Bombardierung Münchens: "Bei Nacht lagen wir oft angezogen im Bett"

Bombardierung Münchens: Zwölf Jahre war Erich Dahringer alt, als die US-Bomber im Juli 1944 München angriffen. Die Erinnerung daran erfüllt ihn noch immer mit Entsetzen.

Zwölf Jahre war Erich Dahringer alt, als die US-Bomber im Juli 1944 München angriffen. Die Erinnerung daran erfüllt ihn noch immer mit Entsetzen.

(Foto: Robert Haas; Bearbeitung SZ)

Bis heute graut es Erich Dahringer, wenn er eine Sirene hört. Dann denkt er an die Luftangriffe vor 75 Jahren, an das Dröhnen der Flugzeuge und den Blockwart, der Zivilisten in Gefahr brachte.

Interview von Wolfgang Görl

Erich Dahringer war zwölf Jahre alt, als die US-amerikanischen Bomber im Juli 1944 München angriffen. Der heute 87-Jährige sagt, er erinnere sich an die Zeit noch so gut, als wenn es gestern gewesen wäre. Dahringer lebte damals mit seinen Eltern und seiner Schwester in Neuhausen.

SZ: Herr Dahringer, was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs denken?

Erich Dahringer: Das Sirenengeheul und das Dröhnen der Flugzeugmaschinen. Dieses Dröhnen wurde immer lauter, es kam immer näher, und dann sind die Bomben wieder wo eingeschlagen. Bei Nacht lagen wir oft angezogen im Bett, damit wir schnell genug in den Keller kommen konnten. Wenn ein Angriff kam, saßen wir dann alle gemeinsam im Luftschutzkeller. Die Frauen haben gebetet, seinerzeit war der Glaube noch besser verbreitet als heute. Und wir haben gezittert. Wenn irgendwo eine Bombe eingeschlagen ist, ist der Putz von der Mauer gebröckelt. Und wir wussten nicht, ob wir nach den Angriffen wieder heil nach oben kommen würden. Ich erinnere mich noch mit Grauen an die Bombennächte.

Sie wohnten damals in Neuhausen in der Volkartstraße 23. Wie viele Menschen waren beim Fliegeralarm im Luftschutzkeller?

Meine Eltern und meine Schwester waren mit dabei, und die anderen Menschen, die in dem Haus wohnten und nicht im Krieg waren. Das waren vierstöckige Mietshäuser. Wir waren ungefähr 20 Leute im Keller, hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Männer waren entweder schon tot oder sie waren im Krieg. Die Häuser waren untereinander im Keller mit Durchbrüchen verbunden, da konnte man in den nächsten Keller rein, wenn das eigene Haus so beschädigt war, dass man nicht mehr über das Stiegenhaus rausgekommen wäre.

Alarmiert wurden Sie durch Sirenen?

Ja, und dann mussten wir ganz schnell in der Keller runter, damit wir verschont bleiben von eventuellen Einschlägen. Bei den Angriffen untertags wurden wir schon vor dem Sirenengeheul vom Radio mit dem Kuckuckszeichen alarmiert. Da hat es während der Musik 'Kuckuck, Kuckuck' gerufen. Damit wurden wir aufmerksam gemacht, dass ein Angriff bevorsteht. Und unmittelbar darauf ist das Sirenengeheul losgegangen, ein Heulton rauf und runter. Das Ende eines Angriffes wurde mit einem Dauergeheul der Entwarnungssirene angezeigt. Dieses Signal nahm man ganz erleichtert zur Kenntnis mit dem Bewusstsein, wieder einmal lebend davongekommen zu sein.

Sie sagten, Ihr Vater war ebenfalls im Luftschutzkeller mit dabei?

Ja, aber nicht immer. Mein Vater war Jahrgang 1886. Er war also im Ersten Weltkrieg und hat den Zweiten Weltkrieg nur als Volkssturmmann miterlebt. Er war damals bei den Metzeler-Gummiwerken beschäftigt. Da wurde immer ein Mann abgestellt, der nachts aufpassen musste, ob es im Werk irgendwelche Einschläge gab, damit er sofort Alarm schlagen kann.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wie lange mussten Sie im Keller ausharren?

Das war unterschiedlich. Manchmal schien der Angriff schon vorbei zu sein, und dann ging es wieder los. Wieder hat man das Motorengeheul der Flugzeuge gehört, die sind 1944 schon relativ tief geflogen. Die Flak hat es zwar noch gegeben, aber sie war nicht mehr so stark. Mit Entsetzen ist mir auch noch gegenwärtig, wie der sogenannte Blockwart, natürlich ein Parteimitglied, zuständig für Ordnung und Disziplin, irgendeinen Menschen aus dem Keller aussuchte und auf den Speicher schickte, damit der nachschaut, ob Brandbomben da oben eingeschlagen haben.

Der hat willkürlich jemanden ausgesucht?

Richtig. Ganz gleich, wer das war. Aber da gab's kein Widerreden. Derjenige musste rauf, obwohl es gescheppert hat, und man nicht wusste, ob man wieder lebend runterkommt.

Ist Ihr Haus getroffen worden?

Unseres nicht. Aber in der Nachbarschaft ist ein Haus zerstört worden. Das war bereits 1942, als es losging. Ich war seinerzeit wie alle jungen Menschen Mitglied des sogenannten NS-Jungvolks, und da mussten wir dann antreten und mithelfen, die Trümmer wieder aufzuräumen.

Haben Sie auch Tote gesehen?

An das kann ich mich nicht erinnern. Das habe ich nicht erleben müssen.

Wohin kamen die Menschen, die ausgebombt wurden?

Die Leute, die ihre Wohnungen verloren haben, die wurden woanders einquartiert. Die musste man aufnehmen, da gab es keine Widerrede. Die zuständigen Männer in den Ortsgruppen und Wehrkommandos wussten schon, wo eventuell noch Luft ist in den Wohnungen, da wurden die dann einquartiert.

Verfolgt Sie die Erinnerung an die Luftangriffe noch heute?

Ja sicherlich. Zum Beispiel kann ich keine Sirene hören. Sirenengeheul ist was Grausames für mich. Dann denke ich mit Entsetzen daran, wie das seinerzeit gewesen ist. Wir haben gezittert und mitgebetet mit den Frauen. Weil das war unsere Hoffnung: Dass der Herrgott uns hört und wir verschont bleiben.

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