Schwingshackl Esskultur:Hohe Kochkunst ohne Eigenwilligkeiten

Schwingshackl Esskultur Bad Tölz

Die Schwingshackls bedienen verschiedenste Geschmäcker, etwa mit Schlutzkrapfen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Erich Schwingshackl hat mit seiner Frau Katharina das Alte Fährhaus in Bad Tölz übernommen. Er hatte zwei Sterne - doch von Show-Effekten hält er nicht viel.

Von Johanna N. Hummel

Vielleicht sollte man eine Geschichte der Tischdecken schreiben. Noch gibt es sie, trotz Casual Fine Dining und wohlgeplantem Shabby-Chic. Ach, die Tischdecken, gefertigt aus schweren Stoffen, die so schön den Restaurantlärm schlucken, auf denen Sterne-Essen zelebriert werden. Ihr Niedergang ist abzusehen, weil die Mode nicht auf ihrer Seite ist, von den Kosten ganz zu schweigen. Berge von Tischdecken müssen in den Restaurants gewaschen und gebügelt werden, täglich, ein teurer Spaß, und Sterneköche müssen ja scharf kalkulieren.

Auch im Alten Fährhaus in Bad Tölz finden sich keine Tischdecken mehr, auf den dunklen Tischplatten liegen schwarze Plastiksets. Lange war das renommierte Lokal an der Isar geschlossen, dann bekam es einen neuen Besitzer und seit Dezember neue Wirte. Sternekoch Erich Schwingshackl und seine Frau Katharina führen das Fährhaus, "Schwingshackl Esskultur" nennen sie ihr Restaurant. Von der Terrasse aus schaut man aufs fließende Wasser, ein schöner Platz. Pflegeleichte Sets hin oder her: Das Innere des bäuerlichen Hauses, ein Bistro und ein Gourmetrestaurant, wurde zurückhaltend elegant renoviert, mit klaren Linien, braunen, grauen und honiggelben Farben, an den Wänden hängen moderne Gemälde.

Nun ist Erich Schwingshackl, der Küchenchef in Heinz Winklers Residenz in Aschau war, ein Sternekoch mit besonderer Geschichte. Im elterlichen Hotel seiner Frau bei Deggendorf erhielt er Ende 2011 seinen zweiten Michelin-Stern in dem Moment, in dem er sich entschieden hatte, fortzugehen. Die Sterne waren weg. Nach einem Stopp in Tegernsee, wo er wieder einen Stern erkochte und verlor, ist er an der Isar gelandet. Ein neuer Stern käme ihm gelegen, er denkt anders als manche Kollegen, die von dem stressigen, teuren Zauber nichts mehr wissen wollen. Die Risiken verteilt er auf das Bistro und den kleinen Feinschmecker-Tempel. Das Überraschungsmenü, vier bis sechs Gänge, muss man vorbestellen, im Fährhaus wird straff geplant.

Katharina Schwingshackl begrüßte jeden Gast mit Handschlag, die beiden Bedienungen umschwirrten die Tische, kein Wunsch sollte unerfüllt bleiben. Die Karte im hellen Bistro ist klein und gehoben bodenständig. Die gebundene Tomatensuppe aber war genau das, was man unter umami versteht, unter Wohlgeschmack pur - abgesehen von den etwas matschigen Croûtons (5,90). Das milde Hirsch-Carpaccio in einer Olivenöl-Zitronenmischung, dekoriert mit Rucola und Parmesan, war eine Delikatesse (15,50). Heimatliche Käsenocken, locker und in sündig viel gebräunter Butter, brachte der Südtiroler Schwingshackl auf den Tisch, oder Kalbfleischbackerl in einer intensiven Sauce, die so zart waren, dass man sie mit der Gabel zerteilen konnte. Sie hätten auch im Gourmetmenü bestanden (11,50 und 19,50). Und an den Desserts gab es nichts zu meckern, schon gar nicht an der leichten Crème brûlée mit viel Vanille (8,90). Die offenen Weine, ob Riesling, Grüner Veltliner oder Blauburgunder, waren trocken und angenehm (0,2 Liter 8 und 9).

Für die Weine ist als preisgekrönte Sommelière Katharina Schwingshackl zuständig. Die Weinbegleitung zum viergängigen Menü hatte sie hübsch ausgewählt: einen frischen Südtiroler Weißburgunder und einen gehaltvollen Chardonnay aus dem Carnuntum zum Fisch, eine milde Cuvée von Primitivo und Merlot aus Apulien zum Fleisch sowie als Dessertwein eine Spätlese aus Welschriesling und Chardonnay aus dem Burgenland (36). Wir hatten das "Klassik-Menü" bestellt, vier Gänge für 75 Euro, das ganz konservativ mit dem Amuse-Gueule begann und mit der Praline, eine für jeden Gast, endete. Beim Brot, Graubrot und Baguette mit gesalzener Butter, wurden keine Extravaganzen aufgetischt, und mit dem Amuse-Gueule sollten die Gäste nicht gemästet werden. Ein Mokkatässchen mit einem feinsäuerlichen, klaren Rote-Bete-Süppchen gab es, eine Eröffnung, die wirklich nicht beschwerte.

Schwingshackl Esskultur: Im Alten Fährhaus finden sich keine Tischdecken mehr. Auf den dunklen Tischplatten liegen schwarze Plastiksets.

Im Alten Fährhaus finden sich keine Tischdecken mehr. Auf den dunklen Tischplatten liegen schwarze Plastiksets.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Als ersten Gang hatte sich der Koch ein Tartar vom Gelbflossenthunfisch ausgedacht, es mit asiatischen Aromen angereichert und mit einer angenehm leichten, scharfen Sauce umgeben. Radieschenstreifen spendeten Frische, ein Langostino Milde, eine sehr feine Sache war das. Von Show-Effekten schien Schwingshackl wenig zu halten, auch nicht beim zweiten Gang: Ein schön gebratenes Seezungenfilet war umgeben von Spitzmorcheln, Morchelschaum, weißem Spargel und einem grünen Kringel vom Erbspürée. Das Gericht erinnerte an das ehrwürdige Leipziger Allerlei und schmeckte edel. Der Hauptgang stand dem nicht nach: ein Lammfilet im grünen Kräutermantel, perfekt gebraten und unglaublich zart, mit einer intensiven, luftigen Sauce, Paprika- und Auberginenmus. Nur das Dessert, ein überaus mildes Grand-Marnier-Eisparfait im Schokogitter und mit Schäumchen, war zu brav.

Erich Schwingshackl kocht fein. Doch bei aller Kunst bot er eines nicht: überraschende, eigenwillige Geschmacksnuancen. Aber vielleicht ist das ja auch Absicht, eine Abkehr vom nervenzerfetzenden Wettlauf um neue Kochideen. Und möglicherweise sammelt Schwingshackl deshalb alte Kochbücher.

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