Herz-Jesu-Kloster:Kleine Oase, große Herzen

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Seit 150 Jahren helfen Ordensschwestern in der Isarvorstadt Armen, Kindern und jungen Frauen. Seit den Anfängen des Klosters hat sich viel verändert

Von Jakob Wetzel

Der Hof des Klosters ist voller Leben. Kinder planschen im Schatten eines Kirschbaumes, sie spritzen mit Wasser, andere spielen im Sand. Wieder andere turnen durch ein lang gestrecktes Klettergerüst, die Betreuer haben es anpassen lassen, um keinen der alten Bäume fällen zu müssen. Eine Kinderkrippe, ein Kindergarten und ein Hort teilen sich diesen Hof. An den Seiten wachsen Himbeer- und Johannisbeersträucher, die Kinder greifen zu. Und wenige Meter entfernt, im Herz-Jesu-Kloster, steht Schwester Lucella Werkstetter am Fenster. Sie schaue den Kindern gerne zu, sagt sie. Es sei so schön anzusehen, wie die älteren und die jüngeren Kinder gemeinsam im Hof spielen, und wie die Älteren dann den Jüngeren helfen.

Auf der begrünten Dachterrasse des Wohnheims will Hausleiterin Maria-Anna Uhl künftig Liegestühle für die Bewohnerinnen aufstellen. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist nichts anderes als das, was die Ordensfrauen selber tun. Schwester Lucella ist Hausoberin im Kloster der Schwestern vom Göttlichen Erlöser. Ihr Orden betreibt an der Buttermelcherstraße, einen Steinwurf entfernt vom Gärtnerplatz, eine kleine Oase: Ein Haus für 82 Mädchen und Buben sowie ein Wohnheim mit 150 Betten für junge Frauen von auswärts, die in München eine Ausbildung machen. Es ist ein familiäres Haus mit Café, Kino-Raum und eigenem Fitnessstudio. Und an diesem Samstag öffnen die Schwestern ihre Pforten: Sie feiern das 150-jährige Bestehen ihres Klosters mit einem Tag der offenen Tür. Geplant sind ein Festvortrag, Führungen und eine historische Ausstellung in der Klosterkirche.

Die Klosterkirche zieht auch Architekturstudenten an. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Geschichte, von der die Schwestern erzählen können, reicht eigentlich 160 Jahre zurück. Der Münchner Vinzenz-Verein bat damals den 1849 in Bad Niederbronn im Elsass gegründeten Orden, Schwestern für die Armen- und Krankenpflege nach München zu schicken. Im März 1857 kamen die ersten fünf Schwestern an, um im Vinzentinum an der Oettingenstraße zu arbeiten. 1867 kauften die als "Niederbronner Schwestern" bekannt gewordenen Ordensfrauen Grundstücke in der Isarvorstadt und ließen ein Schwesternheim und eine Kirche bauen. Es war die Geburtsstunde des Klosters.

Der Kinoraum mit Leinwand. (Foto: Stephan Rumpf)

Um ihre Arbeit zu finanzieren, errichteten die Schwestern schon damals eine "Kinderbewahranstalt" und ein "Damenpensionat". Nach der Jahrhundertwende folgte ein Hort für Mädchen, die dort auch handwerklich geschult wurden. Es klingt wie heute - und war doch ganz anders.

Das beginnt bei den Gebäuden. Von den alten hinterließ ein Bombenangriff 1944 nur Trümmer. Die heutigen stammen von 1955, entworfen haben sie Herbert Groethuysen und Alexander von Branca, der in München unter anderem auch die Neue Pinakothek geplant hat. Das Wohnheim für junge Frauen wurde 1998 modernisiert; seit 1995 gibt es zudem ein neues Kindergartengebäude mit Turnhalle.

Im Wohnheim der Schwestern leben junge Frauen von 16 bis 23 Jahren in Einzel-, Doppel- oder Vierbettzimmern. (Foto: Stephan Rumpf)

Verändert hat sich auch die Umgebung. Im 19. Jahrhundert war die Isarvorstadt ein Glasscherbenviertel. Das Kloster lag in der Nähe eines Gefängnisses und einer Kaserne, von Trödelläden und Fabriken, in denen üble Arbeitsbedingungen herrschten. Noch zu ihrer Studentinnenzeit sei die Gegend alles andere als chic gewesen, erzählt Schwester Lucella und zeigt aus dem Fenster. Zum Beispiel in diesem Haus dort, vielleicht im vierten Stock. Da hätten sie einen armen, einsamen Mann beim Sterben begleitet. Solche Armut gebe es hier heute kaum noch. "Manchmal fragt man sich da schon, ob man noch am richtigen Ort ist", sagt sie. "Aber es ist gut, auch für Kinder da zu sein, die zwar keine materiellen Nöte haben, aber dafür andere." Sie spricht vom Schönheitswahn, von Einsamkeit und von Zukunftsängsten.

Schwester Lucella Werkstetter steht dem Herz-Jesu-Kloster als Hausoberin vor. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Pädagogen wollen dem die Geborgenheit in einer Gemeinschaft entgegenstellen, ebenso wie christliche Werte. Die Nachfrage ist enorm. Man müsse eigentlich anbauen, um mehr Platz zu schaffen, sagt Michael Glasl, der Leiter des Hauses für Kinder; aber wo? Sie könne angesichts der Anfragen sofort ein weiteres Haus mit 150 Betten belegen, sagt auch Maria-Anna Uhl, die Leiterin des Wohnheims für junge Frauen. Das liege mit am Konzept. "Wir versuchen, modern zu bleiben", sagt sie. Männerbesuch ist bis halb elf Uhr abends gestattet, Alkohol ist verboten, hin und wieder gebe es aber einen Cocktail-Abend. Viele der jungen Frauen im Wohnheim sind minderjährig. "Die Eltern sind froh, wenn da noch einer auf ihre Töchter aufpasst."

Tagsüber lernen die jungen Frauen Berufe wie Orthopädie-Schuhmacherin, Kaminkehrerin oder Brauerin. Abends kehren sie in geordnete Verhältnisse zurück. Die Erziehung reicht von angekündigten Zimmerkontrollen bis zu allgemeinen Verhaltensregeln: Dass man sich grüßt, wenn man sich begegnet. Oder auch, dass man bei Tisch nicht ins Smartphone starrt. Wer im Speisesaal mit Handy erwischt wird, müsse beim Abwasch helfen, sagt Uhl. Die Regel habe sich sehr bewährt.

Auch mit der Lebenswelt der Schwestern kämen die jungen Frauen im Heim in Kontakt, sagt Uhl - nicht nur durch religiöse Angebote, sondern auch ganz praktisch, etwa beim Brote schmieren. Denn an ihrer Klosterpforte verteilen die Schwestern täglich außer freitags kostenlose Brotzeiten an Bedürftige. Im Jahr kämen etwa 32 000 Pakete zusammen, schätzt Verwaltungsleiter Wolfgang Stöcker.

Schwester Lucella ist das Verteilen an der Pforte eigentlich unangenehm, sie würde gerne mehr bieten. Früher hätten sie Tische aufgestellt und warme Mahlzeiten serviert, erzählt sie. Doch dafür reiche der Platz nicht mehr: Die Isarvorstadt möge reicher geworden sein, es kämen aber erheblich mehr Arme als früher. Mittags seien es manchmal bis zu 130, unter ihnen viele junge Männer aus Osteuropa. "Manchen Älteren sieht man nicht an, dass sie Brotholer sind", sagt Schwester Lucella. Es sind Menschen, die ihre Wohnung behalten und anständig gekleidet sein wollen, auch wenn es dann nicht mehr fürs Essen reicht.

Und es gibt noch etwas, was sich verändert hat; es betrifft die Ordensschwestern selbst. Es habe Zeiten gegeben, da lebten im Kloster 50 Ordensfrauen, sagt Schwester Lucella; heute sind es 13, die älteste ist 89. Die Suche nach Nachwuchs sei zäh. Derzeit lebt zumindest eine 24-jährige Novizin im Kloster. Doch in den Einrichtungen arbeitet längst weltliches Personal mit, auch in führenden Positionen. Im Wohnheim für junge Frauen etwa ist nur eine Schwester regulär als Pädagogin beschäftigt, zudem leitet Schwester Irmgard, die in ihrem Habit stets einen Schraubenzieher dabei hat, die Hauswirtschaft. Mehrere ältere Schwestern helfen ehrenamtlich. Zwei weitere Pädagoginnen und die Heimleiterin aber sind ordensextern.

"Wir kommen gut hin", sagt Schwester Lucella. Man müsse eben sehen, was gehe. Die Leitung des Vinzentinums haben die Ordensfrauen 1996 aufgegeben, "ein logischer Schritt", weil die Schwestern immer weniger werden. Trotzdem habe es weh getan. Aber nach wie vor engagieren sich die Schwestern für Kinder, für Jugendliche und für Arme. Und wenn sie gerufen werden, dann besuchen sie Kranke und begleiten Sterbende. So wie früher.

Der Tag der offenen Tür im Herz-Jesu-Kloster an der Buttermelcherstraße 10 beginnt am Samstag, 24. Juni, um 13 Uhr, und endet um 16.30 Uhr mit einer Feier in der Klosterkirche.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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