Graffiti-Szene:Der Mann, der München bemalt

Graffiti-Szene: Diese Hotelfassade in Obersendling und sechs weitere Werke hat Rafael Gerlach (hinten, mit seinem britischen Kollegen Daniel Man) in München gesprüht.

Diese Hotelfassade in Obersendling und sechs weitere Werke hat Rafael Gerlach (hinten, mit seinem britischen Kollegen Daniel Man) in München gesprüht.

(Foto: Catherina Hess)

Rafael Gerlach hat als Graffiti-Sprayer angefangen. Heute ist der Münchner ein international gefragter Künstler. Mit seiner Arbeit erreicht er mehr Menschen als die Meisterwerke in Museen.

Von Sofie Czilwik

Zeichen zu hinterlassen und zu zeigen: Jemand war hier. Diese Praxis scheint eine sehr alte Angewohnheit des Menschen zu sein. Egal ob in Form von Höhlenmalerei, auf alten Gebäuden oder auf Klowänden. Rafael Gerlach nennt es einen Virus - diesen Drang, sich zu verewigen. Einen Virus, mit dem man sich ansteckt und den man nicht mehr loswird. Lange Zeit war Rafael Gerlach, 40 Jahre alt, Teil der Graffiti-Szene in München. Irgendwann hat es ihm nicht mehr gereicht, nur seinen eigenen Namen zu pushen, wie es die Sprayer tun. Nur manchmal bricht dieses Virus noch bei ihm aus, und er kritzelt dann doch seinen Sprayer-Namen irgendwo hin: SatOne.

Rafael Gerlach, schwarze Schuhe, schwarze Hose, schwarzer Pulli über schwarzem T-Shirt, sitzt auf einer Steinstufe in einem Park in Haidhausen zwischen Schule und Sportplatz. Jogger drehen ihre Runden, trainieren an Geräten ihre Muskeln. Früher war er hier öfter. Zum Telefonieren, weil es in seiner Wohnung damals ein Funkloch gab. Heute kommt er manchmal zum Spazieren her oder wenn er die Wand an dem nahe gelegenen Spielplatz besprüht, die ihm der Eigentümer überlassen hat. Es ist eines seiner sieben Kunstwerke in München - ob alle noch zu sehen sind, weiß er gar nicht: Graffiti-Flächen in München sind rar und werden oft übermalt.

Erst vor ein paar Wochen hat er sein neuestes Werk fertiggestellt: an einer Hotelfassade in Obersendling zusammen mit Daniel Man, einem Briten, der in der Nähe von München wohnt. 30 Tage lang haben die beiden Künstler gemalt. 600 Quadratmeter fasst das Werk insgesamt - eine riesige Wandbemalung, explodierende Farben und Formen, Strukturen, die ineinander übergehen und sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. "Essentieller Bestandteil meiner Arbeit ist es, den Ort zu erforschen und kennenzulernen, um seine Stimmung zu erfassen", sagt Gerlach. Bei der Hotelfassade spielen die Fenster des Gebäudes gegenüber eine Rolle. Sie reflektieren bei bestimmter Sonneneinstrahlung das Licht auf die Hotelwand. Riesige leuchtende Tropfen ziehen sich jetzt links unten über die Wand.

"Visuelle Zitate, die von der Umgebung diktiert werden", nennt das Gerlach, der seine Kunst so präzise wie möglich versucht zu beschreiben und sich trotzdem nicht sicher ist, ob er die richtigen Worte findet. Er verarbeitet seine Eindrücke des Ortes in eine eigene Bildsprache. Und die ist durch und durch abstrakt.

Rafael Gerlach, der Sprayer, der sein Hobby immer am Rande der Legalität ausführte, hat es geschafft, ein international gefragter Künstler zu werden. Mit 14 fing er an zu sprayen, an alten Fabrikgebäuden und verlassenen Mauern. Er sprühte nachts. Doch auch Sprayer werden älter. Heute schläft er nachts, sprayt und malt tagsüber. Und er hat sich künstlerisch weiterentwickelt, verfolgt die Graffiti-Szene zwar noch, grenzt sich von ihr aber durch seinen eigenen Stil ab. Die ersten Aufträge nahm er bereits Anfang der Neunzigerjahre an, noch vor seinem Grafikdesign-Studium. Mittlerweile ist er auf der ganzen Welt gefragt. Und hinterlässt seine Kunst auf einer Bibliothek in Paris, einer Häuserwand in Washington D.C. oder einem Bahnhof in Indien.

Zwei Dinge sind Gerlach vom Graffiti geblieben: Einmal die Sichtbarkeit seiner Kunstwerke. Sind sie an befahrenen Straßen, kann es sein, dass sie bis zu 20 000 Menschen sehen. Täglich. Ein Vergleich: In die Neue Pinakothek gehen pro Tag im Durchschnitt 600 Besucher.

Geblieben ist auch dieser Virus, der in ihm steckt und der ihn dazu bringt, hin und wieder sein Pseudonym auf Mauern zu hinterlassen. Als er an diesem Tag den Park verlässt, bleibt auf dem Boden ein schwarzer Aufkleber zurück. Darauf steht: SatOne, das "S" vereint sich mit dem "O" von One.

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