Extremsport:50 Marathons in 50 Tagen

Extremsport: "Ich will die Grenzen erfahren, die physischen, psychischen, aber auch die politischen", sagt Denis Wischniewski.

"Ich will die Grenzen erfahren, die physischen, psychischen, aber auch die politischen", sagt Denis Wischniewski.

Denis Wischniewski rannte von München bis an die türkische Grenze. Die gesamte Strecke war er auf der Suche nach sich selbst - und nach dem Sinn von Europa.

Von Martina Scherf

Es klingt verrückt: 50 Marathons in 50 Tagen, von München nach Istanbul. Gut 2400 Kilometer, durch sieben Länder, über die Alpen bis an den Bosporus. "Ein bisschen größenwahnsinnig" sei das vielleicht schon, sagte Denis Wischniewski vor dem Start an einem Sonntag im Juni, "aber ich hab Bock drauf". Sprach's und lief los.

Der 43-jährige Extremläufer, Chefredakteur des Trail Magazins, ist gestählt. Der zweifache Vater ist die härtesten Rennen gelaufen, die es gibt: 230 Kilometer durch die Sahara, bei mehr als 40 Grad. 160 Kilometer durch Alaska, bei minus 40 Grad. Doch das hier, das ist der Lauf seines Lebens, das sind alle bisherigen Läufe auf einmal. "Ich will die Grenzen erfahren, die physischen, psychischen, aber auch die politischen", sagte er im Vorfeld.

Er hat es geschafft. Sein Körper hat durchgehalten, ohne größere Blessuren, sein Geist hat sich aus Momenten der Verzweiflung heraus gekämpft - nur die Politik, die kam ihm in die Quere, sodass sein Ziel verschwand. Aber dazu später mehr.

München, Sauerlach, Rosenheim, weiter Richtung Ramsau, nach Osttirol. Schneefall am Großglockner, schlechte Sicht. Durch Kärnten hindurch, dann hinab nach Slowenien, und hinein in die staubige, heiße Ebene. "Spätestens ab der zweiten Woche wurde das Ganze eine Frage der Moral und Psyche", notiert Wischniewski, der diesen Trail auf Facebook dokumentiert hat, in diesen Tagen, "aber meinen Körper konnte ich überreden, der machte das tägliche Spiel ,50 Kilometer laufen' ohne Murren mit."

40 Grad und kein Schatten

Ljubliana, Zagreb, dann weiter nach Serbien. Häuserwände, die noch immer mit Schusslöchern übersät sind. Aus Nijemci schreibt er: "Der Ort trägt offen seine Narben des Krieges. Viele Gebäude sind zerstört und wurden bis heute nicht erneuert. Ich glaube, wenn man sich mit dem Thema Krieg und Frieden auseinandersetzen will, muss man solche Orte sehen und erleben."

Gedanken wie diese haben ihn länger beschäftigt, wird er nach seiner Rückkehr erzählen. In Belgrad ist Halbzeit. "Die letzten Tage waren heiß, monoton und haben meinem Kopf mehr Energie gezogen als meinen Beinen. Ich bin froh, wenn jetzt bald was Neues kommt, neue Landschaftsformen, neue Eindrücke", schreibt er.

"Habe mir ein feines Hotel geleistet. Belohnung. Aufladen. Sehr wichtig". Wie wichtig das ist, stellt sich zwei Tage später heraus. Die Sonne brennt auf die Schultern, die Füße wirbeln den heißen Staub auf. 40 Grad und kein Schatten. 26 Marathonläufe stecken Wischniewski da in den Knochen - und er verliert den Weg. Muss umkehren, verläuft sich noch einmal - die reine Hölle für die Moral. "Ich sammelte gottverdammte Extra-Kilometer, die niemand auf dieser Welt niemals braucht."

Sein Vater und das Filmteam, die ihn in zwei Autos begleiten, haben ihn an diesem Tag wegen eines Funklochs ebenfalls verloren. Als sie ihn wiederfinden, redet er kein Wort mehr. "Diese 27. Etappe wollte mich niederstrecken. Ich habe mich gewehrt mit allem, was ich habe. Ich war echt hart heute", schreibt er am Abend.

Wischniewski läuft 35 bis 50 Kilometer am Tag, das sind, je nach Landschaftsprofil, fünf bis sieben Stunden. Er nimmt sich zwischendurch Zeit, ein paar Fotos zu machen, mit Menschen am Straßenrand zu reden, nach 20 Kilometern macht er jedes Mal Halt und isst etwas. Acht Paar Ersatzschuhe liegen im Kofferraum des Vaters, dazu Bandagen, Landkarten, Hoteladressen, Getränke. Mindestens zehn Liter trinkt der Athlet pro Tag.

Die nächste Grenze kommt - und Georgi. Der bulgarische Trailrunner ist ein Bruder im Geiste. Er ist Lehrer in Bielefeld und verbringt die Ferien bei den Eltern am Schwarzen Meer. Als er von dem Lauf des Münchners hört, lässt er alles stehen und liegen, um ein paar Tage mitzulaufen. Die beiden Männer reden, lachen und singen. "Die Zeit mit Georgi ging einfach so dahin. Der Regen kam. Es war der beste Regen meines Lebens", notiert Wischniewski.

"Positive Anspannung" verleiht Flügel

Immer wieder sind es solche Begegnungen, die seine Stimmung heben: eine Einladung auf einen Bauernhof, Kinder, die ihm zujubeln und ein Stück mitrennen. Mehr als einmal kommen ihm Sinti und Roma-Familien auf Pferdekutschen entgegen. "Ich muss eine skurrile Erscheinung für diese Menschen sein." Amüsant zu lesen, dass der Läufer, der sich täglich schindet, sich wundert, "wie schnell das Pferd den Anstieg mit Kutsche schafft - es kann nicht gesund sein für das Tier".

Kleine Dinge bekommen unterwegs plötzlich große Bedeutung, schreibt er: Marillen-Saft, Schokolade mit Erdnusssplittern, ein paar Folgen der tschechischen Kinderserie "Luzie, der Schrecken der Straße" am Abend im Hotelzimmer. Mitunter fängt der Athlet an zu philosophieren: "So ein 50-Etappen-Lauf hat durchaus Parallelen zu einem Leben. Alles beginnt mit Euphorie, Neugier und Leichtigkeit, dann wird es schwerer, komplizierter und mit einer gewissen Fortdauer und Routine wird eben alles besser."

Seine "positive Anspannung", unter der er die ganze Zeit steht, verleiht ihm im Notfall sogar Flügel. Als er in einen Bauernhof hineinläuft und sich zwei Hunde an seine Fersen heften, sprintet er los - nach 43 Kilometern. "Nichts ist unmöglich", schreibt er später stolz.

Wenn da nicht die Sache mit dem Ziel wäre, das plötzlich verschwimmt. Putsch in der Türkei. Die Nachrichten sind unklar. Kann er wirklich bis nach Istanbul laufen? Die Gedanken kosten ihn Kraft. Istanbul war der Motor, der ihn antrieb. Einige Tage ist er unschlüssig, spricht mit seinem Vater, den Freunden zu Hause. Nach der 34. Etappe, am Abend des 20. Juli, fällt er die Entscheidung: An der türkischen Grenze ist Schluss.

"Ich bin immer noch müde"

"Die Türkei ist ein tolles Land, und ich bin mir sicher, dass die Menschen dort genauso wunderbar, herzlich, gastfreundlich und spannend sind wie hier in Bulgarien", schreibt er, "aber ich verzichte auf die letzten vier oder fünf Etappen. Mit schwerem Herzen." So läuft er am letzten Tag noch 60 Kilometer bis an die Grenze. Dann ist Schluss. "Ich stand an einem Zaun. Dahinter die türkische Flagge. Ein Platz, der keinen Spaß macht. Die Außengrenze der EU", notiert er am Abend.

Nach sechs Wochen laufen fühlt er sich leer, ist froh, dass es vorbei ist. Ruft in den nächsten Tagen noch einmal die Bilder ab: "Sechs Wochen, sechs Länder. Viele Menschen. Viele Landschaften. Viel Armut. Das beschäftigt mich: dass wir innerhalb der EU echte Slums haben."

Eine gute Woche später sitzt er wieder am Schreibtisch in der Redaktion seines Trail-Magazins. "Ich bin immer noch müde", sagt er, "aber es war gut. Mit mir allein zu sein, mit der Natur, zu wissen, dass ich es geschafft habe." Es wird noch länger dauern, bis alles verarbeitet ist. Serbien, Bulgarien - die Landschaften und die Menschen haben ihn beeindruckt, sagt er, und dass wir Deutschen oft viel zu schnell urteilten. "Aber es ist auch schön, wieder zu Hause zu sein und in München wieder auf einem ordentlichen Gehsteig zu gehen. Wir leben schon sehr schön hier."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: