Laim:"Es war ein Jahr ohne Sommer"

Verklebte Fenster, eingestaubte Treppenhäuser, Wasserschäden: Für die Bewohner ist die Sanierung der Stiftungssiedlung Alte Heimat zum Teil mit erheblichen Belastungen verbunden

Von Andrea Schlaier, Laim

Kässpätzle zu machen, war keine gute Idee. Denn ohne gebräunte Zwiebeln geht da gar nichts. "Ja, was meinen Sie, was Sie da für Aufstände machen; da kriegen Sie den Geruch nicht raus!" Irene Lukas zieht die akkurat nachgezogenen Augenbrauen hoch und deutet mit dem Zeigefinger hinter sich ans Fenster ihrer Parterre-Wohnung. Draußen ist helllichter Tag; doch drinnen kann die Rentnerin nur ahnen, dass jenseits der Scheibe Licht lauert. Seit sechs Wochen ist das Glas wie alle übrigen Fenster in dem 42 Quadratmeter großen Apartment blickdicht zugeklebt. Will Irene Lukas lüften, müsste sie die Wohnungstür zum Treppenhaus öffnen. Doch hier staubt's gewaltig, seit die Leitungen neu verlegt werden.

Seit zweieinhalb Monaten läuft der zweite Bauabschnitt innerhalb der Sanierung der Stiftungssiedlung Alte Heimat in Laim. Das Quartier aus den 1960er Jah- ren, das sich zwischen Zschokke-, Hans-Thonauer- und Burgkmairstraße erstreckt, wird von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag im Auftrag des Kommunalreferates verwaltet und in mehreren Abschnitten instandgesetzt und durch Neubauten erweitert. Die weitläufige, grüne Anlage mit ihren bislang 604 und künftig 826 Wohnungen ist in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich: Hier leben in der Mehrzahl alte, gebrechliche und finanziell schmal ausgestattete Münchnerinnen und Münchner. Einige haben sich stellvertretend für alle zum stadtweit beispiellosen Alte Heimat Arbeitskreis (AHA) zusammengeschlossen, der zum Wohle der Nachbarn Bedürfnisse und Erfordernisse ermittelt und engagiert den baulichen Wandel der Siedlung begleitet - in ständigem Austausch mit Mitarbeitern der Gewofag und des Kommunalreferates. Irene Lukas ist als eine Aktive der ersten Stunde mit dabei.

Die ehemalige Beschäftigte in der Erwachsenenbildung wohnt in einem der östlichen Querriegel am Kiem-Pauli-Weg, die zurzeit hinter riesenhaften Planen verschwinden, als hätte Verpackungskünstler Christo hier einen Stopp eingelegt. Lukas wusste, was auf sie zukommt. "Aber das kannst du erst nachvollziehen, wenn du es selbst erlebst." Im Stakkato zählt sie die Phasen der Sanierung auf: Balkontüren und -fenster wurden mit Brettern verriegelt ("Ich hab mich so eingesperrt gefühlt, das war bei mir 'ne Kriegserscheinung, und darauf gedrungen, dass mir ein Fluchtweg bleibt"), dann die Balkone "abgeschnitten"; dann Gerüste aufgestellt, Planen drüber gehängt und die Fenster mit Folien verklebt, damit die alte Fassadenbeschichtung abgestrahlt und eine neue aufgebracht werden kann. "In der Zwischenzeit", fährt Lukas fort, wurde in Treppenhaus und Keller damit begonnen, eine neue Elektrik für Sprechanlagen zu legen.

Gerhard Rennberger sitzt bei Irene Lukas am runden Glastisch und nickt Punkt für Punkt mit. Sein Apartment liegt am südwestlichen Ende des Kiem-Pauli-Wegs und war im ersten Bauabschnitt, also dem vor Lukas', dran. Im Frühjahr 2017 ging's los. "Es war ein Jahr ohne Sommer für mich", sagt der 59-Jährige. Weil der Bauablauf an vielen Stellen gehakt habe, hingen Planen und Folien monatelang vor seinen Fenstern. "Sie haben die Wandfarbe erst nicht abgekriegt und mussten Spezialisten engagieren; wochenlang herrschte deshalb Stillstand, ohne dass das Zeug vor dem Fenster wegkam." Rennberger, ebenfalls AHA-Mitglied, hatte auch noch Pech: "Bei mir gab's zweimal einen Wasserschaden an der Decke, weil sie beim Balkon nebenan anscheinend in die Wand gebohrt haben und dann Wasser reingelaufen ist." Lüften ging nicht - wegen der Folie vor den Fenstern hat er die Feuchtigkeit nicht rausgekriegt. Mittlerweile sei den Bewohner erlaubt worden, eine Triangel in die Folie zu schneiden, damit sie durch das Dreieck etwas Frischluft in die eigenen vier Wände leiten können. "Wir wissen ja, wie's auf dem Bau zugeht, und der zuständige Architekt hat uns auch laufend aufgeklärt", sagt der ehemalige Pfleger. "Aber etliche Bewohner waren schon arg irritiert!" Rennberger erzählt auch von Nachbarin Christel Festl, ebenfalls im AHA aktiv, die im Rollstuhl sitzt und zwei Monate ihre Erdgeschoss-Wohnung nicht verlassen habe. "War ihr zu gefährlich. Vor ihrer Wohnung lagen lauter Planen und Dämmmaterial; da blieb sie sicherheitshalber im Haus."

Irene Lukas, deren Haut inzwischen vom vielen Staub, der Anstrichfarbe oder was auch immer heftig reagiert, ist ungeduldig. Und dennoch ohne Groll: "Alle vier Wochen sind die Verantwortlichen von der Gewofag bei uns auf der Matte gestanden und haben im großen Bewohnerkreis alle Fragen beantwortet, die anstanden. Das hat zur Beruhigung beigetragen." Auch im Bezirksausschuss haben die Zuständigen von Gewofag und Kommunalreferat mehrmals den aktuellen Stand referiert.

In den ersten beiden Bauabschnitten werden demzufolge 363 Wohnungen in zwölf Gebäuderiegeln saniert: Fassadenanstrich, Elektroinstallationen, Beleuchtung, Sprechanlagen sowie sanierte Balkone und Terrassen inklusive. Vor den Haustüren entstehen Vordächer für Rollatoren und Fahrradstellplätze. "Wir sind dankbar, dass die Mieter das mittragen", sagt Doris Zoller von der Gewofag. "Was die anstehenden Neubauten betrifft, werden wir ein bisschen dicker und höher; aber der Charakter des Quartiers bleibt erhalten."

Das überarbeitete Neubau-Volumen hat jetzt auch der Kommunalausschuss im Stadtrat abgesegnet: 2020 geht's los mit fünfgeschossigen Wohnhäusern samt integrierter Kita an der Ecke Kiem-Pauli-Weg/ Hans-Thonauer-Straße. Zwei weitere Fünfgeschosser folgen und werden mit Pflegewohnungen auf Zeit, dem sogenannten "Wohnen im Viertel", und einem Quartierstreff östlich und westlich des bestehenden Alten- und Service-Zentrums entstehen - wobei der Termin zur Umsiedlung des ASZ noch nicht feststeht. Frühestens 2021 wird der Bestand an der Zschokkestraße abgerissen und durch siebengeschossige Neubauten ersetzt. Insgesamt soll der Standard höher werden als bisher geplant; dazu zählt etwa, dass auch Ein-Zimmer-Wohnungen Balkone erhalten oder auf den Treppenpodesten Platz für Rollatoren geschaffen wird. Vorrichtungen für Video-Gegensprechanlagen für in der Siedlung lebende Hörgeschädigte und gehörlose Bewohner gehören auch dazu.

"Unsere alten Häuser", sagt Irene Lukas, "wurden jetzt mehr oder weniger nur aufgehübscht." Und sie schiebt nach: "Bis zu den großen Ferien, hat man uns gesagt, sei alles fertig; ich rechne nicht damit, in meiner Wohnung noch etwas vom Sommer mitzukriegen."

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