Probe für den Ernstfall:Feuer im Südturm der Frauenkirche

Was, wenn die Frauenkirche brennt? Um für ein Unglück wie in Notre-Dame gerüstet zu sein, unternimmt die Feuerwehr eine schweißtreibende Übung.

Reportage von Wolfgang Görl

Donnerstagmorgen, 9.15 Uhr: Weißer Rauch quillt aus einem der obersten Fenster des Südturms der Frauenkirche, und wäre dies nicht München, sondern Rom, könnte man meinen, ein neuer Papst sei gewählt. Windböen treiben den Rauch weiter, zerzausen die Schwaden, die sich bald im seidig-blauen Morgenhimmel verlieren. Exakt zwei Minuten später rollt ein Löschzug der Münchner Berufsfeuerwehr mit Blaulicht auf den Frauenplatz, angeführt vom Einsatzleitwagen, dem zwei Löschfahrzeuge, eine Drehleiter und ein Rettungswagen folgen. Ein kleiner Trupp eilt Richtung Sakristei, während die übrigen Feuerwehrleute schon mal die Schläuche ausrollen - zügig, aber doch mit entspannter Miene, was den Verdacht nährt, dass es um die Münchner Frauenkirche nicht ganz so schlecht steht wie um die Pariser Kathedrale Notre Dame beim Großbrand im April. Auch dass sich vor dem Portal des Doms zig Kamerateams, Fotografen und Journalisten postiert haben, signalisiert den vielen Schaulustigen hinter der Absperrung, dass der Ernstfall hier nur geprobt wird.

Und damit haben sie recht. Dies ist eine Feuerwehrübung, und es geht darum, zu überprüfen, ob die einstudierten Abläufe in der Praxis auch tatsächlich funktionieren. "Es ist sehr wichtig, so etwas zu üben", sagt Brandinspektor Wolfgang Winkler, der die Aufgabe hat, mit seinem Trupp, der aus fünf Feuerwehrleuten besteht, über die Treppe im Inneren des Südturms zur Brandstelle vorzudringen.

Das Szenario, das man sich für die Übung ausgedacht hat, sieht so aus: Auf rund 80 Metern Höhe ist ein Feuer ausgebrochen - der Rauch kommt wie im Theater von einer Nebelmaschine -, woraufhin die Rauchmelder Alarm schlagen. Also muss die Feuerwehr ausrücken und einen Stoßtrupp unter die Welsche Haube des Turms schicken, mit Atemschutzgeräten, Schutzausrüstung, Werkzeugen und dergleichen - insgesamt rund 40 Kilo Gepäck. Unterdessen schließen ihre Kollegen am Fuß des Turms die Schläuche an die eingebaute Rohrleitung an, über die das Löschwasser bis zur Spitze gelangt. Bis der Stoßtrupp dort angekommen ist, sollen im Idealfall nicht mehr als acht Minuten vergehen.

Aber erst einmal müssen die Einsatzkräfte in den Turm kommen. Auch das ist selbstverständlich geregelt. Das Zauberwort, das Feuerwehr-Pressesprecher Klaus Heimlich verrät, heißt "Feuerwehrschlüsseldepot". Es befindet sich im Bereich der Sakristei, geht bei einem Alarm automatisch auf und birgt einen Generalschlüssel. Während des beschwerlichen Wegs durch den engen Turm treppauf meldet der Stoßtrupp per Funk mehrmals seinen Standort.

Zur selben Zeit fahren die Feuerwehrleute die Drehleiter aus, in deren Korb ein Spritzenmann Posten bezieht - eine Vorsichtsmaßnahme, falls der Dachstuhl Feuer fängt. Die fünf im Turm kommen gut voran, denn nach knapp acht Minuten rührt sich was am Turmfenster. Seltsam aber? Ein Wasserschwall ergießt sich nach draußen und zerstäubt in eine Art Nieselregen. Läuft da was schief? Sollten die nicht besser den Schlauch nach innen richten, dorthin, wo es brennt? I wo, dies ist ein Signal an die Medienleute, dass man es geschafft hat. Im Ernstfall würden die Einsatzkräfte schon in die richtige Richtung spritzen.

Mit dem Ablauf der Übung ist die Feuerwehr zufrieden

Als Gruppenführer Wolfgang Winkler mit seinen Leuten wieder unten ankommt, rinnt der Schweiß in Strömen von seiner Stirn. Er braucht erst einmal einen Schluck Wasser. Zügig seien sie aufgestiegen, berichtet er, aber nicht zu schnell, denn sie mussten ja auch Kraft sparen für die eigentliche Löscharbeit. Als sie dem fiktiven Brandherd näher kamen, haben sie Atemschutzgeräte angelegt, die, sollte es wirklich brennen, vor dem Rauch schützen. Winkler ist mit dem Ablauf zufrieden: "Ich habe nicht feststellen können, dass etwas schiefgelaufen wäre", sagt er. Gleiches ist wenig später vom Einsatzleiter Peter Scheibengraber zu hören: "Es lief sehr gut." Zwar sei die Höhe problematisch gewesen, aber "dank einstudierter Abläufe konnten die Kräfte in kurzer Zeit 80 Höhenmeter überwinden".

Nach der Übung versammeln sich Feuerwehrmänner und -frauen, Geistliche, Brandschutzexperten und Medienleute im Dachstuhl der Frauenkirche, um Bilanz zu ziehen. Domdekan Lorenz Wolf frohlockt: "Ich bin ein Freund der Feuerwehr, sie leistet gute Arbeit. Wir haben hier eine Win-win-Situation. Die Feuerwehr übt, und ich weiß, dass der Dom gut geschützt ist." Was aber, wenn etwa der Dachstuhl, eine komplizierte Holzkonstruktion aus den 1950er-Jahren - das Original ist im Krieg verbrannt - Feuer fängt?

Damit so ein Katastrophenfall gar nicht erst eintritt, wird demnächst ein Rauchanzugsystem installiert, das Brände im frühesten Stadium erkennt und Alarm schlägt. Sollte es dennoch zu einem Inferno wie in Paris kommen, würden viele Kunstwerke im Inneren des Doms nicht zu retten sein, sagt Baukoordinator Peter Veth. Das Hochaltarbild von Peter Candid beispielsweise, das mehr als 20 Meter hoch ist und viel zu schwer wäre, als dass es die Feuerwehrmänner während eines Großbrandes so einfach mal wegtragen könnten. Gleichwohl gibt es eine Prioritätenliste für die Rettung im Katastrophenfall. Wie die aussieht, will Veth aber nicht verraten. Nur so viel: Ganz oben stehen die Menschen.

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