Politik im Palmengarten:Brisante Thesen, süße Torten

Die Kaffeehauskultur in München ist weitgehend verloren gegangen. Stephan Meier, Bäckermeister und Doktor der Ökonomie, will das Luitpoldcafé wieder zum Ort für gesellschaftliche Debatten machen. Dazu lädt er Politiker aller Couleur ein

Von Martina Scherf

Stephan Meier geht beschwingten Schritts durch sein Café, begrüßt hier einen Stammgast, winkt dort jemandem zu, klopft einem Angestellten aufmunternd auf die Schulter und rügt einen anderen mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Rolle des Unternehmers und Gastgebers ist ihm auf den Leib geschrieben, er genießt es sichtlich, Herr über dieses prächtige Traditionslokal in der Briennerstraße zu sein.

Das Café Luitpold, 1888 eröffnet, war schon damals ein Künstlertreff. Adlige und Revolutionäre trafen sich dort, 1899 tagte der erste bayerische Frauentag im Café. Die Teilnehmerinnen diskutierten über den Sinn von Mädchengymnasien und forderten Arbeitsschutz für Kellnerinnen. Männer und Frauen spielten gemeinsam Tischtennis im Palmengarten - es müssen wilde, freie Jahre gewesen sein. Literaten wie Erich Mühsam, Ernst Toller oder Oskar Maria Graf redeten sich die Köpfe heiß, Franz Marc und Wassily Kandinsky organisierten eine Ausstellung. Dann kamen dunkle Jahre, das Café wurde zum Nazi-Stammlokal. Klaus Mann erzählte später, wie er Adolf Hitler beim maßlosen Verzehr von Erdbeertörtchen beobachtete.

Heute ist die Kaffeehauskultur in München weitgehend verloren gegangen. Doch davon lässt sich Stephan Meier nicht beeindrucken. Vor zehn Jahren hat der Bäckermeister und Doktor der Ökonomie das Lokal übernommen und arbeitet seither unermüdlich daran, es wieder zu einem Ort gesellschaftlicher Debatten zu machen. ",Was die Welt schön macht', lautete der Titel unserer ersten Reihe", sagt Meier. Damals haben Tina Schmitz, die Geschäftsführerin des exquisiten Luitpoldblocks, und er gemeinsam das Programm gestaltet. Inzwischen macht er es alleine und entwickelt pausenlos Ideen. Er tut das aus Leidenschaft. Aber natürlich auch, um sein Café ins Gespräch zu bringen. Denn das Image, hier säßen nur silberhaarige Damen und verzehrten Sahnetorte, hält sich hartnäckig. Sahnetorte gibt es natürlich, ein Stammgast bekommt sogar, weil er es so gewohnt ist, bis heute "Jamaika-Sahne", "auch wenn wir die anderen 15 Stücke der Torte nicht verkaufen können", erzählt Meier. Dass das Haus auch Restaurant und Barbetrieb hat, sieben Tage die Woche und jeden Abend, habe sich aber noch immer nicht überall herumgesprochen. Deswegen lässt Meier nichts unversucht, auch jüngeres Publikum anzusprechen.

Ein Donnerstagmorgen, halb neun. Das Café beginnt sich zu beleben, ein paar Anzugträger treffen sich zum Business-Frühstück, in einer Ecke des langen Bartresens heißt es: "Good Morning Europe". Eine Handvoll Leute haben sich eingefunden und diskutieren auf hohem Niveau mit einer Referentin der Europäischen Akademie Bayern über Populismus. Eine halbe Stunde lang, vor der Arbeit. "Prima Idee, so ein Input am Morgen", sagt Martina Leyendecker, bei der Münchner Handwerkskammer für EU-Programme zuständig. Zu dem Termin ist auch ihr Werkstudent mitgekommen. Gerade jetzt, vor der Europawahl. Meier spendiert Kaffee und Croissants und freut sich, dass sich einige Gäste vor dem Gehen untereinander vernetzen.

Stephan Meier, Wirt des Cafe Luitpold, Briennerstraße 11 im Palmengarten

Stephan Meier lädt spannende Menschen für Diskussionen in den Palmengarten ein. Er tut das aus Leidenschaft. Aber natürlich auch, um sein Café ins Gespräch zu bringen.

(Foto: Florian Peljak)

Die Abende im Palmengarten mit Debatten über aktuelle Fragen sind immer gut besucht. Meier bringt brisante Themen zur Sprache, und er mag es, wenn sich seine Podiumsgäste zivilisiert streiten. "Zu viel Gleichklang ist langweilig", sagt er. So lädt er Politiker ein, setzt ihnen, wenn möglich, einen kritischen Moderator oder Experten an die Seite und lässt dem Publikum Zeit für Fragen. Meiers persönlicher Freund Christian Lindner (FDP) war schon mehrmals da, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Cem Özdemir (Grüne), Entwicklungsminister Gerd Müller und Ex-Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU). Mal geht es um den "linken Mainstream" (mit Lindner und dem konservativen Kolumnisten Jan Fleischhauer), mal um Solidarität in der Gesellschaft (mit dem Soziologen Heinz Bude). Mal um "die zehn Gebote des gesunden Menschenverstands" (mit dem Philosophen Nikil Mukerji), mal um die Frage: "Was macht das Geld mit der Liebe?" Informatikprofessor Sami Haddadin diskutierte mit Philosoph Julian Nida-Rümelin über Künstliche Intelligenz. Die Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek (Grüne) und Lukas Köhler (FDP) stritten über eine CO2-Steuer. Das ist nur eine kleine Auswahl aus den Debatten der vergangenen Monate. Meier sitzt oft bis spät in die Nacht mit den Politikern im Café, "bei ein paar Promille wird es häufig auch persönlich", sagt er. Meier genießt das.

Die direkte Begegnung als Gegenmodell zu Social Media, lockere Kaffeehausatmosphäre statt etablierter Kulturkanäle - "haptisch und analog" statt virtuell und digital, darum geht es ihm. Zusammen mit Designern ersann er den "analogen Sonntag". "Ich habe dafür Handy-Tresore bestellt", erzählt er - wer will, kann sein Smartphone für die Dauer der Veranstaltung einschließen. Dann wird kreativ und handwerklich gearbeitet. "Durch die Verbindung von Hand und Hirn entstehen neue Ideen."

Meier war selbst ein Online-Junky, erzählt er, deshalb hat er sein Smartphone stillgelegt und trägt nur noch ein kleines, altes Handtelefon mit sich herum. "Wer mich erreichen will, muss jetzt halt wieder anrufen, wie früher", sagt er, "es funktioniert." Auch seine Yogafreunde hätten sich daran gewöhnt, dass er nicht mehr in der Whatsapp-Gruppe ist.

Dafür denkt er ständig über neue Formate nach. Beim "Eye Contact Event" sitzen sich zwei fremde Menschen gegenüber und schauen sich in die Augen, ohne miteinander zu sprechen. Performance-Künstlerin Marina Abramović hat diese Übung erstmals im Museum of Modern Art in New York vorgeführt. Die Aktion hat weltweit Nachahmer gefunden. "Zum Probe-Abend im Herbst kamen sofort 150 Leute", sagt Meier erfreut. "Es entstand eine ungeheure Spannung im Raum." Manche hätten sich hinterher ihr halbes Leben erzählt.

Stephan Meier

"Das Lebenswerk der Eltern gibt man nicht so einfach auf."

Der Eintritt zum Kultursalon ist frei, aber an manchen Abenden wird ein Mindestverzehr erwartet. Inzwischen nimmt die Programmgestaltung einen guten Teil seiner Zeit in Anspruch, erzählt der Gastgeber, auch wenn ihn engagierte Mitarbeiter unterstützen und er mit lokalen Partnern wie der Evangelischen Stadtakademie kooperiert. Es gibt Planspiele zu Europa, musikalische und literarische Abende, Krimi-Theater, Science Dinner und daneben noch Schafkopfturniere und Pralinenkurse. Vom kleinen Museum im ersten Stock des Cafés kann man den Konditoren bei der Arbeit zusehen.

Wäre es nach den Eltern gegangen, wäre Meier auch Konditor geworden. Hineingeboren in die elterliche Bäckerei in Starnberg - die Mutter hatte einst im Café Luitpold gelernt -, machte er eine verkürzte Lehre. Dann studierte er in Konstanz Betriebswirtschaft, ging nach Kanada und bekam einen Job bei Roland Berger. Unternehmensberater, das gefiel ihm. Drei Jahre verbrachte er für die Firma in Paris, kehrte 2005 mit seiner französischen Frau nach München zurück. "Da war ich 32 und hatte den Plan, als Berater zu reüssieren." Dann starb plötzlich seine Mutter, dem Vater zuliebe stieg er ins Geschäft ein. "Das Lebenswerk der Eltern gibt man nicht so einfach auf", sagt er. Er hat den Bäckermeister gemacht, nebenbei noch promoviert und die Zahl der Filialen erweitert. Als sich 2008 die Chance bot, das Café Luitpold zu pachten, griff er zu. Inzwischen ist es zu seinem Lebensmittelpunkt geworden. Die elterliche Bäckerei samt sämtlicher Filialen hat er inzwischen verkauft.

Seinen eigenen Kindern will Meier keinen Weg vorgeben, "persönliche Entwicklung braucht Freiheit", sagt er. Aber Vorbilder wirken bekanntlich ja am meisten, auch im Hause Meier. "Die beiden älteren kommen gelegentlich nach der Schule vorbei und spielen Gastgeber", erzählt der Papa. Die Idee, wen wundert's, gefällt ihm.

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