Kunst-Aktion:Introvertierte Aktivisten

Grundgesetz fuer die Bundesrepublik Deutschland Berlin 07 01 2015 Berlin Deutschland PUBLICATIONx

Universell, unveräußerlich und unteilbar: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." - Artikel 1. (1) Grundgesetz.

(Foto: imago)

Menschen kopieren per Hand das Grundgesetz

Von Jutta Czeguhn, Laim

Wie viele amerikanische Künstlerinnen und Künstler war auch Morgan O'Hara, 77, zunächst fassungslos, als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Dann fühlte sie den inneren Drang, darauf künstlerisch zu reagieren. Am Morgen nach Trumps Vereidigung, am 21. Januar 2016, setzte sie sich zu Hause hin und begann, die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Constitution, per Hand abzuschreiben. Als ihren ganz persönlichen Protest gegen die Verrohung im Land. Doch dann schien ihr diese intensive Auseinandersetzung mit dem Text, dem Fundament ihrer Nation, etwas zu sein, das sie mit anderen teilen wollte. Sie packte also die Constitution und Papier in einen Koffer und begabt sich in den schönsten aller Lesesäle, den historischen Rose Main Reading Room der New York Public Library.

So wurde aus dieser anfangs sehr privaten Aktion der Konzeptkünstlerin eine weltweite Bewegung, die O'Hara "activism for introverts" - Aktivismus für Introvertierte nennt. Menschen in vielen Ländern sitzen seither in stiller Konzentration über der Verfassung ihres Landes und schreiben sie Wort für Wort ab. Auch die Münchner Künstlerin Judith Egger war diesen März bei einer dieser öffentlichen Schreibstunden ihrer alten Lehrerin und Mentorin Morgan O'Hara in Berlin dabei. So entstand die Idee, 70 Jahre Grundgesetz auch in München auf diese Weise zu würdigen. "Es gibt nichts Besseres als zu schreiben, um zu verstehen", ist Egger überzeugt und lädt an diesem Freitag, 24. Mai, ins Z-Common Ground, Zschokkenstraße 36 (Café im Erdgeschoss). Für die Aktion hat Egger die Grundrechte, Artikel 1 bis 19, ausgewählt, "da sie die Basis aller weiteren Gesetze im Grundgesetz bilden und die Werte festlegen, nach denen wir in unserer Gesellschaft leben wollen. Sie sind ihrer Meinung nach "zeitlos gültig und erstrebenswert". Nicht umsonst stehe ganz zu Beginn des Grundgesetzes Artikel 1 "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt". Vom Begriff "Würde", so Judith Egger, leiten sich viele weitere Gesetze ab, etwa die persönlichen Freiheitsrechte (Artikel 2) und die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3). Hier werde gefordert, dass niemand wegen Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen und auch nicht wegen einer Behinderung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. "Für mich ist die Wahrung der Gleichberechtigung essenziell, um in Frieden zusammenleben zu können." Egger sieht im Grundgesetz eine Art "Kompass". Die Menschen im Land müssten sich immer wieder dafür entscheiden und dafür kämpfen.

Am Freitag im Z-Common Ground kann man jederzeit zwischen 19 und 21 Uhr in die Aktion einsteigen. Papier und Exemplare des Grundgesetzes sind vorhanden. Mann kann seine eigene Abschrift mit nach Hause nehmen. Wer einwilligt, wird samt Abschrift porträtiert und findet dann seinen Platz in Morgan O'Haras Archiv der "Handwriters of the Constitution".

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