Engagement gegen rechts:Stigmatisiert vom Staat

Marcus Buschmüller engagiert sich seit Jahren in München gegen Neonazis. Doch der Verfassungsschutz sieht in ihm eine Gefahr für die Demokratie.

Bernd Kastner

Immer wieder diese Gedanken. Wenn er durch die Stadt geht, schaut er sich um, ob ihm jemand folgt, ob ihn gleich jemand anspricht, ob er Ärger kriegt. "Bloß nicht paranoid werden", sagt er sich. Aber ganz vertreiben kann Marcus Buschmüller das Gefühl nicht.

Marcus Buschmüller

Marcus Buschmüller ist Vorsitzender von Aida, der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.), die dem Verfassungsschutz als linksextremistisch gilt.

(Foto: Foto: Rumpf)

Macht ihn ein Neonazi an, weil sein Bild in der Zeitung war? Tippt ihm gleich ein Beamter vom Verfassungsschutz auf die Schulter? Seit ihn der bayerische Innenminister zu einer Gefahr für die Demokratie erklärt hat, ihn, der sich seit Jahren gegen neonazistische Umtriebe engagiert, ist es, als hätte der Staat seinem Bürger Buschmüller einen Stempel auf der Stirn gedrückt: Achtung, Linksextremist!

Wer den Mann, der angeblich die freiheitliche Grundordnung dieser Gesellschaft unterhöhlen will, besucht und einen Eiferer erwartet, wird enttäuscht. Mitte vierzig ist er, Brille, kurze Haare, sein Polo-Shirt spannt ein bisschen um den Bauch. Er wirkt ruhig und besonnen. Dass er im Visier der Verfassungsschützer steht, liegt an seinem ehrenamtlichen Engagement.

Buschmüller ist Vorsitzender von Aida, der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München, eine der wenigen in Deutschland und die größte in Bayern. Nirgends sonst im Freistaat finden sich mehr öffentlich zugängliche Informationen über Neonazis, über ihre Strukturen und menschenverachtenden Ziele.

Aidas Arbeit ist weithin anerkannt. Doch der Verfassungsschutz ordnet den Verein neuerdings in die Gruppe der linksextremistischen Organisationen ein und begründet dies mit dem Agieren ihrer führenden Vertreter. Stadtbekannte Extremisten seien das, heißt es im Innenministerium, einer sei in der Vergangenheit als "gewalttätig" aufgefallen und habe "hohe Geldstrafen wegen diverser Delikte" zahlen müssen. Gemeint ist Marcus Buschmüller.

"Ich weiß nicht", sagt Buschmüller, "wie der Verein und ich da wieder rauskommen sollen." Er ist sich sicher, dass die Verfassungsschützer die angeblichen Verfassungsfeinde bei Aida mit geheimdienstlichen Methoden überwachen: dass sie Telefone abhören, E-Mails und Briefe lesen, auch Privatestes erfahren. "Das ist sehr belastend."

Ein Datum, ein Kreuz und "Prost"

Dabei könnte man die Vita dieses Mannes auch ganz anders interpretieren. Der Staat könnte sich freuen über einen, der in seiner Jugend bestimmt ein ganz Linker war, der aber längst genau das macht, was Politiker in ihren Sonntagsreden von den Bürgern fordern: Zivilcourage zeigen und die rechten Rattenfänger entlarven.

Es ist der 26. September 1980, Marcus Buschmüller ist noch keine 17 Jahre alt, als er abends das Oktoberfest verlassen will. Am Hauptausgang stößt er auf rot-weiße Absperrbänder. Still ist es, Blaulichter drehen sich, und auf dem Boden liegen weiße Tücher. Er ist nur um Minuten einem der schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte der Bundesrepublik entgangen. Die Ermittler erklären, dass ein Rechtsextremist die Bombe gezündet habe, ein Einzeltäter, doch bis heute bestehen Zweifel, ob nicht doch eine Organisation dahintersteckte.

"Das Attentat hat mich geprägt", sagt Buschmüller. Fortan beschäftigt er sich mit der Ideologie der extrem Rechten. Zum ersten Jahrestag verteilt er Handzettel zwischen den Bierzelten, in denen sie schunkeln wie immer. Er hat nur das Datum draufgeschrieben, ein Kreuz dazu und "Prost". "Wir können das nicht einfach vergessen", sagt er, aber viele Wiesnbesucher wollen nur ihren Spaß. Fast fängt der junge Provokateur Schläge ein.

"Heucheleien" der Mächtigen

Es war dies die Zeit, in der Buschmüller politisiert wurde, es waren seine Jahre des "Sturm und Drang", des Ausprobierens, wie es Jugendliche nun mal tun, die sich Gedanken machen über die Welt und die Gerechtigkeit. Es ist die Zeit des Wettrüstens, des US-Präsidenten Reagan und des Kanzlers Kohl. Buschmüller nerven die "Heucheleien" der Mächtigen: "Die Gesellschaft ist nicht so, wie sie sein könnte."

Er schließt sich Antifa-Gruppen an, protestiert gegen die Startbahn West in Frankfurt, macht bei einer Hausbesetzung in München mit und zieht ins Hüttendorf nach Wackersdorf, wo sie die Wiederaufbereitungsanlage bauen wollen. Als Buschmüller dort Anfang 1986 vermummt am Baugelände unterwegs ist, nehmen Polizisten einen aus seiner Gruppe fest.

Es sei, erzählt Buschmüller, zu einer Rangelei gekommen, ohne Verletzungen, aber die Beamten nehmen Buschmüller mit, zwölf Tage bleibt er im Gefängnis. Später verurteilt ihn ein Richter wegen versuchter Gefangenenbefreiung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu 60 Tagessätzen, macht 600 Mark. Die U-Haft rechnen sie ihm an mit zehn Mark pro Tag.

15 Tagessätze, 300 Mark

Ein paar Jahre später, am Tag, als sich Deutschland vereinigt, gerät Buschmüller in München in eine linke "Spontandemonstration", wie er es nennt. Die Polizei findet in seiner Jackentasche CS-Gas. Er habe das Spray damals zum Selbstschutz vor Rechten immer bei sich gehabt, aber natürlich habe das auf einer Demo nichts verloren, "das war einfach blöd". Strafbefehl, 15 Tagessätze, 300 Mark.

Ins Führungszeugnis ist das nie hineingekommen, aus dem Bundeszentralregister müsste es nach fünf Jahren gestrichen worden sein - das Innenministerium aber bedient sich noch heute der Jugendsünden des Nazi-Gegners.

Buschmüller lernt Erzieher, beginnt dann im Touristik-Gewerbe, verkauft Flugtickets, ein sehr gewöhnlicher Job für einen Linken. 1989 dann gründet er mit ein paar Gleichgesinnten Aida. Schon lange haben sie Material über die Rechten gesammelt, es lag hier und da, in Tüten, in Kisten, im Keller, unterm Dach. Sie wollen es endlich sortieren, und so entsteht jenes heute so stattliche Archiv, dessen Adresse nur wenige Eingeweihte kennen.

Bloß nicht die Neonazis anlocken, man weiß ja nie. Aida ist noch immer ein kleiner Verein mit wenigen Aktiven. Erst die letzten fünf Jahre, sagt Buschmüller, seien sie professioneller geworden. Er hat seinen Job als Abteilungsleiter in seiner Firma aufgegeben, um mehr Zeit für Aida zu haben.

"Wir sind keine politische Aktionsgruppe", betont Buschmüller. Sie verzichten auf ein politisches Programm, "es geht uns rein um die Information über Rechtsextremisten". Aida wird mit diversen Preisen ausgezeichnet, und vor ein paar Jahren meldet sich der Verfassungsschutz, jener des Freistaats Sachsen, und bestellt, gegen Rechnung, eine Aida-Broschüre. "Sprengstoff in München" heißt sie und dokumentiert die Umtriebe jener Neonazi-Gruppe, die 2003 den Anschlag auf die Synagogen-Baustelle geplant hatte.

Im Februar 2009 dann faxen die Verfassungsschützer, diesmal die bayerischen, an den Bayerischen Jugendring, bei dem die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus (LKS) angesiedelt ist: Man möge sich vor Aida in Acht nehmen. Die Geheimen werfen Aida vor, im Internet Links zu Extremisten gesetzt zu haben; sie führen ein Faltblatt auf und auch eine Veranstaltung über Rechte, bei der ein Verfassungsschützer zum Verlassen des Saales aufgefordert wurde.

Ude lässt Verfassungsschutz abblitzen

Das erstaunt, denn das Hausrecht bei der Diskussion hatte nicht Aida; das inkriminierte Faltblatt wurde nicht von Aida herausgegeben; und auf der Homepage distanziert sich der Verein durchaus von den Inhalten verlinkter Seiten. Dennoch findet sich Aida wenig später im Verfassungsschutzbericht als linksextremistische Organisation wieder, und CSU-Innenminister Joachim Herrmann warnt davor, dass der Verein der Nazi-Gegner demokratische Institutionen unterwandern wolle. Allein, eine Begründung bleibt der Minister schuldig, und auch im aktuellen, 248 Seiten starken Bericht steht nichts.

Herrmann hat kürzlich wieder an die historische Verpflichtung erinnert, gegen den Rechtsextremismus vorzugehen: "Der Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn alle mitmachen." Buschmüller und Aida aber sollen nicht mehr mitmachen. In einer Zeit, in der Rechtsextremisten immer dreister agieren, in der Orte wie Gräfenberg zu Pilgerstätten von Rechtsextremisten werden und das neue Versammlungsgesetz, anders als von der CSU angekündigt, keine Handhabe gegen Neonazi-Märsche durch Münchens Innenstadt bietet, lässt die Staatsregierung Aida aus der LKS ausschließen.

Teil des städtischen Netzwerks gegen rechts

Dort hat der Verein seit gut einem Jahr mit dem Verfassungsschutz und vier Ministerien an einem Tisch gesessen. Das Geld für eine bezahlte Teilzeitstelle werde Aida deshalb in wenigen Tagen gestrichen. Und das Finanzamt droht damit, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.

Herrmann muss sich im Landtag harte Kritik an seinem Vorgehen gegen die Nazi-Gegner anhören, doch das hindert den Verfassungsschutz nicht daran, auch die Stadt München aufzufordern, die Finanzierung einer Recherchestelle einzustellen. Die ist Teil des städtischen Netzwerks gegen rechts, und inne hat sie - Marcus Buschmüller. OB Christian Ude lässt den Verfassungsschutz abblitzen.

Dass die Stadt bislang zu Aida steht, beruhigt Buschmüller. Und er freut sich über die Solidarität, die Aida seit Wochen erfährt, von SPD und Grünen über den Verein Lichterkette bis zum Kuratorium der Versöhnungskirche in der Dachauer KZ-Gedenkstätte.

"Nicht nachvollziehen" könne sie die Ausgrenzung von Aida, schreibt die evangelische Stadtdekanin Barbara Kittelberger und zitiert Ernst Grube, den KZ-Überlebenden und Vize-Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau: "Menschen und Organisationen wie Aida, die sich den Neonazis entgegenstellen, dürfen von staatlicher Seite nicht behindert oder diskriminiert und beschädigt werden."

Nazi-Gegner Buschmüller weiß, dass er und der Verein noch sehr lange mit dem Stigma des Extremismus werden leben müssen. Aber sie wollen die Neonazis weiter beobachten, "und wir werden es uns nicht nehmen lassen, Kritik zu üben". Auch am Verfassungsschutz, auch an der Staatsregierung.

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