stecken Menschen dahinter, das zeigt das Stück.

(Foto: Andreas Pohlmann)

Das Stück "Lehman Brothers" erzählt eine Geschichte von Gier und Größenwahn - und macht, dass der Zuschauer auf der Seite der Finanzhaie steht.

Von Christiane Lutz

Als im September 2008 die Großbank "Lehman Brothers" zusammenbrach, war der Höhepunkt der Finanzkrise erreicht. Viele schimpften damals auf die gesichtslosen Manager und unersättlichen Finanzhaie, die sich verzockt und unzählige Jobs verspielt hätten. Der Name "Lehman Brothers" wurde zum Synonym für Größenwahn und Gier.

Man könnte sich als Theaterautor damit begnügen, dies in einem Stück zu verarbeiten, den Sog des Geldes auszuschmücken und die Panik zu beschreiben, wenn alles auseinanderfliegt. In dem Stoff ist alles drin, was ein Drama braucht. Oder man schreibt eben ein wuchtiges 250-Seiten-Epos über die komplette Familiengeschichte der Lehmans in Rhythmen und beinahe lyrischen Versen, ohne klare Figurenzuschreibung, von einem allwissenden Dritten erzählt, durchzogen von Referenzen auf Thora und jüdisches Brauchtum. Stefano Massini hat genau das getan. Er ist einer der wichtigen zeitgenössischen Autoren Italiens. Sein Stück "Lehman Brothers - Aufstieg und Fall einer Dynastie" hat Marius von Mayenburg am Residenztheater inszeniert.

Die Geschichte nimmt mit Hayum, Mendel und Maier Lehmann aus dem unterfränkischen Rimpar ihren Anfang, die im Jahr 1844 in die USA auswanderten. In Montgomery, Alabama, gründeten die jüdischen Brüder zunächst ein Gemischtwarengeschäft und stiegen bald in den Baumwollhandel ein. Es folgte die Gründung einer Bank. Darauf folgte die Mitfinanzierung des Ausbaus des Eisenbahnnetzes quer durch die USA.

Es folgten Aktien, Weltkriege, der Börsencrash von 1929, Waffenexporte, der Vietnamkrieg und zuletzt die große Krise und Insolvenz 2008. 160 Jahre Familiengeschichte, akribisch recherchierte Fakten, Detailversessenheit bis zur letzen Stelle hinter dem Komma hat Massini aufgeschrieben. Ein Brand auf der Baumwollplantage klingt bei ihm so: "Die Pferde werden scheu / im Rauch / umgestürzte Kutschen/ schlingende Fuhrwerke/ Räder, die springen."

Beim Lesen dieser Brand-Szene auf der Plantage habe er "selbst Feuer gefangen", sagt Marius von Mayenburg zwei Tage vor der Premiere in der Kantine des Residenztheaters. Die schiere Masse und die undramatische Form dieses Epos waren plötzlich Herausforderung. "Ich hatte Lust, mich mit einem Stoff zu konfrontieren, von dem ich erst mal selbst nicht weiß, wie er auf der Bühne funktioniert."

Mit einem Team aus sechs Schauspielern hat er über Wochen probiert, wie das Funktionieren aussehen könnte. Über das Ergebnis sagt er nur: "Es geht mir darum, während wir das Stück spielen, das Erfinden und Erzählen einer Geschichte selbst zu thematisieren." Die Suche nach einer Form will er also mit auf die Bühne bringen. Natürlich hat er Szenen streichen und Inhalte straffen müssen. "Ich bin als inszenierender Autor fast ein bisschen grausamer als andere Regisseure. Weil ich auch mit mir selbst grausam bin. Wenn ich meine eigenen Stücke inszeniere, streiche ich brutal zusammen." Keine Gnade für Massini also, auch wenn die Inszenierung mit drei Stunden Länge der Vorlage gerecht werden dürfte.

Für Marius von Mayenburg ist der Text ein großes Wirtschafts-Erklärstück - und eine Reise durch die amerikanische Geschichte der letzten 160 Jahre. "Die Wirtschaft kommt ja nicht über uns wie eine Naturgewalt, ein Gewitter oder ein Erdbeben. Auch, wenn es manchmal so klingt: 'Die Immobilienblase ist geplatzt'." Massini zeige, dass Menschen mit individuellen Entscheidungen dahinter stecken. Es gelinge dabei das Unerwartete: Der Leser schlage sich auf die Seite der Finanzhaie, obwohl er von Anfang an wisse, dass das nicht gut ausgeht.

"Man will, dass sie es schaffen. Man will, dass Lehman Brothers besser sind als Goldman Sachs. Dass sie richtig reich werden. Das funktioniert, weil wir das Leistungs- und Wachstumsdenken selbst schon verinnerlicht haben." Jene unstillbare Gier also. "Er begreift sein Stück als ein Requiem", sagt von Mayenburg. "Wenn ein Leichenzug vorbei zieht und man nicht weiß, wer begraben wird, zuckt man die Schultern. Wenn man aber weiß, wer gestorben ist, kann man die Trauer mit empfinden."

Lehman Brothers - Aufstieg und Fall einer Dynastie, Premiere am Mittwoch, 29. Juni, 19.30 Uhr, Residenztheater

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