Geschwindigkeits-Messungen:Polizei kapituliert vor Temposündern

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Weil die Kabel nicht der Norm entsprachen, sind 450 Bußgeldbescheide hinfällig.

(Foto: iStockphoto)
  • 450 Verfahren gegen Temposünder wurden eingestellt.
  • Grund ist, dass ihre Geschwindigkeit mit Einsatzfahrzeugen gemessen wurde, deren Technik nicht den Normen entspriach.
  • Dieses Problem ist seit Jahren bekannt.

Von Christian Rost

Die Polizei hat Hunderte Bußgeldbescheide gegen Temposünder zurückgezogen, weil sie bei den Geschwindigkeitsmessungen nicht zugelassene Geräte einsetzte. Wie das Polizeiverwaltungsamt in Straubing bestätigte, waren mehrere zivile Einsatzfahrzeuge, die per Videomessung Jagd auf Raser machen, mit elektronischen Teilen ausgerüstet, die nicht der Norm entsprachen. Die Ergebnisse der Geschwindigkeitsmessungen wurden dadurch rechtlich angreifbar.

Um die Gerichte nicht mit aussichtslosen Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Raser zu belasten, seien jetzt 450 Verfahren vorsorglich zurückgenommen worden, so ein Sprecher des Polizeiverwaltungsamtes.

Wie die Raserjäger aussehen

Für Autofahrer sind die zivilen Raserjäger der Polizei kaum zu erkennen. Die Fahrzeuge sind häufig mit auswärtigen Kennzeichen wie HH für Hamburg versehen, um möglichst unauffällig und harmlos zu wirken. Nur bei genauem Hinsehen lässt sich eine Videolinse an der Frontscheibe ausmachen, zudem verfügen die zivilen BMW- oder Mercedes-Fahrzeuge über Monitore, die den Beamten zeigen, ob sie die Fahrzeuge, die sie verfolgen, auch richtig im Bild haben. Doch all die gute Technik und Tarnung sind am Ende nichts wert, wenn die Ergebnisse nicht stimmen.

Tausende Temposünder werden jährlich von den insgesamt 61 Videofahrzeugen in ganz Bayern aufs Korn genommen. Für zunächst 450 Raser bleibt dies folgenlos, weil die Polizei Messtechnik einsetzte, deren Ergebnisse vor Gericht nicht standhalten. Verkehrsrechtler wie der Münchner Anwalt Heinrich Wenckebach haben dies mithilfe von Gutachten herausgefunden und damit schon etliche Bußgeldverfahren zum Platzen gebracht.

Die Polizei rief deswegen im September und Oktober alle 61 Videomessfahrzeuge in die Werkstatt und ließ sie überprüfen. Dabei stellte sich heraus, dass sie noch immer nicht genormte Technik an Bord haben. Diese Fahrzeuge - um wie viele es sich handelt, wollte das Polizeiverwaltungsamt nicht bekannt geben - dürfen nun nicht mehr zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzt werden. Im Raum München sind sechs Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen worden.

Woher die technischen Fehler kommen

Das Problem mit der Technik ist der Polizei schon seit Jahren bekannt. Anfang 2014 kam heraus, dass in die verwendeten BMW- und Mercedesmodelle zu lange Kabel eingebaut worden waren, sodass die Messergebnisse mitunter nicht korrekt waren. Man hatte statt der vorgeschriebenen drei Meter langen Signalkabel, die die Videokamera an der Frontscheibe im Polizeifahrzeug mit dem Computer im Heck verbindet, einfach fünf Meter lange Stränge verwendet.

Die längeren Kabel waren für die Monteure leichter einzubauen. Durch diese eigenmächtigen Veränderungen der Anlagen verloren sie ihre Zulassung durch das Physikalisch-Technische Bundesamt. Die Geschwindigkeitsdaten waren nicht mehr gerichtsverwertbar. In München mussten an den Verkehrsgerichten deswegen reihenweise Verfahren gegen mutmaßliche Temposünder eingestellt werden, weil die Polizei nicht noch andere Beweise für den mutmaßlichen Geschwindigkeitsverstoß vorlegen konnte.

Nun kam heraus, dass die Kabellängen zwar geändert, bei der Umrüstung aber keine Originalkabel des Herstellers der Videomessanlage "ProViDa 2000" verwendet wurden. "Damit konnten rechtlich gesehen keine standardisierten Messverfahren mehr durchgeführt werden", so Michael Egger, Abteilungsleiter im Polizeiverwaltungsamt. Hätte die Polizei ihre Bußgeldverfahren dennoch durchgezogen, wäre es im Falle von Einsprüchen der Temposünder vor Gericht hoch hergegangen: Für jedes einzelne Verfahren hätte ein Sachverständiger bestellt werden müssen, um anhand der Videobilder aus dem Polizeiauto die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln.

Warum die Bußgeldbescheide zurückgezogen wuden

Die Kosten für solche Gutachten müssen die Autofahrer zahlen, wenn sie vor Gericht letztlich unterliegen. Und das wäre eine teure Angelegenheit geworden. Um solche Fälle zu vermeiden und auch um die Verkehrsgerichte nicht mit problematischen Ordnungswidrigkeitsverfahren lahmzulegen, hat sich die Polizei entschieden, sämtliche Bußgeldbescheide zurückzuziehen, die aufgrund von Videomessungen ergangen waren.

Verkehrsrechtler Wenckebach geht davon aus, dass nicht Hunderte, sondern Tausende Geschwindigkeitsverstöße mit den nicht zugelassenen Geräten gemessen wurden. Schuld daran sei nicht allein die Polizei, schließlich hätten schon die Fahrzeughersteller auf die Vorgaben des Physikalisch-Technische Bundesamts beim Einbau der Anlagen achten müssen. Auch das Eichamt, das jedes Fahrzeug abnehmen muss, habe die Anlagen nicht gründlich genug geprüft, so der Anwalt weiter. Für seine Mandanten ist das eine gute Nachricht.

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