Protest gegen Heizkraftwerk:Klimaschützer ketten sich vor dem Münchner Rathaus an

Protest gegen Heizkraftwerk: Einer von acht "Extinction Rebellion"-Anhängern, der sich vor dem Münchner Rathaus angekettet hat, wartet darauf, von einem SPD-Vertreter losgemacht zu werden.

Einer von acht "Extinction Rebellion"-Anhängern, der sich vor dem Münchner Rathaus angekettet hat, wartet darauf, von einem SPD-Vertreter losgemacht zu werden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Aktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" protestieren gegen den Plan der Stadt, den mit Steinkohle betriebenen Block des Heizkraftwerks Nord noch mehrere Jahre weiterlaufen zu lassen.

Von Jakob Wetzel

Sie sitzen zusammen auf dem Steinboden und singen, einer hat eine Gitarre mitgebracht und begleitet sie, die umstehenden Menschen auf dem Münchner Marienplatz klatschen dazu im Takt. Es wirkt geradezu heiter, was vor dem Eingang zum Neuen Rathaus geschieht. Was das Bild stört, sind nur die Ketten.

Acht Umweltaktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" haben sich am Montag um kurz nach zwölf Uhr mittags an die Säulen am Eingang zum Rathaus gekettet. Sie würden sitzenbleiben, bis sich die Stadträte einer Diskussion stellen, kündigten sie an. Und sie könnten auch nicht mehr weg, selbst wenn sie wollten. Denn die Schlüssel zu den Vorhängeschlössern haben sie dem Stadtrat übergeben, an fast jede Partei jeweils einen anderen, an die CSU zwei, außerdem einen an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Jetzt sitzen sie da und vertreiben sich die Zeit mit Gesängen.

Die Aktivisten fordern, dass die Stadt umsetzt, was die Münchner 2017 entschieden haben: Damals hatte beim Bürgerentscheid zum Ausstieg aus der Steinkohle eine Mehrheit dafür votiert, den mit Kohle betriebenen Block im Heizkraftwerk München Nord bis 2022 abzuschalten. Dass es wirklich so kommt, ist aber fraglich. Rechtlich bindend war der Bürgerentscheid nur für ein Jahr. An diesem Dienstagmorgen berät der Wirtschaftsausschuss des Stadtrats darüber, und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) schlägt vor, das Kraftwerk länger laufen zu lassen, wenngleich mit gedrosselter Leistung. Nur so sei die Fernwärmeversorgung aufrechtzuerhalten. Außerdem würde die Bundesnetzagentur das Abschalten verbieten. Umweltschutzverbände widersprechen dem: Das Heizkraftwerk könne in Kaltreserve versetzt werden, sagen sie.

"Der Bürgerentscheid wird mit Füßen getreten", sagt Sofia Ritthammer von "Extinction Rebellion". Dem wolle man nicht tatenlos zusehen. Aus demselben Grund hat am Montag auch ein Netzwerk von Klimaschützern zur Demonstration aufgerufen. Von der Kundgebung auf dem Marienplatz stoßen mehrere Demonstranten zum Protest vor dem Rathaus-Eingang.

"Extinction Rebellion" ist eine junge Bewegung. Sie entstand im Oktober 2018 im englischen Bristol; binnen Wochen fanden danach weitere Aktivisten im In- und Ausland zusammen. Die Ortsgruppe München gründete sich im Dezember 2018 im Gebäude der Biologie-Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in Martinsried. Doch unter den aktuell 60 bis 70 Aktiven und mehr als 200 Sympathisanten im Email-Verteiler seien Studenten ebenso wie Senioren, sagt Daniel Heimerl, der die Münchner Gruppe mitgegründet hat. "Es ist eine Bewegung, die alle mitnehmen will."

Protest gegen Heizkraftwerk: Protest mit Plakaten, Musik und Ketten: Politiker von SPD und CSU haben sich am Montag rar gemacht.

Protest mit Plakaten, Musik und Ketten: Politiker von SPD und CSU haben sich am Montag rar gemacht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Im Kern richtet "Extinction Rebellion" drei Forderungen an die Politik: Die Regierungen sollten die Wahrheit über die Klimakrise sagen; spätestens ab 2025 dürfe die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht mehr steigen; und um dieses Ziel zu erreichen, sollen Bürgerversammlungen einberufen werden. Konkret setzt die Bewegung auf gewaltfreien zivilen Ungehorsam, um die Menschen aus ihrem Alltagstrott zu bringen. Heimerl etwa war zuletzt in Köln, wo am Samstag etwa 250 Aktivisten von "Extinction Rebellion" die Deutzer Brücke über den Rhein blockiert haben. In München hätten sie bisher mehrmals Straßen blockiert, um mit den Autofahrern zu sprechen, erzählt er. Und in der Uni-Mensa gab es ein "Die-In"; bei dieser Art von Protest lassen sich die Aktivisten alle zugleich wie tot zu Boden fallen.

Am Montag haben sie sich um elf Uhr vor der Feldherrnhalle getroffen, um letzte Fragen zu klären und Ketten sowie Vorhängeschlösser auszuteilen. Sie sind aufgeregt. Im Juni haben sich Aktivisten von "Extinction Rebellion" an den Zaun des Bundeskanzleramtes in Berlin gekettet; auch in Leipzig gab es schon Proteste in Ketten. Für die Münchner aber ist es das erste Mal.

"Das Schlimmste wäre, wenn sofort die Polizei kommt und uns losschneidet", sagt David Schultze-Naumburg, bevor er mit den anderen zum Rathaus zieht. Doch die Polizei ist erst einmal gar nicht zu sehen. Einzuschreiten versucht nur ein Pförtner: Als die Aktivisten mit Kreide "XR" für "Extinction Rebellion" und "#2022" auf die Säulen am Eingang malen, fordert er sie auf, das bleiben zu lassen.

Die ersten Aktivisten sind am Montag schnell wieder frei. Innerhalb weniger Minuten kommen Cetin Oraner (Linke), Dominik Krause (Grüne) und Tobias Ruff (ÖDP) mit ihren Schlüsseln. Auch sie wollen, dass das Heizkraftwerk abgeschaltet wird. Es sei ein falsches Verständnis von Demokratie, den Bürgerwillen zu ignorieren, sagt Oraner. "Die machen zu Recht auf ihr Anliegen aufmerksam, sie tun niemandem weh, ich finde das gut", sagt Ruff. Dann befreit er Tjan Zaotschnaja aus Sibirien, die sich ein Schild der "Gesellschaft für bedrohte Völker" umgehängt hat. In Kusbass in Sibirien würden Menschen vertrieben, erzählt sie. Wälder würden zerstört, Flüsse verseucht, alles wegen des Kohle-Abbaus.

Protest gegen Heizkraftwerk: Tjan Zaotschnaja wird von Tobias Ruff (ÖDP) schnell befreit, andere warteten stundenlang.

Tjan Zaotschnaja wird von Tobias Ruff (ÖDP) schnell befreit, andere warteten stundenlang.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auch Gabriele Neff (FDP) lässt sich nicht lange bitten; sie schließt die Kette um den Hals von Heimerl auf. Dass es mit der Energiewende so langsam vorangehe, frustriere sie selber, sagt sie. Die Politik müsse endlich Prioritäten setzen. Wie die FDP im Ausschuss abstimmen wolle, würden sie noch diskutieren. "Wir sind bereit, einen Dialog zu führen", sagt Neff. Später kommt sie noch einmal aus dem Rathaus und gibt Heimerl ihre Telefonnummer. SPD und CSU aber, die im Rathaus regieren, machen sich rar. Um 16 Uhr sitzen immer noch vier Aktivisten in Ketten vor dem Rathaus. OB Reiter hat zwar gleich zu Beginn einen Mitarbeiter mit Schlüssel nach unten geschickt, doch der wurde abgewiesen. Als schließlich Polizisten eintreffen, räumen sie nicht, sondern suchen im Rathaus nach den Stadträten mit Schlüsseln. Die Aktivisten haben sich darauf eingestellt, dass es länger dauert. Gegen die Sonne haben sie Schirme aufgespannt, nun reichen sie Wasserflaschen herum, Sonnencreme und Kekse. Zwischen den Säulen spannen sie eine Hängematte auf. Und für den Notfall tragen sie Windeln. Kurz nach 17.30 Uhr, nach mehr als fünf Stunden, treten dann Simone Burger (SPD) und Sebastian Schall (CSU) vor die Aktivisten. Sie hätten den Tag in Sitzungen verbracht, erklären sie; nun aber nehmen sie sich umso mehr Zeit. Burger sagt, den Kohleblock 2022 abzuschalten, sei faktisch unmöglich, ihnen gehe es um die Versorgungssicherheit. Und Schall bedauert, er habe leider keinen Schlüssel. Die Mitarbeiter der Fraktion hätten ihn nicht angenommen, erklärt ein CSU-Sprecher. Überhaupt gehe die Aktion zu weit. "Wir haben gesagt, wir lassen uns nicht erpressen." Als Burger und Schall um kurz nach 18 Uhr gehen, öffnet die Polizei die Schlösser. Der Protest ist beendet.

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