Glockenbachsuiten:Logenplätze an der Isar

Glockenbachsuiten: Die Glockenbachsuiten an der Isar - nachts sieht man durch die bodentiefen Fenster das Flackern der Fernseher.

Die Glockenbachsuiten an der Isar - nachts sieht man durch die bodentiefen Fenster das Flackern der Fernseher.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die ersten Bewohner haben ihre Glockenbachsuiten bezogen. "Urbanes Wohnen auf höchstem Niveau" wurde ihnen versprochen. Und was sieht man von draußen durch die bodentiefen Fenster?

Kolumne von Michael Bremmer

Am frühen Vormittag stehen zwei Männer auf dem Dach der Glockenbachsuiten: frisch polierte Lederschuhe, elegante Chino-Hose, frisch gestärktes Hemd in Business-Blau - was man eben so trägt, wenn man es geschafft hat und genug Geld besitzt, um auf dem Dach der Glockenbachsuiten stehen zu dürfen. Ein paar Meter entfernt steht ein dritter Mann auf dem Dach. Er hat ein Fotostativ aufgebaut, um von dort oben die Schönheiten Münchens zu fotografieren: die renaturierte Isar, das Deutsche Museum, das Gärtnerplatzviertel, das Glockenbachviertel.

Wenn sie später diese Fotos Freunden zeigen oder anderen Bekannten mit einer gewissen finanziellen Eingeschränktheit, werden diese staunen und hinterher sagen: Jeder Quadratmeter der Luxuswohnung war es wert, Tausende Euros dafür zu bezahlen. Sie werden sich an Kauf-Annoncen erinnern, in denen von dem Blick geschwärmt wurde und vom "Flair des Stadtviertels". Ach, werden sie denken, wie schön wäre es, zum gehobenen Wohlstand zu gehören. Die ersten Parvenüs haben ihre Glockenbachsuiten schon bezogen. "Urbanes Wohnen auf höchstem Niveau" wurde ihnen versprochen, "Logenplätze".

Und was sieht man von draußen durch die bodentiefen Fenster? Eine moderne, reduzierte Inneneinrichtung. Und vor allem Fernseher. LED-Fernseher. Flat-Bildschirme nahezu wandbreit, mindestens 78 Zoll. Der ganze Raum erstrahlt in wunderbaren Licht - und von der Ferne ist das Wohlstandsleben in feinsten Details zu erkennen: Der Begriff Logenplatz bekommt spätestens jetzt eine neue Bedeutung.

Eine Frage bleibt: Warum leisten sich Menschen diese sündhaft teuren Wohnungen, um sich dann die Münchner Nächte vor dem Fernseher um die Ohren zu schlagen? Warum ziehen sie an die vielleicht pulsierendste Ecke der Stadt, wenn sie dank des umfangreichen Fernsehprogramms von der Lebensart des Viertels nichts mitbekommen? Wollen halt unter sich sein - auch recht. Wir freuen uns schon auf die nächste Fußball-WM. Dann setzen wir uns an der Reichenbachbrücke an die Isar, trinken gekühltes Bier aus der Flasche und genießen die Spiele auf dem großen Bildschirm im Haus gegenüber.

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