Musik:Hier treffen sich die Münchner zum Singen

Lesezeit: 4 min

Klaus Servi leitet das offene Singen im Turmstüberl. (Foto: Florian Peljak)

Im Turmstüberl des Valentin-Karlstadt-Musäums wird es eng, wenn das Kulturreferat der Stadt zum offenen Singen einlädt. Und auch andere Treffen für Gelegenheitssänger sind gefragt.

Von Tobias Mayr

Es ist heiß im Turmstüberl im Valentin-Karlstadt Musäum am Isartor. Sechzig, vielleicht siebzig Menschen drängen sich schon auf den Bänken und Stühlen, und noch immer schieben sich neue Gäste die enge Wendeltreppe hinauf. Gekommen sind sie alle aus einem Grund: Sie wollen singen. Dazu lädt das Kulturreferat der Stadt alle zwei Monate ein. Mitmachen dürfen beim freien Singen alle, die münchnerisches und alpenländisches Liedgut mögen, egal ob sie Gesangserfahrung haben oder nicht. Mittlerweile ist der letzte Platz besetzt, dabei geht es offiziell erst in 30 Minuten los. Wer zum Turmsingen möchte, muss früh dran sein.

Dass es an diesem Tag so voll ist, liege aber auch am "Servi Klaus ", heißt es von erfahrenen Turmsängern. "Ich komm' nur, wenn der Servi da ist", sagt eine Besucherin, "er ist einfach der Beste." Klaus Servi, dunkelrot gestreiftes Hemd und Trachtenweste darüber, sitzt an einem Tisch und geht noch einmal in Ruhe die Noten der Lieder durch, die er heute mit den Turmsängern singen möchte. Servi ist einer von mehreren Sing-Anleitern im Turm. Gerade hat ihm eine Dame ein Fotoalbum überreicht. Schnappschüsse, die sie auf Konzerten von ihm angefertigt hat.

Tirol
:Der Chor der gernsingenden Falschsänger

In Tirol gibt es spezielle Kurse für Menschen, die keinen Ton treffen, aber dennoch gerne ein Lied anstimmen. Über die hohe Nachfrage ist die Gründerin selbst überrascht.

Von Harald Hordych

Servi hat sich eine treue Fanbasis aufgebaut, doch er möchte lieber über etwas anderes reden: "Heutzutage wird viel zu wenig gesungen", sagt er und steckt das Fotoalbum weg. "Dabei ist Singen so befreiend und bringt einen auf andere Gedanken". In seiner Kindheit habe die Mutter kein Geld für Instrumente gehabt, aber gesungen hätten sie immer. Diese Erfahrung möchte Servi weitergeben. "Wenn der ein oder andere die Lieder im Freundeskreis weiter verbreitet, dann ist das für mich schon die größte Freude", sagt er.

Mittlerweile ist das Thermometer im Turmstüberl noch einmal um ein, zwei Grad nach oben geklettert. Servi steht auf, hängt sich die Gitarre über die Schulter, klatscht in die Hände und sagt in tief bairischem Dialekt: "Singa is gsund, hob i ma sagn lassen, drum gfreits mi ganz bsonders, dass so viele da san". Als erstes Stück hat er ein so genanntes Quodlibet vorbereitet. Die Männer singen eine Basslinie auf den Text "Oa Mass Bier, zwoa Mass Bier" - so geht das weiter bis zur achten Mass. Ein Teil der Frauen singt darüber das wohlbekannte "Oh du lieber Augustin".

"Und der Rest singt was Spezielles", ruft Servi und stimmt den Schlager "Sehnsucht heißt das alte Lied der Taiga" an. Die Sängerinnen setzen mit leuchtenden Augen ein. Alexandras "Sehnsucht" von 1968 kennen viele noch aus den Radiosendungen der Kindheit. Kaum jemand ist jünger als Mitte 50 hier. "Ich schau immer, dass für jeden was dabei ist", sagt Klaus Servi. Von längst vergessenen alpenländischen Jodlern über witzige Couplets bis zum alten Schlager ist im Repertoire alles vertreten.

Im richtigen Leben, wie Servi es nennt, ist er Informationselektroniker. Aber die Volksmusik ist schon immer seine große Leidenschaft. An einem Sonntagabend vor fünf Jahren sei dann ein Anruf aus dem Kulturreferat gekommen. Der Anleiter für das Turmsingen sei ausgefallen, habe der verzweifelte Mitarbeiter gesagt, ob er nicht spontan übernehmen könne. "Und seitdem mach ich's", erzählt Servi.

Der übervolle Turm im Valentin-Karlstadt-Musäum zeigt, dass freies Singen stark nachgefragt ist. Das gilt nicht nur für traditionelles Liedgut, wie zum Beispiel das "Rudelsingen" beweist. "Der Name ist ein bisschen speziell", räumt Gründer David Rauterberg ein, "aber im Prinzip kommen bei uns Menschen zusammen, bilden ein Rudel und singen." Seit sechs Jahren tourt Rauterberg mit diesem Konzept durch ganz Deutschland.

Am 7. Februar wird zum 15. Mal im Theaterzelt Das Schloss in München geträllert. Die Sänger arbeiten sich an dem Abend in 25 Songs durch die Musikgeschichte: Von Verdi über Pop- und Rocksongs bis Ed Sheeran. Rauterbergs Erfahrung ist, dass da für jeden etwas dabei sei. "Es gibt nicht viele Veranstaltungen, bei denen sich Jung und Alt gleichermaßen wohlfühlen", sagt er. Zum Rudelsingen würden die Leute nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Eltern oder gar Großeltern mitbringen. Auch die Oma singe heute gerne mal Ed Sheeran.

Karaoke
:Schalala ... und jetzt alle!

In den Kinos läuft die Karaokeversion von "Grease" - und auch sonst entwickeln die Deutschen große Lust am gemeinschaftlichen Singen. Bestes Beispiel: Kneipenchöre.

Von Christiane Lutz

Ed Sheeran? Den gibt es beim Singen im Fraunhofer nicht. Die gebürtige Oberpfälzerin Simone Lautenschlager veranstaltet dort jeden dritten Sonntag im Monat ein traditionelles Wirtshaussingen. Dabei wird deutsches und bayerisches Liedgut gepflegt, vielstimmig und stets auswendig. Das reiche dann von "Es dunkelt in der Heide" bis zu Jodlern aus dem Alpenraum, sagt Lautenschlager. "Mir geht es weniger um die Qualität, sondern darum, dass die Leute zusammenkommen und gemeinsam etwas singen", sagt sie. Die Gemeinschaft, die beim Wirtshaussingen entstehe, sei ihr die größte Freude. "Wenn es einmal nicht ganz richtig klingt, ist das nicht schlimm. Die Melodie verläuft dann einfach etwas anders und es hört sich trotzdem gut an", sagt Lautenschlager.

Vor sieben Jahren hat Simone Lautenschlager, die an der Hochschule für Musik und Theater den Studiengang Volksmusik leitet, mit dem Freien Singen begonnen. Sie hatte festgestellt, dass viele sich einfach nicht zu singen trauen. Schuld daran sei oft der Musiklehrer in der Schule, sagt sie. Der habe beim Vorsingen einst gesagt, man könne nicht singen. "Und die Menschen glauben das dann ihr Leben lang", sagt Lautenschlager. "Aber in der Wirtshausrunde summen sie mal mit und trauen sich Schritt für Schritt wieder mehr."

So erreicht Lautenschlager die Sangesfreudigen, die sich nicht in Chöre trauen oder regelmäßige Verpflichtungen scheuen. "Zum Wirtshaussingen kommt, wer gerade Zeit hat", sagt Lautenschlager. Ähnlich ist es bei der Veranstaltung "Sing mal wieder", die Lautenschlagers Studenten anleiten. Auch hier werden Volkslieder in zwangloser Atmosphäre gesungen, nur nicht im Wirtshaus, sondern im Kleinen Konzertsaal des Gasteigs.

Derweil geht am Isartor die Sonne unter und drinnen im Turmstüberl stimmt Klaus Servi zum Abschluss "Freinderl, wann gehma hoam" an. Die Augen strahlen, die Körper schunkeln leicht im Takt und hie und da wird heimlich ein Smartphone gezückt, um die Stimmung einzufangen. Servi ist zufrieden mit den Gästen und seiner Leitung. Er hat das Gefühl, die Balance zwischen Gaudi und Ordnung gut hinbekommen zu haben. Er legt die Gitarre weg, klatscht in die Hände und ruft: "Singts weiter, singts daheim und bleibts gsund".

Wer sich als Sänger ausprobieren will, hat in den nächsten Wochen hier die Gelegenheit: Turmsingen , 12. März, 16.30 bis 17.30 Uhr, Valentin-Karlstadt-Musäum, Tal 50, Eintritt 2,99 Euro. Singen im Fraunhofer , 21. Januar, 19 bis 21 Uhr, Wirtshaus Fraunhofer, Fraunhoferstraße 9, Eintritt frei. Sing mal wieder , 23. Januar, 18 Uhr, Kleiner Konzertsaal im Gasteig, Rosenheimer Straße 5, Eintritt frei. Rudelsingen , 7. Februar, 19.30 Uhr, Das Schloss, Schwere-Reiter-Str. 15, Eintritt zwölf Euro.

© SZ vom 19.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Chöre
:Die Münchner wollen singen

Und zwar so dringend, dass mancher Kneipen- und Spaß-Chor kaum mehr Mitglieder aufnehmen kann. Wir stellen vier junge Münchner Chöre vor.

Von Michael Zirnstein, Bernhard Blöchl und Cindy Riechau

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: