E-Scooter:Elektrofreiheit mit Macken

E-Scooter: Stark gefragt: Leih-E-Scooter in München.

Stark gefragt: Leih-E-Scooter in München.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Mikromobilität hat München erreicht. Vier Verleihfirmen konkurrieren derzeit um Kunden, weitere haben sich bereits angekündigt. Wie es sich anfühlt, mit einem Elektroroller durch die Stadt zu kurven, zeigt ein Praxisversuch.

Von Tom Soyer

Ein tolles Wort hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer dafür ausgegeben: "Mikromobilität". Leider fühlt man sich auf so einem elektrischen Leihroller im Münchner Straßenverkehr dann auch ziemlich mikro: Mit maximal Tempo 20 dazu verdammt, noch nicht einmal mit den meisten Radlern in der Stadt mithalten zu können. Und dort, wo Radwege fehlen, dazu verpflichtet, vor Linienbus oder SUV auf der Straße als Mikrokraftfahrzeug dahinzugurken. Es ist eine große Elektrofreiheit mit Macken. Vier Verleihfirmen haben ihre Rollerflotte bereits am Start in München, weitere kommen demnächst. Zeit für einen Praxistest.

Gute 15 Kilogramm wiegt so ein Roller, links am Lenker eine Handbremse fürs Vorderrad, über dem Hinterrädchen lässt sich das Schutzblech als Bremse mit dem Fuß herunterdrücken. Den Standort der Verleihanbieter weist die jeweilige App auf der Karte aus, freigeschaltet wird der Roller mit Smartphone-App, wenn ein Account mit Kreditkartendaten hinterlegt ist.

Seit 15. Juni 2019 ist die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung in Kraft und regelt Tempo 20 als Maximum, ein Verbot auf Gehwegen, Versicherungspflicht, ein Mindestalter von 14 Jahren und - keine Helmpflicht. Im Verleih geben die Anbieter ein Mindestalter von 18 Jahren vor.

Sanft zieht der Roller ab und schnell wird klar: Die kleinen Räder geben jede Unebenheit an den Fahrer weiter. Zudem ist das Bremsen stark gewöhnungsbedürftig. Kein Vergleich zu effizienten Fahrradbremsen. Gebanntes Vorausschauen ist die Folge, gepaart mit einem Schuss Unsicherheit. Hoffentlich kommt nichts Unerwartetes quer. Hinzu kommt: E-Scooter haben zwar gutes Licht vorne und hinten, aber keinen Blinker. Und so gerne man Handzeichen beim Abbiegen geben würde: Das prinzipiell nervös-wackelige Steuern erfordert jederzeit beide Hände am Lenker.

Der enge Radweg an der Lindwurmstraße stadteinwärts ist purer Stress. Radler überholen ohne Seitenabstand, und der Belag ist für die kleinen Räder im Wortsinn erschütternd. Das geht durch und durch. Vorm Sendlinger Tor naht von links ein Bus, wo die Fahrradspur auf die Autofahrbahn umgeleitet verläuft. Zwar als eigenes Reich gelb abmarkiert, aber mit urban-mulmigen Gefühlen bei der Fahrt.

Am Jakobsplatz, auf dem Fahrräder erlaubt sind und der angeblich eine "Slow Zone" ist, bei dem Roller nur mit geringem Tempo funktionieren, rüttelt der Voi-Scooter unvermindert übers Kopfsteinpflaster - der ultimative Plombentest. Nebenan dann ein Plausch mit einem Ehepaar: Er schon auf dem Roller der MVG-Partnerfirma Tier, seine Frau in der App nach Roller Nummer zwei suchend. Angeblich am Färbergraben. Dort entpuppt sich die Suche als vergeblich, vermutlich hat den Roller jemand regelwidrig in der Tiefgarage eingesperrt. Die App zeigt ihn als verfügbar. Entnervt geben beide auf, er schließt den Roller ab: "Uns reicht's, jetzt gehen wir zu Fuß nach Hause."

Das müssen in jüngster Zeit recht viele Menschen auch auf Geheiß der Polizei. Die hat mit dem Rollerboom viel Arbeit, besonders nachts. Das Thema: Betrunkene, die sich in völliger Verkennung der rechtlichen Situation an die euphorischen Worte des Bundesverkehrsministers erinnern und für die "letzte Meile" auf Elektromobilität setzen wollen. Rechtlich, so die Polizei, sind diese Trunkenheitsfahrten genauso, wie wenn sie am Steuer eines Autos geschehen. Täglich holt die Münchner Polizei derzeit rund 20 Betrunkene von E-Scootern. Bei Fahrern unter 21 Jahren sowie für die ersten beiden Jahre bei Fahranfängern gilt ein absolutes Alkoholverbot, so dass jede Trunkenheitsfahrt den "Lappen" gefährdet, bei allen anderen ist bei mehr als 1,1 Promille der Führerschein weg und kann sogar sofort beschlagnahmt werden. Zudem gibt es zur Zeit Ärger mit privaten Elektrorollern, weil die meisten nicht konform sind mit der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung: Die 200 bis locker 1500 Euro teuren Flitzer fahren meist schneller als Tempo 20 und gehen meist ohne Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) über den Ladentisch, wie eine Recherche in einem Pasinger Geschäft bestätigt. Scooter müssen versichert werden und benötigen Einzelzulassung oder ABE. Ohne dürfen sie nicht öffentlich gefahren werden. Der Absatz sei ungebrochen, heißt es im Laden, trotz der "rechtlichen Unsicherheit" durch die neue Verordnung.

"Ich geb' Ihnen höchstens zwei Monate bis zum ersten Unfall"

Die Leihroller-Flotten hingegen sind gesetzeskonform, mit Versicherungskennzeichen (ähnlich einem Mofa) und haben auch die ABE. Dennoch heißt es im Betrieb, sich gegen Gefahren zu wappnen. Nach dem Phänomen der alkoholisierten Selbstgefährdung ist die größte Gefahr eindeutig die gemeinsame Nutzung von Straßen mit Autos. In der Fraunhoferstraße, wo außerdem noch Trambahngleise gemieden oder umkurvt werden müssen, fährt ein Porsche-Cabriofahrer ziemlich nah links vorbei am Roller. Beim kurzen Gespräch an der roten Ampel gibt er sich dann verständnisvoll: "Ich fahr' selbst einen, aber nur daheim in Pullach, auf Nebenstraßen; hier im Stadtverkehr ist das zu gefährlich, da geb' ich Ihnen höchstens zwei Monate bis zum ersten Unfall."

Immerhin: Wo es möglichst breite Radwege gibt, macht die elektrifizierte Weiterentwicklung des Kindervehikels richtig Spaß. Ohne Alkohol, dafür mit Helm - und immer auf der Hut vor Autofahrern, die Mikrokraftfahrzeuge nicht ernst nehmen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war zu lesen, das absolute Alkoholverbot gelte nur für Fahranfänger in den ersten beiden Jahren. Darüberhinaus gilt es aber generell bis zum 21. Geburtstag. Wir haben das entsprechend präzisiert.

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