Elektromüll:Die Schätze im Schrott

Elektromüll: Dominik Panzer ist Meister für Kreislaufabfallwirtschaft und Städtereinigung im Elektroschrott auf dem Wertstoffhof in der Lindberghstraße

Dominik Panzer ist Meister für Kreislaufabfallwirtschaft und Städtereinigung im Elektroschrott auf dem Wertstoffhof in der Lindberghstraße

(Foto: Alessandra Schellnegger; Illustration Jessy Asmus)

Knapp 1300 Tonnen alte Fernsehgeräte wurden in einem Jahr an den Münchner Wertstoffhöfen abgegeben. Dabei funktionieren viele Geräte noch einwandfrei und können weiter verwendet werden - ein gutes Geschäft.

Von Thomas Anlauf

Was andere wegwerfen, ist für ihn wertvoll: Sein Schatz ist Schrott. Beinahe liebevoll betrachtet Goran Djordjevic die großen Flachbildfernseher, in denen gerade die Wiederholung einer Vorabendserie läuft. "Die würden im Geschäft 200 Euro kosten", sagt er. Bei Djordjevic in der Verkaufshalle kleben kleine Preisschildchen auf den Geräten, 60 Euro kostet hier ein Fernseher. Die Geräte sind voll funktionsfähig, wer sie kauft, erhält ein Zertifikat, dass sie auf Sicherheit und Funktion geprüft wurden. Es sind Dinge, die andere einfach weggebracht haben.

Goran Djordjevic ist Herr der Halle 2 in Pasing. Draußen entsteht derzeit ein riesiges Wohngebiet, Djordjevic freut sich schon auf die Zeit, wenn die Menschen dort eingezogen sind. Viele Leute bedeutet viel wertvollen Schrott, den er und seine Mitarbeiter verkaufen können. Das sogenannte Gebrauchtwarenkaufhaus des Abfallwirtschaftsbetriebs AWM bietet ein Sammelsurium an Dingen: vom neuwertigen Fernseher über Kaffeemaschinen bis hin zu Elektrowerkzeugen. Da gibt es ein E-Piano von Yamaha, einen Laptop von Intel, bei dem lediglich das Netzteil fehlt, und ein uraltes Radio von Philipps mit dicken Druckknöpfen für "Jazz" und "Sprache".

"Unser Auftrag ist die Abfallvermeidung", sagt der Leiter der Halle 2. Weggeworfene Elektrogeräte sollen möglichst wiederverwendet werden. Denn längst nicht alles, was die Leute zum Wertstoff bringen, muss aufwendig entsorgt werden.

Das kann Dominik Panzer Tag für Tag beobachten. Er ist einer von vier Meistern der zwölf Münchner Wertstoffhöfe. Panzer steht neben einem riesigen orangefarbenen Stahlcontainer. Drinnen stapeln sich Computer und Staubsauger, sogar ein Hemdenbügelautomat steht drin. Gerade kommt ein älterer Herr mit einem großen roten Rollkoffer vorbei. "Da ist Elektroschrott drin, der sich über die Jahre angesammelt hat", sagt er und packt aus: Eine Computertastatur, Stromkabel aller Art sind dabei.

Im Wertstoffhof sortieren die 14 Mitarbeiter von Panzer schon mal vor, was noch eine Chance hat, weiter verwendet zu werden - oder nicht. Alte Kühlschränke etwa, in denen noch der längst verbotene Ozonschicht-Killer FCKW lauert, werden von der Gesellschaft für Sonderabfall entsorgt. In einer kleinen Halle des Wertstoffhofs an der Lindberghstraße stehen große Kisten voll mit Energiesparlampen, die giftiges Quecksilber enthalten. Die Lampen werden von dem nicht gewinnorientierten Unternehmen Lightcycle entsorgt, das bundesweit für die Rücknahme und Verwertung von Altlampen zuständig ist.

Ob Laptop, Lampe oder Ladekabel: Die Stadt selbst verschrottet nichts. "Wir sind Entsorger, keine Verwerter", betont Panzer. Auf dem Wertstoffhof an der Lindberghstraße im Münchner Norden wird der angelieferte Schrott in sechs verschiedenen Gruppen gesammelt und sortiert - also etwa Bildschirme, Monitore und Fernsehgeräte auf der einen Seite, Haushaltskleingeräte wie Toaster und Fön auf der anderen. Da kommen schon ziemliche Mengen zusammen. Im Jahr 2016 waren es allein 1287 Tonnen an Bildschirmen und Fernsehern, die auf den Wertstoffhöfen landeten, allein an der Lindberghstraße wurden 130 Tonnen abgegeben. Doch was passiert mit diesen Schrottbergen?

Was noch brauchbar aussieht, wird verpackt, in große Kisten gesteckt und nach Pasing in die Halle 2 gefahren. Dort prüfen die Mitarbeiter ebenfalls noch einmal, ob es Schrott ist oder noch einen Wert haben könnte. Und dann kommen die Prüfer und Verwerter ins Spiel: Der Abfallwirtschaftsbetrieb arbeitet mit mehreren Sozialdiensten zusammen, dem Weißen Rabe, Conjobs, Linus und Anderwerk. Dort werden die Elektrogeräte danach getestet, ob sie noch funktionieren und ob sie überhaupt sicher sind. Dann geht die Ware wieder zurück zur Halle 2 und kann verkauft werden.

Die Geräte vom Wertstoffhof, die nicht in die Halle 2 gehen, werden ebenfalls zu den Verwertern gebracht. Und das sind ganz besondere Unternehmen: Die Linus München GmbH ist eine "gemeinnützige Gesellschaft für Qualifizierung und Arbeit". Das Recycling-Unternehmen im Münchner Osten beschäftigt in Kooperation mit dem Jobcenter München Langzeitarbeitslose, arbeitslose Jugendliche und gesellschaftlich Benachteiligte. Die Mitarbeiter, die auf Dauer in den geregelten Arbeitsmarkt kommen sollen, versuchen zunächst, Elektrogeräte zu reparieren. Falls das nicht mehr möglich ist, wird der Schrott manuell zerlegt, 95 Prozent der gewonnenen Materialien werden nach Angaben von Linus wiederverwertet, etwa Kupfer, Aluminium und Eisen. Die restlichen fünf Prozent werden entsorgt.

Das Prinzip von Anderwerk mit Sitz in Feldkirchen ist ähnlich wie das von Linus. Ehemalige Langzeitarbeitslose verarbeiten im Jahr etwa 1100 Tonnen Elektro-Altgeräte. Genauso beim Weißen Raben: Dort entstehen aus alten Kabeln Rohstoffe, Mitarbeiter zerlegen Platinen und Festplatten; Akkus, die wiederverwertet werden können, werden aussortiert. Die anderen werden dort ebenso gesammelt wie an den Wertstoffhöfen.

Die Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem GRS mit Sitz in Hamburg ist die zentrale Sammlerin für Batterien und Akkus. Diese werden dann von Unternehmen wie der Krefelder Accurec Recycling, die eine der größten Anlagen zum Recycling von Lithium-Ionen-Batterien in Europa betreibt, in ihre Rohstoffe zerlegt. Das Problem ist bislang, dass sich die Rückgewinnung von Lithium offenbar noch nicht rechnet, von Nickel und Kobalt hingegen schon. Kobalt wird zu einem Großteil im Krisenstaat Kongo oftmals unter unmenschlichen Bedingungen abgebaut, Kinderarbeit ist Alltag in den Minen.

Auf der anderen Seite werden trotz des Angebots der Münchner Wertstoffhöfe Schätzungen zufolge noch immer die Hälfte der Elektroaltgeräte "unkontrolliert weggeworfen oder über illegale Wege entsorgt", wie es beim Abfallwirtschaftsbetrieb heißt. Das schädigt die Umwelt, weil die Geräte gefährliche Stoffe wie Blei, Cadmium oder Quecksilber enthalten können.

Zudem werden immer noch tonnenweise Geräte illegal unter anderem nach Afrika gebracht, wo sie auf gigantischen Müllkippen wie im ghanaischen Accra von den Ärmsten der Armen ausgeschlachtet und ausgebrannt werden, um an die Metalle zu gelangen. "Wir wollen eben nicht, dass das nach Afrika oder Indien geht", sagt Dominik Panzer vom Wertstoffhof. Deshalb arbeite man nur mit zertifizierten Betrieben zusammen. "Die müssen uns sagen, wo die Sachen hingehen." Das werde durch AWM-Beauftragte stichprobenartig geprüft.

Der Wertstoffmeister würde sich wünschen, dass die Münchner Elektroschrott möglichst vermeiden, doch viele denken beim Einkauf gar nicht nach, was sie sich da angeschafft haben. Bei Kindern beliebte Turnschuhe etwa, die bei Bewegung blinken, sind genauso Elektrogeräte wie es eine Tannenbaumbeleuchtung ist. Beides darf deshalb nicht in den Hausmüll, sondern muss auf den Wertstoffhof. "Da hat sich aber auch der Hersteller keine Gedanken gemacht", sagt Panzer, "der muss auch in die Verantwortung genommen werden." Doch das ist gar nicht so einfach, wenn die schicken blinkenden Schuhe online im Ausland bestellt wurden.

Elektroschrott vermeiden kann jeder bis zu einem gewissen Grad - indem er sich nicht gleich ein neues Gerät kauft, wenn das bisherige vermeintlich nicht mehr auf dem neuesten Stand ist. Heutzutage halten viele Elektrowaren ohnehin nur noch ein paar Jahre. Werden die Sachen dann am Wertstoffhof oder im Fachhandel abgegeben, müssen die Stoffe mühsam wieder zurückgewonnen werden. Ein Besuch in der Halle 2 kann durchaus überraschend sein. Denn Goran Djordjevic hat dort sogar Neugeräte, die noch nicht einmal ausgepackt wurden.

Immerhin 1000 Tonnen Elektrogeräte mit wertvollen Metallen im Inneren erhält Djordjevic jedes Jahr in die Halle 2 geliefert. Viel zu schade zum Wegwerfen, findet er und streicht über einen Flachbildschirm. Die Folge der Serie "Notruf Hafenkante", die eben noch lief, ist mittlerweile vorbei. Die Folge hieß "Schweigen ist Kupfer", es ging um eine Bande von Metalldieben.

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