Boxtraining mit Charles Schumann:Dass es weh tut, muss sein!

Barlegende Charles Schumann wird 70. Und der Schriftsteller Wolf Wondratschek erinnert sich an das gemeinsame Boxtraining in einem Schwabinger Keller - sowie an die lebenslange Arbeit, die es macht, sich zu wehren.

Wolf Wondratschek

Okay, ich habe einiges abbekommen, aber was soll's. Der Kerl, mit dem ich es zu tun hatte, war gut drei Gewichtsklassen schwerer als ich, einen Kopf größer, er war schneller auf den Beinen als ein Leichtgewicht, und die Vorteile seiner Reichweite konnten einem Angst machen. Ich schlug ihm, wenn ich nicht nah genug an ihn herankam, auf die Arme, um sie müde zu machen - was nicht gerade nach viel aussah, aber schließlich hatte es genau so, wie ich wusste, Rocky Marciano mit Gegnern gemacht, die versucht hatten, ihm mit ihren Armen das Leben schwer zu machen.

Boxtraining mit Charles Schumann: Charles Schumann in seiner Bar in der Ludwigstraße.

Charles Schumann in seiner Bar in der Ludwigstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Schlag gegen den Kopf kann einen Boxer wachrütteln, aber Schläge auf die Arme können ihn um den Verstand bringen und irgendwann so wütend machen, dass er Fehler macht. Außerdem zweifelte ich an seiner Fähigkeit, bei einem Schlagabtausch ruhig bleiben und sein Temperament kontrollieren zu können. Ich kannte meinen Freund. Manchmal, wenn ich an seinen Armen vorbei einen Schlag - und vielleicht noch einen - landen konnte, explodierten in seinem Kopf ein paar Reflexe, was ihn unberechenbar und noch gefährlicher machte. Ich musste also aufpassen. Aber es war okay. Es war okay, dass es weh tun muss. Es war die Voraussetzung, Freunde zu bleiben.

Wir waren gut in Schuss damals. Wir hätten uns ein paar richtige Kämpfe zugetraut und sie durchgestanden, vielleicht nicht siegreich, aber so ehrenhaft wie jemand, der nicht weiß, wovon er, wenn er verliert, am nächsten Tag sein Essen bezahlen soll.

Dabei hatten wir, als wir mit dem Boxen anfingen, weiter nichts vorgehabt, als uns das Handwerk beibringen zu lassen, an einem Ort, der low life genug war, um es richtig aussehen zu lassen: ein Keller in einem Mietshaus in Schwabing, der auch das Zuhause von immer mindestens fünf, sechs herrenlosen Katzen war, und beim Seilspringen konnte einen schon mal eine zum Stolpern bringen.

Wir trainierten unter der Anleitung eines Mannes im Rentenalter, ein ehemaliger Boxer mit entsprechend abgewetztem Gesicht. Aber wie es oft so ist mit solchen Gesichtern: das, was Mitleid erregen könnte, wird überstrahlt von freundlichen, fast hilflos gutmütigen Augen. In seiner Gegenwart war jede Feindseligkeit, wann immer sie hätte aufkommen können, sobald wir aufeinander losgingen, ausgeschlossen.

Und erst einmal stand auf dem Stundenplan ohnehin nicht das Kämpfen, sondern die einfachen Grundregeln der klassischen Haltung, die Arme dicht am Körper, die Füße nicht zu weit auseinander, die Beweglichkeit des Oberkörpers (und, wie oft haben wir das gehört: Hände hoch!). Mochten wir uns auch bewegen wie hilflose Fische, der alte Mann hatte seinen Spaß mit uns.

Die Eleganz einer Bewegung

Eine Runde, die drei Minuten dauert, ist eine lange Zeit. Zeit genug, viel falsch zu machen. Auf dem falschen Bein stehen, falsch atmen, falsch denken - was so viel heißt wie: überhaupt denken! Es verfolgte uns bis in den Schlaf.

Boxen ist kein Mannschaftssport. Die Fehler, die man macht, macht man allein. Und man bekommt eins auf die Nase dafür. Und schon sieht man den Schlag danach nicht rechtzeitig. Und um zu klammern, steht der Kerl zu weit weg. Was anfangen mit den alten Boxerweisheiten, die so schön klingen, aber schwer zu beherzigen sind? "Was immer der andere Mann machen will, lass es ihn nicht machen." Nein, lass es ihn nicht machen! Lass es ihn die nächsten drei Minuten nicht wieder machen.

Was ist das für eine Deckung, schreit mich einer an. Redet der Kerl, der mich gerade zweimal getroffen hat, auch noch? Oder war es die eigene Stimme? Es geht drunter und drüber. Was für eine Arbeit, sich zu wehren - eine Arbeit im übrigen, mit der man ein Leben lang auch außerhalb der Ringseile nie ganz fertig wird.

Der Spaß am Boxen war, elegant zu sein. Das war es, was uns vorschwebte. Die Eleganz einer Bewegung, einer Körpertäuschung, eines nur angedeuteten Schlags - oder die schnelle Reaktion, einem Schlag auszuweichen. Die Eleganz, die nur durch die Natürlichkeit aller Bewegungen insgesamt geboren wird! Nicht mit Kraft boxen, nicht punchen! Und nicht denken. Die Kraft entdecken, die der Intelligenz des Körpers innewohnt! Tun, was der Körper besser weiß als du. Mit einem Wort: wir wollten, was wir da taten, in etwas Geistiges verwandeln.

Auch mit bandagierten Fäusten und Kopfschutz und geschnürten Handschuhen blieb das Boxen für uns eine romantische Idee.

Der Name muss gut im Bett klingen

Charles Schumann, 2010

Münchens bekanntester Barkeeper wird 70: Charles Schumann.

(Foto: lok)

Wir sahen uns als Teil einer Geschichte von Helden, die unsere Verehrung allein deshalb verdienten, weil sie im Ring gestanden hatten und dort zähe, harte und kompetente Burschen gewesen waren. Weil sie über ein paar Eigenschaften verfügten, die uns gefielen. Was waren die vielen anderen, mit denen wir es privat und beruflich zu tun hatten, für Schlauberger. Leute, die viel redeten und mehr Alkohol tranken, als gut für sie war, und auch die Frauen, die sie hatten, waren nicht gut für sie, und so blieb ihnen nichts weiter übrig, als siegessicher auf die Nützlichkeit aller Dinge zu setzen.

Ihnen war die Schönheit einer aus der Schulter heraus geschlagenen rechten Geraden oder die bewundernswerte Vollkommenheit eines kurz angesetzten linken Hakens nicht zu vermitteln. Auch nicht die tiefe Genugtuung, wenn das Kämpfen sich wie eine Liebkosung anfühlt und die Erschöpfung danach wie Glück. Wir waren spielende Kinder mit dem Gedächtnis alter Männer. In der Ahnengalerie der großen Boxer war keiner tot - und keiner ihrer Kämpfe lag lange genug zurück, um in unserer Erinnerung nicht lebendig geblieben zu sein.

Wir boxten auch deshalb, damit sich das nie ändern würde. Als Charles Schumann Vater geworden war, nannte er seinen Sohn - eine Reverenz an den Boxsport - Marvin, nach Marvin "Marvellous" Hagler, einem der besten Mittelgewichtler in der Geschichte des Boxsports. Ein Name ist dann etwas wert, wenn er im Bett gut klingt - hörte ich einmal eine Dame sagen, die das Boxen für eine ordinäre Angelegenheit hielt, aber von Vornamen verstand sie offenbar was.

Es gibt viele Arten, Schweiß fließen zu lassen. Es gibt die Liebe und die Liebe zu Namen, die Liebe zum Boxen und die Entscheidung, bevor man zu alt für das alles ist, selbst durch die Seile in den Ring zu schlüpfen. Am Ende läuft es - Bett oder Ring - auf das Gleiche hinaus: auf vom Unterbewusstsein aufgenommene Informationen. Wer einen Kampf sieht, sieht nur die Boxer, aber Boxer haben es mit dem Unsichtbaren zu tun.

Die Nacht wird dunkel werden

Boxtraining mit Charles Schumann: Der Chef kocht selbst: Charles im Schumann's.

Der Chef kocht selbst: Charles im Schumann's.

(Foto: Stephan Rumpf)

Schwer zu sagen, was es ist, was da im Ring in der Luft liegt. Wir sehen etwas erst dann, wenn es zu spät ist, wenn es zur Tatsache geworden ist. Und beim Boxen ist ein Treffer eine Tatsache, und ein Treffer kann einen Kampf entscheiden, was auch eine Tatsache ist. Ich habe ihn nicht kommen sehen, wird der Besiegte seinem Trainer sagen. Und der wird die Augen, die versagt haben, mit einem Eisbeutel kühlen.

Er hat dich erwischt, ja. Er hat jetzt mehr Angst vor den Stunden, die kommen werden, als vor jedem Gegner, gegen den er je geboxt hat. Die Nacht wird, auch in den Armen einer Frau, dunkler werden. Er wird an den Schlag denken. Er wird Dinge sagen, die er selbst nicht versteht. Aber bei Gott, ich schwöre, der Tod ist schön, er hat ein Fell, ein tiefschwarzes Fell. Wir haben uns Geschichten wie diese wieder und wieder erzählt. Damals gab es das Schumann's noch nicht. Charles war, als Angestellter in Harry's New York Bar, einfach nur der beste Barkeeper der Stadt.

Auch wenn wir, was die Kunst des Boxens betrifft, kleine Lehrlinge geblieben sind, wissen wir heute besser, wovon wir reden, wenn wir vom Boxen reden. Bis heute reden wir über nichts lieber.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: