München:Hinein ins volle Menschenleben

Der 16-jährige Maxim von Schirach fängt mit seiner Kamera Momentaufnahmen in der Ludwigsvorstadt ein und gewinnt den Deutschen Jugendfotopreis. Nun sind seine Bilder in den Fenstern der Theatergemeinde München ausgestellt

Von Lisa Hänel

Es ist für mich mehr als ein Hobby. Das Wort Hobby klingt immer so abwertend, wie eine Freizeitbeschäftigung." Wenn Maxim von Schirach über seine Leidenschaft, die Fotografie, spricht, kann man es gar nicht glauben, dass er erst 16 Jahre alt ist. Er wählt seine Worte mit Bedacht, weiß, wovon er spricht. Dennoch merkt man dem jungen Fotografen bei seiner ersten Einzelausstellung in den Räumen der Theatergemeinde München an, dass er gerade erst am Anfang steht. Fast schüchtern eröffnet er die Vernissage: mit wenigen Worten und immer den Blick auf seine Freunde gerichtet, die gekommen sind. Dabei hat er Bestärkung gar nicht nötig. Erntet er doch von allen Seiten Zustimmung und Bewunderung für seine Fotos, die eine Kraft haben und eine große Tiefe.

Mit 14 beginnt er in der Ludwigsvorstadt zu fotografieren. Ein Einkauf mit seiner Mutter in einem der vielen kleinen Läden hat ihm diese Gegend nahegebracht. "Hier ist vieles unkonventionell, hier ist was los", erklärt Maxim von Schirach sein fotografisches Interesse für dieses Viertel. Die Gegend rund um den Bahnhof ist in der Tat schwierig und inspirierend zugleich. Der Anteil von Migranten und Migrantinnen ist hoch. Eine Besucherin der Ausstellung, die in einem der nahegelegenen Hotels arbeitet, bezeichnet das Viertel als "Brennpunkt". Maxim, sagt sie, habe mit seinen Fotos den Zeitgeist getroffen.

Und tatsächlich: Die Fotos von Maxim fangen ein, was diese Viertel auszeichnet. Sie zeigen Menschen inmitten des Lebens. Sie gehen spazieren, feiern, rauchen und begegnen den Widrigkeiten des Alltags. Trotzdem wirken von Schirachs Fotos nie bedrückend. Das mag daran liegen, dass alles in seinen Bilder in Bewegung zu sein scheint. Und daran, dass er die Menschen, die er porträtiert, so zeigt, wie sie sind: Unverstellt, markant und kernig. So wie der hünenhafte Rumäne mit seinen vielen Ringen an der Hand. Dieses Foto hat die Jury des Deutschen Jugendfotopreises 2015 besonders überzeugt. Günther Anfang, Leiter des Medienzentrums Münchens und Mitglied der bundesweiten Jury, sagt, es sei ziemlich schnell klar gewesen, dass Maxim von Schirach den ersten Preis in seiner Alterskategorie gewinnen würde: "Wir waren beeindruckt, mit welcher Reife er das Thema des Wettbewerbs 'Mein Deutschland' angegangen ist. Es ist ein ungewöhnlicher Blick auf München, abseits der typischen Schickeria-Vorstellungen."

Nachdem die Fotos von September bis November 2015 in Berlin ausgestellt waren, sind sie nun nach München zurückgekehrt - natürlich in die Ludwigsvorstadt. Grund dafür ist ein glücklicher Zufall. Der Geschäftsführer der Theatergemeinde München, Michael Grill, sieht bei der Fotoausstellung der Preisträger des Fotojugendpreises auf die Bilder von Maxim von Schirach. Er nimmt Kontakt zum jungen Künstler auf und organisiert die Ausstellung. Auch für die Theatergemeinde München ist die Ausstellung eine Premiere: Noch nie gab es eine Ausstellung in ihrem Haus. Nach der Vernissage werden die Fotos in den Schaufenstern ausgestellt. So finden die Fotos, die spontan auf der Straße entstanden sind, zurück an ihren Ursprungsort.

Maxim Von Schirach

Maxim Von Schirach hat den Deutschen Jugendfotopreis gewonnen.

(Foto: Michael Grill)

Ein halbes Jahr ist Maxim von Schirach regelmäßig in das Bahnhofsviertel gekommen, um zu fotografieren. Meistens, so sagt er, merke er sofort, wenn ein gutes Foto entstanden ist. Ein Blick auf das Display seiner Nikon D 750 genügt und er weiß: Das könnte was werden. Bei einem guten Foto gehe es ihm nicht nur um die Komposition. "Das Foto muss einen bestimmten Charakter haben, eine bestimmte Stimmung erzeugen. Vielleicht muss es auch mehrere Ebenen haben." In jedem Fall sei das Auge des Fotografen entscheidend. Fotos sind für Schirach Momente der Erinnerung. Und - wie er sagt - ein Ausdruck seiner Selbst. In jedem Bild stecke seine Sicht auf die Welt.

Früh haben die Eltern ihn zu Fotoausstellungen mitgenommen. Und so scheint es fast logisch, dass er auf seine erste Kamera spart. Eine Fotoausstellung war es dann auch, die ihn dann zur Straßenfotografie brachte. Doch zunächst Landschaftsaufnahmen. Das aber interessiere ihn nun kaum noch. Die spontanen Fotos auf der Straße - da sei einfach mehr drin. Maxim von Schirach bewegt sich damit auf den Spuren des großen Fotografen Henri Cartier-Bresson, der einmal gesagt haben soll: "Die Welt ist dabei, in Stücke zu fallen und Leute wie Adams und Westen fotografieren Felsen!" Als im vergangenen Sommer die Welt zwar nicht in Stücke fiel, sich aber doch sehr veränderte, hielt das von Schirach mit seiner Kamera fest. Wieder war es das Bahnhofsviertel München, diesmal waren es die ankommenden Flüchtlinge, die er zu Hauptfiguren auf seinen Fotos machte. Derzeit kann der junge Fotograf wegen der Schule nicht professionell arbeiten, will aber ein Fotografie-Studium beginnen. Raus aus München soll es dann gehen, hier habe er doch schon so viel festgehalten. Es zieht es ihn in seine Geburtsstadt Moskau und nach Rumänien. Als nächstes will er sich an die inszenierte Fotografie wagen. Dazu inspiriert hat ihn der kanadische Fotokünstler Jeff Wall. Dessen Fotos seien rätselhaft, oft füge er Elemente hinzu, die den Blick störten und irritierten. Walls Fotos sind bis ins kleinste Detail durchinszeniert. Der Gegensatz zur spontanen Straßenfotografie also, der sich Maxim von Schirach bisher so gerne verschrieben hat.

"Ludwigsvorstadt": Fotografien von Maxim von Schirach, Fenster Theatergemeinde München, Landwehrstraße 44.

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