Gerichtsgutachterin in Bayern:Nach Kritik kaltgestellt

Gutachterin Hannah Ziegert in der JVA Stadelheim, 2012

Gerichtsgutachterin Hanna Ziegert

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Ich weiß nicht, ob ich mich jemals begutachten lassen würde." Hanna Ziegert hat sich bei "Beckmann" zum Fall Gustl Mollath kritisch über die bayerische Justiz und die Vergabe forensischer Gutachten geäußert. Prompt wird sie in mehreren Verfahren als Gutachterin abgelehnt.

Von Hans Holzhaider

Weil sie sich in einer Fernsehsendung kritisch über die bayerische Justiz und die psychiatrische Begutachtung von Straftätern geäußert hat, muss die Münchner Psychiaterin Hanna Ziegert jetzt mit erheblichen beruflichen Problemen rechnen. Die Staatsanwaltschaft München I hat die Fachärztin, die seit mehr als 30 Jahren im ganzen Bundesgebiet als forensisch-psychiatrische Gutachterin tätig ist, in mehreren Verfahren "wegen Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt.

Begründet werden die Ablehnungen mit dem Auftritt Ziegerts in der Fernsehsendung "Beckmann", die sich mit dem Fall Gustl Mollath beschäftigte. Die Staatsanwaltschaft habe "Grund zu der Annahme, dass die Sachverständige eine innere Haltung hat, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend und nachhaltig beeinflussen kann", heißt es in der von Staatsanwalt Bernhard Pichl unterzeichneten Ablehnungsverfügung.

In seiner Talkshow am 15. August hatte der Moderator Reinhold Beckmann den soeben aus der Psychiatrie entlassenen Gustl Mollath, dessen Anwalt Gerhard Strate, den SZ-Mitarbeiter Uwe Ritzer und Hanna Ziegert zu Gast. Mollath berichtete von seinen Erfahrungen in den sieben Jahren, die er im bayerischen Maßregelvollzug verwahrt wurde. In der Diskussion ging es auch um die Kritik an verschiedenen psychiatrischen Sachverständigen, die ihre Gutachten über Mollath lediglich nach Aktenlage erstattet hatten, weil Mollath sich einer Exploration verweigert hatte.

Auf die Frage Beckmanns, ob das ein Fehler Mollaths gewesen sei, hatte Ziegert geantwortet: "Ich weiß nicht, ob ich mich jemals begutachten lassen würde." Ausschlaggebend dafür sei, dass der Proband zum Sachverständigen Vertrauen habe, "und das ist wahrlich nicht selbstverständlich, dass ich zu jedem dieser forensischen Psychiater Vertrauen entwickeln kann". Die Auswahl von Gutachtern durch Staatsanwaltschaft und Gericht richte sich zwar nicht immer, aber jedenfalls "immer mal wieder" danach, welches Ergebnis hinsichtlich der Frage der Schuldfähigkeit vom Auftraggeber gewünscht werde, sagte Ziegert.

Viele Gutachter seien darauf angewiesen, Aufträge von der Staatsanwaltschaft zu bekommen, und achteten deshalb darauf, "nicht in Ungnade zu fallen". Das seien "Dinge, die jedem, der in der Szene arbeitet, ganz genau bekannt sind". Zu den von Mollath scharf kritisierten Zuständen im bayerischen Maßregelvollzug sagte Ziegert: "Ich habe das Gefühl, dass die Bedingungen, der Maßregelvollzug in Bayern vielleicht doch etwas anders ist als in anderen Teilen Deutschlands. Ich habe manchmal das Gefühl, es geht um Mailand und Sizilien, und Bayern wäre dann Sizilien."

Unterstellung mafiöser Tendenzen

Diese Äußerungen haben die Staatsanwaltschaft veranlasst, in bisher drei bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I anhängigen Verfahren Hanna Ziegert als Sachverständige abzulehnen. Die Begründungen haben in allen drei Fällen den gleichen Wortlaut. Die in einer "bundesweit ausgestrahlten Fernsehsendung" gemachten Aussagen, heißt es darin, "lassen die Staatsanwaltschaft ernsthaft daran zweifeln, ob es der Sachverständigen aufgrund ihrer inneren Grundhaltung zur bayerischen bzw. deutschen Justiz sowie zum Maßregelvollzug in Bayern (dem von der Sachverständigen offensichtlich mafiöse Tendenzen bzw. eine rechtsstaatsferne Ausgestaltung unterstellt werden) möglich ist, das Gutachten tatsächlich unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten".

Insbesondere die von Ziegert geäußerten Zweifel, ob sie sich selbst psychiatrisch begutachten lassen würde, führten "den von ihr angenommenen Gutachtensauftrag ad absurdum".

In einer Stellungnahme für das Landgericht München I hat Ziegert die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Ihre Einschätzung, Gutachter würden zum Teil ergebnisorientiert ausgewählt und stünden unter dem Druck, sich den Wünschen der Justiz anzupassen, werde von vielen Kollegen bestätigt, heißt es darin. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft trage nicht dazu bei, diese Bedenken zu zerstreuen. "Ich finde es bedenklich, dass eine Gutachterin, die es wagt, Kritik an einzelnen Vorgängen innerhalb der Justiz zu üben, innerhalb von wenigen Tagen wegen Befangenheit abgelehnt wird", schreibt Ziegert.

Besser Paris-Marseille als Mailand-Sizilien

Sie habe mit dem Vergleich Mailand-Sizilien auch keineswegs "mafiöse" Strukturen in der Justiz unterstellen wollen, sondern lediglich auf ein "gewisses Nord-Süd-Gefälle innerhalb der deutschen Justizvollzugsanstalten" hingewiesen, das zweifellos auch der Staatsanwaltschaft und dem Gericht bekannt sei. Sie werde dies jedoch künftig lieber mit der Parallele Paris-Marseille verdeutlichen.

Ziegerts Anwalt Hartmut Wächtler kündigte an, er werde mit einer Unterlassungsklage gegen die Unterstellungen der Staatsanwaltschaft vorgehen.

Als forensische Gutachterin wird die Psychiaterin Ziegert von der Münchner Staatsanwaltschaft seit Jahren regelrecht boykottiert. Die Wurzeln dafür liegen in den 90er Jahren, als der mittlerweile pensionierte Richter Jürgen Hanreich Vorsitzender des Münchner Schwurgerichts war. Hanreich war dafür bekannt, dass er äußerst ungehalten auf Gutachter reagiert, die einem Angeklagten eine verminderte oder fehlende Schuldfähigkeit attestierten. 1996 hatte Hanreich deshalb in einem spektakulären Mordprozess Ziegert wegen angeblicher Befangenheit abgelehnt.

Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Ziegert wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung eingeleitet. Mehrere renommierte Gerichtspsychiater und Strafrechtler kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass Ziegert tadellos gearbeitet hatte. Das Ermittlungsverfahren wurde mangels Tatverdacht eingestellt, aber Hanna Ziegert bekam fortan von der Münchner Staatsanwaltschaft keine Gutachtenaufträge mehr.

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