Wohnungsmarkt:"München wird einem gerade verdorben"

Wohnungsmarkt: Sobald die Arbeiten an dem Haus abgeschlossen sind, soll sich die Miete für Christiane und Andreas M. auf einen Schlag fast verdoppeln.

Sobald die Arbeiten an dem Haus abgeschlossen sind, soll sich die Miete für Christiane und Andreas M. auf einen Schlag fast verdoppeln.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In einem Haus in Giesing vertrauten die Bewohner auf die Erhaltungssatzung. Nach dem Verkauf der Immobilie folgen trotzdem Kündigungen. Manche Mieten sollen sich beinahe verdoppeln.

Von Anna Hoben

Vor fünf Jahren sind Christiane und Andreas M. in das Haus an der Watzmannstraße in Obergiesing gezogen, Baujahr 1905, zwölf Wohnungen. Vor anderthalb Jahren kam ihr Sohn Viktor zur Welt. Seine Krippe ist in der Nähe, die Familie fühlt sich wohl im Viertel und will dort eigentlich nicht weg. Sie hatten Glück gehabt, dachten sie: Dem Eigentümer waren zuverlässige und langfristige Mieter wichtiger als hohe Mieten. In der Wohnung war zwar einiges renovierungsbedürftig, aber dafür erließ der Vermieter auch mal eine geringe Nebenkostennachzahlung. Dann, im November 2017, verkaufte er das Haus. Und die Zeit der Unsicherheit begann.

Der neue Eigentümer war eine Vermögensverwaltung, sie brachte eine neue Haustür und ein goldenes Klingelschild an. Seriös und charmant seien die Herren aufgetreten, sagen die Mieter, und dass sie damals wohl zu naiv gewesen seien. Aber sie fühlten sich gut geschützt - schließlich wohnen sie in einem Erhaltungssatzungsgebiet. Geplante Modernisierungen müssen dort vom Sozialreferat genehmigt werden, mit dem Ziel, eine Verdrängung der Mieter zu verhindern und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Außerdem hat die Stadt ein Vorkaufsrecht. In der Watzmannstraße nutzte sie es jedoch nicht, weil der Käufer eine Abwendungserklärung abgab. Damit verpflichtete er sich unter anderem, zehn Jahre auf Luxussanierungen zu verzichten.

Werkeln an der Wirksamkeit

Die Erhaltungssatzung soll Mieter vor Verdrängung schützen und Stadtviertel vor der Gentrifizierung bewahren. Dass dies oft nicht funktioniert, zeigt sich immer wieder - spätestens dann, wenn ein Gebiet aus der Satzung herausfällt und die Stadt das damit begründet, dass dort nunmehr umfangreiche Aufwertungsmaßnahmen stattgefunden hätten und damit ein Austausch der Bevölkerung einhergegangen sei. OB Dieter Reiter will die Erhaltungssatzung auf das ganze Stadtgebiet ausweiten - aber vor allem muss sie wirksamer werden. Nun haben die Grünen im Stadtrat ein Antragspaket dazu auf den Weg gebracht. Die Satzungen würden den "real existierenden Verdrängungsrisiken" nicht mehr gerecht und müssten dringend angepasst werden, "um noch ausreichend Schutzwirkung zu entfalten". Bei der Frage, wie erhaltungswürdig das soziale Milieu ist, solle die Stadt sich nicht mehr auf Sekundärdaten verlassen, sondern die Bürger befragen. Die Satzungen sollten grundsätzlich unbegrenzt gültig sein. Die in den vergangenen zehn Jahren entlassenen Gebiete sollten darauf untersucht werden, ob sie auf Basis der neuen Kriterien wieder aufgenommen werden können. Genossenschaftliche Wohnungen sollten ebenfalls in die Gebiete aufgenommen werden, denn auch dort könne es Verdrängung geben, wie am Beispiel auslaufender Erbpachtverträge bei den Eisenbahnergenossenschaften zu sehen sei. Der fünfte Antrag schlägt vor, in Pasing ein Pilotprojekt für eine Erhaltungssatzung nach den neuen Kriterien zu erlassen. Anna Hoben

Ein paar Monate später, im April 2018, wurde das Haus erneut verkauft, an ein Zahnarzt-Ehepaar. "Wir möchten Ihnen versichern, dass sowohl Sie als auch das Haus in gute Hände kommen", schrieb die Vermögensverwaltung. Einen Monat darauf erhielten drei Familien in den oberen Geschossen je eine Kündigung wegen Eigenbedarfs. Bis Februar 2019 sollten sie ausgezogen sein. In den folgenden drei Jahren seien umfassende Modernisierungsmaßnahmen geplant, um das Haus "auf einen energetisch angemessenen Standard zu bringen", schrieben die Eigentümer. Im September 2018 kam die erste Modernisierungsankündigung, im Dezember, ein paar Tage vor Weihnachten, gingen weitere Schreiben ein. Die Gas-Etagenheizung soll durch eine Zentralheizung ersetzt werden, die alten Fenster sollen ausgetauscht, Balkone vergrößert und ein Außenaufzug angebracht werden.

Die Kosten sollen per Modernisierungsumlage auf die Mieter umgelegt werden: jedes Jahr elf Prozent, auch dann noch, wenn sich die Ausgaben längst amortisiert haben. Anfang dieses Jahres hat die Bundesregierung zwar bei der Modernisierungsumlage zugunsten von Mietern nachgebessert - erlaubt sind nun nur noch maximal acht Prozent, in jedem Fall aber nicht mehr als drei Euro pro Quadratmeter -, weil die Vermieter in der Watzmannstraße die Ankündigungen aber gerade noch vor Jahresende verschickt haben, gilt das alte Recht - und die Mieter haben Pech gehabt. Die Miete der Familie M. soll sich nach den Bauarbeiten fast verdoppeln, von 865 Euro auf etwa 1600 Euro warm. Für 75 Quadratmeter. Die Steigerungen sind unterschiedlich; wer unten wohnt, muss den Aufzug nicht mitbezahlen. In einer Wohnung soll die Miete von 1000 auf 1500 Euro steigen.

Die Mieter, die sich in der Küche von Familie M. versammelt haben, sind keine Geringverdiener, sondern Akademiker mit guten Jobs. "Aber nicht einmal wir können es uns noch leisten in Giesing", sagt eine von ihnen. Zumindest wird es ganz schön knapp bei einigen. Manche haben, mit Hilfe des Mietervereins, wirtschaftliche Härte geltend gemacht.

Es stößt nun Florian Falterer dazu, er wehrt sich mit einem Anwalt gegen die Kündigung wegen Eigenbedarfs und die Räumungsklage. Falterer ist Gastronom, er betreibt die Kneipe Riffraff an der Tegernseer Landstraße, außerdem das Crönlein am Nockherberg. Auch das lokale Straßenfest Ois Giasing hat er mit ins Leben gerufen. Er hat nach einer neuen Wohnung gesucht, aber als Selbständiger finde er nichts, sagt er. Seit zwölf Jahren wohnt er in dem Haus, die Nachbarskinder seien für seinen elfjährigen Sohn fast wie Geschwister gewesen. Es war eine Hausgemeinschaft, wie sie sich viele wünschen. Giesing ist seine Heimat, eigentlich. "Aber ich frage mich schon, ob ich noch Lust habe, mich weiter kulturell zu engagieren, bei dem, was hier passiert."

Eine andere vierköpfige Familie, der ebenfalls gekündigt wurde, hat den Kampf aufgegeben, es sei psychisch zu belastend geworden, sagen sie. "Als wir erfuhren, dass ein Ehepaar das Haus gekauft hat, haben wir uns erst sicher gefühlt", sagt Maya J. "Wir hätten nicht gedacht, dass man uns so schnell kündigen kann." Richtig desillusioniert wurden sie dann während der Suche nach einer Vier-Zimmer-Wohnung - kaum ein Angebot unter 2000 Euro kalt habe es gegeben. Wenn sie nicht beruflich hier verwurzelt wären, sagt Maya J., würden sie aufs Land ziehen. "München wird einem gerade verdorben."

"Ich bin nicht schuld an der Wohnungsnot"

In eine Wohnung soll ein Familienmitglied der Eigentümer einziehen, zwei Wohnungen wollen sie für sich und ihren Sohn zusammenlegen. Eine vierte Wohnung in einem der oberen Geschosse steht seit einiger Zeit leer. "Wegen unseres Platzbedarfs kündigen wir beide Wohnungen im 3. Obergeschoss", schrieben sie in der Kündigung. 82 Quadratmeter seien "für unsere Bedürfnisse zu klein". Wenn in einem Erhaltungssatzungsgebiet Wohnraum geschaffen wird, darf dieser laut einer Sprecherin des Sozialreferats eine Größe von 130 Quadratmetern zwar eigentlich nicht überschreiten. Das Amt macht jedoch eine Ausnahme, wenn die Eigentümer selbst mindestens sieben Jahre darin wohnen.

Die Mieter haben viele Fragen. Ist der Einbau einer Zentralheizung wirklich eine umlegbare Modernisierung? In einer Wohnung soll allein wegen des Einbaus neuer Fenster die Miete um 180 Euro steigen; die alten Fenster seien jedoch schon lange instandsetzungsbedürftig, sagen sie. Eine Instandsetzung kann nicht auf die Mieter umgelegt werden. Und der Aufzug? Er soll auf halber Treppe halten, ist also für Familien mit Kinderwagen kaum eine Erleichterung.

Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung gibt sich der Eigentümer überrascht. "Wir sind keine Großinvestoren, wir brauchen ein Haus, in dem wir leben können." Zurzeit wohne er mit seiner Familie in der Zahnarztpraxis. Man tue nichts Illegales, mache keine Luxussanierung und nutze nur die Möglichkeiten, die das Gesetz hergebe. Man habe sich mit allen gekündigten Mietparteien auseinandergesetzt und geeinigt.

"Wir sind keine Spekulanten", sagt der Eigentümer, "von Spekulanten haben wir das Haus gekauft." Man wolle keine riesigen Gewinne einfahren, "wir zahlen jeden Monat drauf". Bislang sei außerdem keine einzige Miete erhöht worden, "ich habe nur Widersprüche von Anwälten gegen die Modernisierungen auf dem Tisch". Und noch etwas hat der Vermieter zu sagen: "Ich bin nicht schuld an der Wohnungsnot." Die Politik müsse das Problem angehen und Lösungen finden.

Im Januar haben die Bewohner einen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter geschrieben. "Es tut mir sehr leid, dass Sie und Ihre Nachbarn nun in dieser Situation sind", antwortete Reiter. Immerhin: Die Umstellung auf Zentralheizung sei keine Modernisierung; die dafür geforderte Mieterhöhung sei deshalb also wohl nicht zu bezahlen. Die Stadt München habe indes "keine Möglichkeiten, auf privatrechtliche Mietstreitigkeiten Einfluss zu nehmen". Sie setze sich aber dafür ein, "dem Prozess der Gentrifizierung entgegenzuwirken" - unter anderem durch den Erlass von Erhaltungssatzungen.

Doch die bringt den Mietern an der Watzmannstraße offenbar überhaupt nichts. Vor Kurzem haben sie Post vom städtischen Amt für Bestandssicherung bekommen. Den Betreff - "Vollzug der Erhaltungssatzung" - finden sie irgendwie unpassend. "Vollzug der Verdrängung der ansässigen Bevölkerung", schlägt eine Mieterin vor, das würde es eher treffen.

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